ANE BRUN

Oktober 2020 Interview und neue Alben

Die norwegische Songwriterin Ane Brun kennen Freunde organisch/atmosphärischen Songwritings bereist seit 2003 – als sie ihre Debüt-LP „Spending Time With Morgan“ veröffentlichte - als zuverlässige Lieferantin erstklassiger, organischer Folkpop-Songs mit genau der richtigen Prise skandinavischer Melancholie und poetischer Gelassenheit. Das letzte Album mit neuem Material - „When I'm Free“ - erschien jedoch bereits 2015. Danach folgte 2017 noch das Covers-Album „Leave Me Breathless“ und 2018 Ane's drittes Live-Album „Live At Berdwardhallen“. Dass Ane lange Zeit keine Inspiration verspürte, neue Songs zu schreiben, lag daran, dass nach der Tour zu „When I'm Free“ ihr Vater verstarb, und sie mit diesem Umstand erst ein Mal zurecht kommen musste. Im Sommer 2019 war es dann so weit: Nachdem Ane lange damit verbracht hatte, in sich hineinzuhorchen und den Tod des Vaters zu verarbeiten, entstanden dann innerhalb von drei Wochen in einer abgelegenen Hütte in den norwegischen Bergen sogar so viele neue Songs, dass sie nun gleich zwei neue Alben - „After The Great Storm“ und mit einigem Abstand dann „How Beauty Holds The Hands Of Sorrow“ veröffentlichen kann.

Während Ane – zusammen mit ihren Produzenten und Kollegen Anton Sudell und Long-Time-Companion Martin Hederos – auf „After The Great Storm“ nach neuen musikalischen Ausdrucksformen jenseits des klassischen Singer-Songwriting-Settings suchte, dabei auch elektronische Hilfsmittel einsetzte – und so fast zu poppigen Ergebnissen kam - suchte sie auf „How Beauty Holds The Hands Of Sorrow“ eher nach einer Möglichkeit, in ihrer klassischen Umgebung auf akustischer Basis, mit Streicher-Arrangements und geschichteten Vocals in einem balladesken Setting zu einer geeigneten Synthese zu finden. Inhaltlich freilich sind beide Alben miteinander verknüpft.

Geht es denn unter dem Strich vor allem darum, mittels der Lyrics auch die eigene Trauerarbeit um den Tod des Vaters verarbeiten zu können? „Es geht definitiv um das Verarbeiten“, bestätigt Ane, „das ist es nämlich, wie ich die Musik sehe. Ich vertiefe mich in Fragen und erforsche dadurch mein Innenleben. Es ist meine Art, Dinge für mich zu definieren. Wenn es mir gelingt, etwas in meinen Songs für mich zu definieren, kann ich daraus Rückschlüsse ziehen, nach vorne zu blicken und meine Emotionen zu strukturieren. Der Tod meines Vaters war also definitiv etwas, worüber ich schreiben musste.“

Was ist denn songwriterisch überhaupt die größte Herausforderung für Ane? Es gibt da zum Beispiel den Song „Lose My Way“ auf dem „Beauty“-Album, der eigentlich nur auf einer einzigen Piano-Phrase basiert – aber emotional zu den stärksten des ganzen Projektes gehört. Ist es für Ane also schwieriger, einfache als komplexe Songs zu schreiben? „Also für mich ist es am schwierigsten, die richtige Balance zwischen dem intellektuellen Gehalt und den emotionalen Aspekten zu finden“, erklärt Ane, „es geht darum, auf der einen Seite nicht zu clever - und auf der anderen Seite nicht zu klischeehaft zu sein, weißt Du? Eine Balance zwischen zu viel und zu wenig zu finden. Und manchmal ist es auch wichtig, einfach zu wissen, wenn es einfach gar nicht mehr zu sagen gibt. Da gibt es zum Beispiel den Song 'To let myself go' von meinem zweiten Album. Der hatte nur einen Vers – und den habe ich immer und immer wiederholt. Sowas ist nicht immer ganz einfach.“

Inwieweit kann man denn so etwas bewusst steuern? „Also die Ideen kommen ja einfach auf Dich zu“, überlegt Ane, „und die Arbeit kommt dann ins Spiel, wenn man aus diesen Ideen eine Realität formen möchte. Meistens fange ich ja mit einer kleinen Idee an, die ich aufgeschrieben oder auf meinem Computer gefunden habe. Das ist dann die Basis oder das Konzept. Wenn ich das erst mal gefunden habe, dann gebe ich niemals auf, bis ich einen fertigen Song daraus formuliert habe. Das ist dann die eigentliche Arbeit.“

Interessant sind auch die Streicherarrangements, die insbesondere auf Ane's zweiter neuer Scheibe, „How Beauty Hold The Hands Of Sorrow“ oft zu ganz neuen Perspektiven führen. „Also ich mache zunächst mal Demos mit Piano und String-Effekten“, erklärt Ane den Prozess, „dabei experimentiere ich manchmal auch. Bei dem Song 'Last Breath' wollte ich zum Beispiel den Effekt erreichen, dass sich die Streicher am Ende des Songs in der Unendlichkeit verlieren. Die Ideen für die Arrangements kommen schon von mir – es ist dann die Aufgabe des Arrangeurs, diese Ideen zu realisieren. Manchmal sind die Ideen für die Streicher schon Teil des Songwritings. Nimm etwa den Song 'Run And Hide'. Hier war es wichtig, die Streicher schon im Demo dabei zu haben, weil der Song harmonisch so simpel ist, dass der Song erst durch die spezifischen Streicher seine Spannung erhält. Die Produktion ist mir also schon sehr wichtig. Die Songs erhalten so einen gewissen Wert – und können so vielleicht sogar ein Geschenk für jemand Bestimmtes sein. Andererseits lassen sich so vielleicht Spannungen und Konflikte illustrieren. Ein Song kann aber so auch zu einem Schlag ins Gesicht sein. Es gibt da viele Möglichkeiten.“

Es gibt auch viele Möglichkeiten, einen Song zu interpretieren – wie zum Beispiel gerade „Run & Hide“ zeigt, der auf der ersten LP als E-Pop-Version und auf der zweiten als Solo-Piano-Version enthalten ist. „Ja, es kommt auch darauf an, wie man einen Song darbietet“, ergänzt Ane, „ein Song kann vielleicht eigentlich ganz langweilig sein – aber wenn man ihn auf eine bestimmte Weise singt, dann wird er lebendig. Auf die gleiche Weise, wie ich meine Cover-Versionen angehe, gehe ich auch meine eigenen Songs an: Ich versuche das Potential und das perfekte Format für den Song zu finden, bevor ich ihn aufführe. Das ist zum Beispiel der Grund dafür, warum einige der neuen Songs zu Balladen wurde, obwohl ich sie eigentlich als große Pop-Nummern konzipiert hatte – weil ich deren Potential erst während der Produktion entdeckt hatte.“

Nun: Das wichtigste ist ja, überhaupt nach dem Potential eines Songs zu suchen, nachdem man ihn geschrieben hat. In diesem Sinne präsentiert sich Ane Brun auch bei diesem Doppel-Schlag als eine der produktivsten Vertreterinnen ihrer Zunft, die einen geeigneten Weg gefunden hat, Poesie, Perspektive und Philosophie in ihrer Musik auf faszinierende Weise zusammenzuführen.

Natürlich kann auch Ane Brun in diesem Jahr nicht mehr richtig touren. Neben einigen Stream- und Hygiene-Konzerten wurde die bereits geplante Tour zunächst mal um ein Jahr verschoben. Bis dahin möchte sich Ane die Zeit mit einem Projekt vertreiben, für das sie 20 ihrer Songs aus dem Englischen ins Norwegische übersetzt und neu einspielt und dann gibt es noch das Ballett-Projekt '12 Songs' mit dem Gothenburg Opera Orchestra, bei dem der Choreograph Kenneth Kvarnström ein Ballett aus 12 von Ane's Songs geschrieben hat, die dann mit Orchester-Unterstützung bei bislang 8 geplanten Aufführungen in Gothenburg zum Einsatz kommen sollen.

Words: Ullrich Maurer

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