ANNA TERNHEIM
Auf der Tour zu ihrer aktuellen LP „A Space For Lost Time“ offenbarte die schwedische Songwriterin Anna Ternheim, dass das Schreiben von neuen Songs für sie sei, wie das beschwerliche Erklimmen eines Berges – auf den sie sich demzufolge alle zwei Jahre ungefähr 10 Mal hinaufquälen müsse. Das erklärt dann zumindest die längeren Pausen zwischen Annas Veröffentlichungen. Um sich für ihr neues Album mal diesbezüglich ein wenig Erleichterung zu verschaffen, kam Anna auf die Idee, das neue Material in Los Angeles zusammen mit US-Studiomusikern einzuspielen – und dabei gleich noch ein wenig Westzeit-Feeling einzufangen. So richtig geglückt ist Anna das freilich nicht, denn obwohl sich unter den neuen Songs einige poppige Up-Tempo-Nummern befinden, obsiegte zuletzt dann doch wieder die klassische Düsternis, die sich zumindest wie ein Schleier – oft aber auch als tiefschwarze Nachtschatten – über Annas Szenarien legen.
Die Songs, die auf diese Weise entstehen, sind für gewöhnlich dann aber auch ganz besonders schön. Braucht Schönheit also dieses typische Anna-Element der Traurigkeit als Balance? „Nein überhaupt nicht“, widerspricht Anna, „aber ich bin der Meinung, dass es auch immer einen Schimmer Düsternis gibt, wenn etwa besonders schön ist. Egal in welche Richtung das geht – fröhlich oder freundlich – Schönheit braucht also eher Düsternis als Balance. Je schöner etwas ist, desto deutlicher wird das – einfach damit diese Schönheit dann auch interessant ist. Das gilt auch für Melancholie: Es reicht nicht, wenn alles nur schwarz ist. Um Tiefe zu erreichen braucht man Düsternis. Für beides gilt: Es braucht irgend eine Art von Balance.“
Ist das abhängig von Annas jeweiliger Stimmung? Oder hat es gar mit ihrem Erbe zu tun? Oder ist es vielleicht sogar eine bloße Technik? „Och ich denke, diese Sachen sind sehr instinktiv“, überlegt Anna, „es gibt natürlich Bereiche in diesem Prozess, deren ich mir bewusst bin – zum Beispiel, wenn es ums Handwerkliche geht. Es gibt Teile des Musik-Machens, die man erlernen und kontrollieren kann, aber es gibt auch immer diese magischen Aspekte, die man dann weder richtig kontrollieren noch erklären kann. Da geht es dann um Inspirationen und die Lust zu musizieren. Wenn man etwas nicht fühlen kann, dann sollte man es lassen. Ich komme aus diesem DIY-Bereich, wo ich mir alles selbst beigebracht habe und immer wenn es etwas dazuzulernen gibt – seien es Techniken, Werkzeuge oder Kollaborationen - dann ist mir das willkommen, aber am Ende ist es das Ganze letztlich dann doch ein großes Mysterium für mich. Musik hat ein Eigenleben – und selbst wenn Du allen Regeln folgst, kann das Ergebnis ernüchternd sein. Es ist ja auch sehr schwer zu sagen, was am Ende die Magie ausmacht.“
Das mal im Hinterkopf: Was ist denn für Anna die bevorzugte Tugend als Songwriterin? Vielleicht die Empathie? „Warum nicht?“, überlegt Anna, „man muss schließlich zu den Sachen, über die man schreibt und die Gefühle, die man vermitteln will, faktisch eine Beziehung aufbauen können. Ich muss dabei natürlich bei mir selbst anfangen, denn nur so kann ich das erreichen. Die Frage nach der Tugend ist aber auch eine gute Frage, denn ich habe noch nie über die Tugenden des Songwritings nachgedacht. Empathie ist aber definitiv eine dieser Tugenden. Und dann natürlich noch die Geduld, denn man muss viel Zeit als Songwriterin investieren – und davon kommt man nicht los. Und Leidenschaft ist auch wichtig als Tugend.“
Die Zielrichtung der Frage nach der Empathie als Tugend war die, dass es die Theorie gibt, dass Menschen mit einer empathischen Veranlagung Musik wahrnehmen, wie sie andere Menschen wahrnehmen – anders als „unempathische Menschen“ für die Musik bloße Unterhaltung darstellt. „Oh wow – das habe ich noch nie gehört“, wundert sich Anna, „es ist aber ein interessanter Gedanke. Ich glaube nämlich durchaus, dass Musik uns auf ganz unterschiedliche Weise ansprechen kann – abhängig davon, wie sehr sie Dich berührt. Musik ist schwer zu ergründen. Man kann ja nicht wirklich erklären, warum man etwas gut oder schlecht findet. Es passiert einfach – und hoffentlich so, dass es Deine Seele berührt. Das ist der Grund, warum ich mich zur Musik hingezogen fühlte, denn als Kind schon hatte Musik diesen Effekt auf mich.“
Die Unsicherheit dessen also, was Musik eigentlich ausmacht? „Ja, denn Musik war für mich immer eine Möglichkeit, der Realität zu entfliehen“, bestätigt Anna, „ich hatte auch immer das Gefühl, dass Musik Dich dazu bringt, mehr zu fühlen und Deine Gefühle zu verstärken. Wenn Du Deinen Lieblingssong spielst, wenn Du glücklich bist, dann macht Dich das noch glücklicher. Musik ist der Soundtrack zu den wichtigsten Ereignissen Deines Lebens.“ Hat sich das jemals verändert für Anna? „Nein – dieselben Sachen, die mich früher ansprachen, sprechen mich heute auch noch an – aber ich mag es auch, wenn es mal still um mich herum ist. Wenn ich zum Beispiel einen Tag mit der Musik verbracht habe und damit gearbeitet habe, dann mag ich auch mal einen stillen Abend. Ich mag es hingegen gar nicht, wenn Musik nur ein Hintergrundgeräusch ist. Wenn ich Musik höre, dann höre ich Musik – und wenn nicht, dann nicht. Ich bin da noch wie ein Kind: Wenn ich einen Song gefunden habe, den ich mag, dann höre ich den immer wieder und möchte dann auch davon weggeblasen werden. Ich möchte mich darin verlieren. Und wenn ich nichts finde, was ich mag, dann wird alles auch ein wenig langweilig für mich.“
Damit wären wir mal wieder bei dem Punkt, dass Musik auf gewisse Weise jung hält. Denn Leute, die sich nicht auf diese Weise für Musik begeistern können, werden diesbezüglich im Alter ja auch immer indifferenter. „Ja – das mag aber auch daran liegen, dass es sehr einfach ist, zu vergessen“, meint Anna, „bei mir ist das nicht so einfach, weil ich die ganze Zeit mit der Musik arbeite. Aber ich erinnere mich genau an die Erlebnisse, als ich 16 Jahre alt war und zum ersten Mal zu einem Konzert ging. Die Aufregung, das Warten, der Drang zur Bühne, von der Musik aufgesaugt zu werden. Als ich dann älter wurde, habe ich mich dabei ertappt, wie ich bei Konzerten mit verschränkten Armen und einer Handtasche in der Hand hinten stand und nicht mehr Teil der Erfahrung war. Da wurde mir klar, dass man teilhaben muss, wenn man Musik wirklich erleben will. Man muss da regelrecht investieren – Musik finden, die einen bewegt, Sachen anschauen, die man nicht kennt. Das vergisst man leicht, wenn man älter wird und seinen Job und eine Familie hat. Wenn man sich dann aber daran erinnert, dann wird Dir auch bewusst, dass Musik etwas ist, was man tatsächlich braucht. Ich habe mir diesen Sommer Iron Maiden zum ersten Mal angeschaut, und zwar aus dem Mosh-Pit heraus. Das war ganz wie früher – und auch ganz etwas anderes als bei einem Konzert alle 30 Sekunden auf sein Handy zu schauen. Mir ist nicht ganz klar, warum die Leute mit so etwas aufhören, wenn sie älter werden.“
Na ja – vielleicht ja gerade deswegen, weil das so viel Arbeit sein kann … „Man muss halt darin investieren“, meint Anna sehr bestimmt, „denn man muss ja auch ins Kochen investieren, wenn man was gutes Essen will.“ Da ist wohl was Wahres dran. Und in dem Sinne sollte man Annas Musik dann auch ganz bewusst genießen. Schließlich dauert es ja auch wieder zwei Jahre, bis es was Neues zu essen gibt ...
Text: Ullrich Maurer
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