NATHAN KALISH

April 2020 Interview + New Album „Songs For Nobody“

Im April veröffentlichte Singer-Songwriter Nathan Kalish sein 10 brandneue Songs umfassendes Album „Songs For Nobody“: feinste Americana zwischen modernen Protestsongs, Folk mit Indie-Note und mitreißendem Alt.-Country, wunderbar frisch und dynamisch produziert, textlich meisterhaft zwischen oft scharfzüngiger Lakonie und emotionsgeladenem, intimem Storytelling pendelnd. Kalish, der in der Vergangenheit u.a. mit den Deadstring Brothers tourte, überzeugt nicht nur als virtuoser Gitarrist, sondern verfügt auch über eine Stimme, deren Wiedererkennungswert an die Markanz eines Gordon Lightfoot erinnert.

Für Roadtracks hat Nathan Kalish im Vorfeld der Veröffentlichung unter anderem über die Enstehung des Albums, das Leben auf Tour und seine spezielle Verbindungen zu Europa geplaudert. Wer zudem wissen will, wie eine abgesagte Show in Schweden zu Co-Writing Credits von keinem Geringeren als Johnny Cash persönlich führen kann und von wem man für gewöhnlich den besten Kaffee bekommt, der sollte unbedingt weiterlesen.

Hey Nathan, schön, dass du dir die Zeit nimmst einige Fragen zu beantworten. Es ist erst zwei Jahre her, seit dein letztes Album „I Want To Believe“ herauskam. Am 10. April wird dein neues Album „Songs For Nobody“ erscheinen. Wie geht’s dir und was ist in der Zwischenzeit passiert?

Nathan: Während ich auf Tour war, um mein letztes Album zu promoten, bekam ich die Anfrage eine Platte für ein kleines Label in Detroit aufzunehmen. Also hab ich über den Zeitraum der Tour zwölf Songs geschrieben, Demos eingespielt und sie schließlich direkt nach der Tour im Studio in Detroit aufgenommen. Mir gefiel allerdings nicht, wohin sich das Projekt entwickelte und speziell wie langsam es voranging. Ich verzichtete letztendlich auf den Plattendeal und die Masterbänder, ging nach Nashville und nahm das Album auf eigene Kosten mit meiner eigenen Band nochmal auf. Ungefähr ein Jahr später hatte ich genug getourt und gearbeitet, dass ich es mir leisten konnte, das Album selbst ordentlich zu veröffentlichen. Das macht mich sehr stolz. Ich bin erschöpft und immer noch im Veröffentlichungsprozess, aber schon der anfängliche Ablauf das Album herauszubringen war aufregend und lehrreich. Im Prinzip habe ich mit all meinen Ersparnissen und sämtlichem Geld, dass ich hier und da zusammenkratzen konnte, mein eigenes Plattenlabel gegründet. Ich hab noch nie zuvor soviel von mir in etwas investiert, weshalb ich ziemlich aufgeregt, gleichzeitig aber auch sehr stolz auf mich selbst bin.

Wow, du hast keine Kompromisse gemacht, als es um dieses Album ging. Klingt, als würdest du alles auf eine Karte setzen. Ein eigenes Label macht dich auf jeden Fall unabhängiger. Welche anderen Vorteile siehst du?

Nathan: Naja, ich würde nicht behaupten, dass es da viele Vorteile gibt, aber ich mag es hart zu arbeiten. Ich war immer genauso besessen von der Arbeit, wie von der Musik. Ich liebe es zu Auftritten zu fahren, alles aufzubauen, den Sound einzustellen und all die anderen sonderbaren Aufgaben, die so anfallen, wenn man als Song and Dance Man unterwegs ist. Jetzt kann ich so tun, als sei ich ein Plattenboss, was dann fast so ist, als wäre ich, wie die meisten meiner Altersgenossen, auf's College gegangen und Teil der arbeitenden Gesellschaft geworden... nur dass ich keinen Schlips tragen muss.

Wenn wir gerade bei harter Arbeit sind: kannst du uns was über die Musikszene in deiner Wahlheimat Nashville erzählen und wie man es dort schafft im Musikbusiness zu bestehen?

Nathan: Ich reise viel. Nashville ich eine großartige Quelle der Inspiration und des Wissens. Es gibt dort jede Menge tolle Musiker und talentierte Musikprofis, aber dennoch beschränke ich meine Auftritte in Nashville auf jene, für die ich gezielt engagiert werde. Es gibt so viele Bands, die versuchen dauernd zu spielen, sodass es einen Konkurrenzkampf um die wenigen vorhandenen Locations gibt. Touren ist für mich die beste Option. Nichtsdestotrotz liebe ich es, hier (in Nashville) Musik zu machen.

Du präsentierst nicht gerade das typische Stereotyp des Gitarre-spielenden Cowboys. Nach außen hin wirkst du vielmehr wie eine Art Enfant terrible. Ich habe gehört, dass im Videoclip der ersten Single, dem Titeltrack des Albums, echtes Blut geflossen ist? Auch scheint es, als würdest du gerne auf sehr humorvolle Art mit den gängigen Klischees spielen. In deinen Songs offenbarst du dich wiederum als sehr sensible Person. Sind das die beiden Gegensätze deiner Persönlichkeit, die du in deiner Arbeit auslebst?

Nathan: Die Musikindustrie arbeitet gezielt durch Marketing nach Stereotypen und ich denke, das ist in Ordnung. Leute mögen, was sie mögen. Wenn du Irokesenschnitte und Punk Rock magst, dann stehen die Chancen gut, dass dir eine Punk Rock-Band gefällt, deren Sänger einen Iro trägt. Gleiches gilt für Cowboyhüte und Country Music. Das einzige Problem dabei ist, dass es schwer wird mit originellen Ideen und Kreativität Erfolg zu haben. Ich mag es über ehrliche, echte Gefühle und Emotionen zu schreiben. Viel vom männlichen Country bzw. der Country Music allgemein ist zu einer Karikatur ihrer selbst verkommen und beruht auf Angeberei und Gepose. Ich höre unzählige Songs darüber, Whiskey zu trinken und ein harter Kerl zu sein. Wie wär's denn mit nem Song über's Weintrinken und den Wunsch wieder zu Gefühlen zurückzufinden? Es gibt aktuell jede Menge großartige Musik da draußen, aber bedauerlicherweise ist es nicht nur der Mainstream, der auf Marketing angewiesen ist, um Einnahmen zu generieren. Die gleiche Praxis hat sich auch im Underground und abseitigen Musikszenen etabliert.

Und ja, ich mag es anzuecken. Es war die Folge eines Unfalls, dass ich beim Dreh geblutet habe, aber weil der Song ja davon handelt, sich selbst für seine Leidenschaft zu bestrafen, habe ich das bei der Arbeit zum Video ziemlich wörtlich genommen. Ich liebe es, mich selbst anzutreiben und dabei Grenzen zu überschreiten. Wenn du nichts hervorbringst, was auffällt, seltsam und neu ist, dann kopierst du nur, was andere bereits getan haben. Worin liegt der echte Sinn das Kunst zu nennen?

„Ich höre unzählige Songs darüber, Whiskey zu trinken und ein harter Kerl zu sein. Wie wär's denn mit nem Song über's Weintrinken und den Wunsch wieder zu Gefühlen zurückzufinden?“


Deine letzte Tour hat dich auch in die Heimatstadt deiner Kindheit geführt... nach Prag. Viele wissen sicher gar nicht, dass du zum Teil in Europa aufgewachsen bist. Wie hat es sich angefühlt, dein altes Zuhause nach all den Jahren das erste Mal wiederzusehen? Hat der europäische Einfluss eine Auswirkung auf deine musikalische Sozialisation hinterlassen?

Nathan: Genau genommen habe ich das erste Mal auf deutsch Lesen und Schreiben gelernt. Ich habe sowohl in Wien als auch in Prag gelebt. Ich würde sagen musikalisch hat mich Europa beeinflusst, was die Inspiration angeht. In jedem Fall hab ich beim Heranwachsen viel klassische Musik gehört. Mein Lieblingskomponist ist Bedřich Smetana, ein tschechischer Komponist. Während ich in Prag war, habe ich mir an meinem freien Tag einen Teil der Philharmonie angeschaut, die Sachen von Smetana und einige andere bekannte Stücke spielten. Viel hat sich geändert in den 25 Jahren, seit ich das letzte Mal dort war... und viele Veränderungen fanden bereits statt während ich dort war. Wir sind nach dem Fall der Mauer nach Prag gezogen und es war, als wäre jemand mit einem Pinsel in die Stadt gekommen und aus Schwarz-Weiß wurde über Nacht ein Farbfilm. Ich liebe Europa und vor allem Osteuropa mit seiner Kunst, der Kultur und den Menschen. Meine Vorfahren sind auch tschechisch und mein Großvater änderte unseren Nachnamen von Kalishek zu Kalish, lange bevor ich geboren wurde, weshalb es noch eine andere, spürbare Verbundenheit zu Prag gibt.

„Es war, als wäre jemand mit einem Pinsel in die Stadt gekommen und aus Schwarz-Weiß wurde über Nacht ein Farbfilm.“


Wie viel Autobiografie steckt in den Songs deines neuen Albums?

Nathan: Viel davon ist autobiografisch, aber nicht alles. Manches ist über die Menschen, die ich kenne. Die Perspektive kann sich in beiden Fällen verschieben. Ich erfinde auch Geschichten, aber nur dann, wenn ich das Gefühl habe, dass eine Story gut genug ist, für einen bestimmten Zweck erzählt zu werden. Ich mag es aus allen möglichen Perspektiven zu schreiben. Zuletzt habe ich gemeinsam mit einer Künstlerin geschrieben und dabei die weibliche Sichtweise eingenommen. Sowas reizt mich sehr.

Das ist cool! Wer ist die Künstlerin und wird es ein Album von ihr geben, auf dem du mitwirkst?

Nathan: Es handelt sich um Lucy Cochran, das Mädchen, mit dem ich „Don't Confuse Me“ im Duett singe. Es ist ihre Musik, die wir zusammen schreiben. Ich habe kaum Einfluss darauf, was davon bzw. ob sie es überhaupt verwendet. Die Zustände sind zur Zeit ziemlich unüberschaubar hier (in Nashville) nach dem Tornado. Menschen wurden obdachlos, es gab viele Tote und nun noch die Pandemie. Das Projekt geht nur langsam voran. Ich hoffe wir können nächste Woche weitermachen, vorausgesetzt dass wir dann alle noch leben.

Das tut mir leid und ich hoffe uns allen geht es gut, wenn diese Zeilen gedruckt sind. Ich glaube Lucy Cochran ist ein Name, den man sich merken sollte! „Don't Confuse Me“ ist überragend mit seinen furiosen Bluegrass-Einlagen. Es überträgt den Spirit von Gram und Emmylou in unsere moderne Zeit. Alles in Allem erscheint das neue Album einerseits sehr homogen, aus dem gleichen Holz geschnitzt, andererseits birgt es einen großartigen Mix vom Rock 'N Roll des Titeltrachs zu den frischen Mid-80s-Vibes von „Standart Time“. Und durch alle Tracks zieht sich diese wundervolle Pedal Steel Guitar. Kannst du mir was zu den Musikern und der Produktion verraten?

Nathan: Ja. Adam Kurtz hat auf allen Tracks die Steel gespielt und Danny Pratt alle Drums. Zach Vinson alle Keys. Neben ein paar Gastmusikern war der Rest meine Road Band, die primär eine String Band ist. Karen Anne am Bass, Jackie Rae Daniels an der Fiddle und Nate Baker an der Mandoline. Laur Joamets spielt E-Gitarre auf einigen Tracks, bei denen eine Telecaster vorkommt, und Mimi Speyer übernahm den Hintergrundgesang auf den paar Tracks, auf denen meine Band nicht mitsingt. Wir haben die Songs an drei Tagen live im Trace Horse Studio in Nashville eingespielt. Wenn alle gemeinsam in einem Raum spielen, dann bekommst du Performances, die aufeinander abgespielt sind, wodurch die Musik meiner Meinung nach im Endeffekt weniger mechanisch klingt. Zudem ist das eine viel schnellere Methode, vorausgesetzt du hast die richtige Crew.

Wow, das hätte ich nicht vermutet. Respekt. Wenn wir über Songs reden... du hast die meiste Zeit des letzten Jahrzehnts auf Tour verbracht, zeitweise in deinem Van gelebt. Auch darum geht es doch im Titeltrack... das romantische Klischee des reisenden Troubadours mit Coolness, Ironie, aber auch Tragik zu demontieren. Und all das in einer Zeit, in der das große Ziel einer ganzen Generation die Verbindung von Erfolg und individueller Freiheit ist. Deine Charaktere leben zwar diese Freiheit, zahlen jedoch oft den Preis. Bist du eine Art „Anti-Hipster“ (wie Iggy Pop eine Art „Anti-Hippie“ war)?

Nathan: Ich bin definitiv kein „Anti-Hipster“. Was ich auf keinen Fall mag, ist das Fake-Universum, das manche Leute online um sich herum erschaffen. Jeder scheint ständig eine gute Zeit zu haben und ein perfektes Leben zu führen. Herumreisen ist hart, aber wenn du neue Menschen triffst und aus deinen Erfahrungen lernst, dann ist es das wert. Und im Übrigen haben Hipster den besten Kaffee und für gewöhnlich ziemlich gute Plattensammlungen.

„Herumreisen ist hart, aber wenn du neue Menschen triffst und aus deinen Erfahrungen lernst, dann ist es das wert.“


Es gibt einen Song auf dem neuen Album, „Delta Woman“, der einen ziemlich speziellen Co-Autor hat... Johnny Cash persönlich. Was steckt dahinter?

Nathan: Eine der Shows meiner Solo-Tour durch Europa letzten Herbst in Stockholm wurde abgesagt. Mein Gastgeber und Freund fragte mich, ob ich seinen Kumpel treffen möchte, der ein großer Elvis-Sammler sei. Seine ganze Wohnung war voll mit Elvis-Merchandise, mit Autogrammen, unzähligen Andenken, Fotos und so weiter. In einem der Räume jedoch, gab es lediglich Johnny Cash-Sachen... eine Sammlung, die der Elvis-Fan von einem Typ namens Lars erstanden hatte. Lars war ein Kumpel von Cash, die beiden verbrachten regelmäßig Zeit miteinander, damals in Norrköping, wenn Cash Schweden besuchte. Johnny brachte Lars alle möglichen Geschenke mit, wie Klamotten, Autogramme und so weiter, damit Lars seine Rechnungen bezahlen konnte. Lars war nämlich zu stolz, um „Cash“ von Johnny anzunehmen. An einer Wand des Raums gab es einige unfertige Songtexte, die ich fotografieren durfe. Zurück in meiner Unterkunft schrieb ich die Musik zu den Fragmenten, fügte einige extra Strophen hinzu und das Ergebnis war „Delta Woman“.

Genial. Gibt es noch eine coole oder lustige Story, die du auf Tour erlebt hast und die du mit den Roadtracks-Lesern teilen würdest?

Nathan: Wir waren lange Zeit in einem Minivan auf Tour, ungefähr zwei Jahre mit gelegentlichen Unterbrechungen. Die Klimaanlage in dem Van ging kaputt... genau wie die Fensteröffner. Als wir ein paar Wochen Pause einlegten, mussten wir zunächst von Atlanta zurück nach Michigan fahren. Der Minivan hatte schon 300.000 Meilen auf dem Buckel. Es war Spätsommer und glühend heiß. Wir fuhren die ganzen 12 Stunden auf dem Highway und hatten die ganze Zeit über die seitlichen Schiebetüren offen... fast, wie bei so nem Helicopterflug im Krieg. Ohne Kanonen versteht sich. Auf einmal waren die Cops neben uns und schalteten die Sirene an. Ich machte gerade ein Nickerchen, sprang erschrocken hoch und starrte verwirrt nach draußen. Dann zog ich krachend die Tür zu. Zum Glück bogen die Cops ab, ohne uns anzuhalten.

Glück gehabt! Noch eine Frage... wenn es ein Buch, einen Film und ein Album gäbe, von denen du dir wünschen würdest, dass jeder es einmal im Leben gelesen, geschaut bzw. gehört haben sollte, was wären deine Empfehlungen?

Nathan: Film: „Brazil“ von Terry Gilliam, Album: Karen Daltons „In My Own Time“ und Buch: „Der Dschungel“ von Upton Sinclair. Letzteres ist ein klassischer amerikanischer Roman über das Leben als Fabrikarbeiter während der industriellen Revolution. Viel, was darin vorkommt, ist immer noch aktuell, manche Dinge haben sich geändert. Karen Dalton hatte eine kurze Karriere und ist einfach nur absolut unterbewertet.

Was ist dein Plan für die kommenden Monate nach der Veröffentlichung von „Songs For Nobody“? Wird es eine Gelegenheit geben, dich in Deutschland live zu erleben?

Nathan: Ich werde voraussichtlich von Oktober bis Dezember in Europa unterwegs sein, nachdem ich ab April durch die Staaten toure. Wir sind gerade am Booken und ich hoffe für zwei Wochen in Deutschland unterwegs zu sein.

Dann hoffe ich, dass wir uns bald sehen! Danke für das nette Gespräch und hab eine gute Zeit.

Nathan: Danke, das wünsche ich auch!

Words: Christian Anger

Photos: Ruby Riley

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