NATIVE HARROW

September 2020 Interview + New Album „Closeness“

Bislang war die Sache eigentlich ganz einfach: Die aus der Gegend um Woodstock im Staate New York stammende Songwriterin Devin Tuel veröffentlichte ihre ersten CDs „Ghost“ und „Sorores“ unter ihrem nom de plume „Native Harrow“ (= ein amerikanische Egge zur Bodenvorbereitung) noch im Eigenvertrieb und entwickelte dabei einen auf klassischen Folk-Traditionen basierenden, poetischen Songwriter-Stil in dem sie esoterische Einflüsse und einen Hang zu Hippie-Idealen erkennen ließ. Das orientierte sich interessanterweise aber keineswegs am klassischen Woodstock-Sound, sondern eher am Westcoast und Laurel-Canyon Setting. Mit dem dritten Album, „Happier“ nahm die Sache mit Labelunterstützung Fahrt auf. Das Album wurde in Chicago mit dem Produzenten Alex Hall eingespielt und hier diversifizierte Devin ihren Sound bereits. Mit dabei ist von Anfang an Multiinstrumentalist Stephen Harms, der zwischenzeitlich auch Devin's Ehemann ist und auf dem nun vorliegenden, vierten Album „Closeness“ auch offiziell als Bandmitglied gefeatured wird. „Closeness“ kommt dabei deutlich variantenreicher, üppiger und stilistisch ungebundener daher als die bisherigen Native Harrow-Scheiben.

Was hat sich denn gegenüber der bisherigen Scheiben geändert? „Wir wollten alles ein wenig größer machen als bei 'Happier Now'“, erläutert Devin, „wir wollten mehr Ebenen haben und auch mehr Stimmen. Und inhaltlich wollte ich mal etwas universelleres machen, nachdem 'Happier Now' ja eher ein introspektives Album war. Ich habe dann den Fokus auf Sachen wie die Liebe gelegt darauf, während schwieriger Zeiten nach vorne zu blicken. Das spiegelte den Punkt wieder, an dem ich mich in meinem Leben nun mal gerade befinde. Wir haben viel erlebt und ich denke, das schlägt sich auch in meinem Songwriting nieder.“

Vor allen Dingen ist „Closeness“ auch musikalisch vielseitiger ausgefallen. „Das liegt daran, dass wir dieses Mal ohne den Produzenten Alex Hall gearbeitet haben und so viel mehr Zeit hatten, an den Songs zu arbeiten“, verrät Devin, „wir hatten so zum Beispiel die Möglichkeit mit einem Chor zu arbeiten, mit einem Vibraphone zu experimentieren, ein Mellotron einzusetzen und Synthesizer zu verwenden. Es gibt also von allem 'mehr' auf 'Closeness'. Die Entwicklung setzt das fort, was wir mit 'Happier Now' begannen und erweitert diesen Ansatz dann noch.“

Das Album wurde dann aber – wie auch 'Happier Now' - wieder in Chicago eingespielt. Die zuvor dominierenden Laurel Canyon – Elemente scheinen dabei dieses Mal allerdings tatsächlich einem gewissen Upstate-NY-Vibe gewichen zu sein. Die ursprünglichen Folk-Roots traten dabei in den Hintergrund. Wie wichtig sind denn Umgebungen für Native Harrow in Bezug auf den musikalischen Ansatz? „Sehr wichtig“, meint Devin, „das Studio in Chicago hat zum Beispiel einen warmen, kuscheligen Klang. Man fühlt sich von der Welt isoliert, wenn man dort eine Scheibe einspielt. Ich denke, es war auch wichtig, für diese Scheibe unsere eigene kleine Welt zu erschaffen. Als ich das Material schrieb, tat ich dies zu Hause in Pennsylvania, wo wir jetzt wohnen – was wichtig für mich war, um mich auf mich selbst beziehen und Inspirationen aus der schönen Umgebung gewinnen zu können.“ Und warum klingt die Sache dieses Mal mehr nach der East- als der West-Coast - wie bislang? „Das könnte zufällig so passiert sein“, überlegt Devin, „ich träumte früher immer nur davon, mal nach Kalifornien zu gehen. Als wir begannen zu touren, sind wir tatsächlich oft dagewesen. Nun sind wir praktisch schon überall gewesen und somit führen mich meine Tagträumereien heutzutage in andere Richtungen. Ich habe viele der neuen Songs im Herbst geschrieben. Es wurde kälter, begann zu schneien und wir warteten auf den Winter – während 'Happier Now' im Sommer entstand, während wir in Kalifornien waren.“

Während es bislang in Devin's Songs eher um das Hinterfragen ging, geht es auf „Closeness“ eher um das Vermitteln einer Art von Hoffnung – auch wenn nicht immer gleich Lösungsansätze ausformuliert werden. „Das ist ja in Bezug auf die Umstände, in denen wir leben – in den letzten Jahren und jetzt mit dieser Pandemie - total relevant“, überlegt Devin, „'Hoffnung' ist für mich wirklich das Wichtigste, an dem man sich festhalten kann, wenn es schwierig wird. Dazu gehört auch, diejenigen, die man liebt, an sich zu binden und nahe zu halten. Nachdem ich die neuen Songs fertig hatte, stellte ich fest, dass ich ein Album über die Liebe und die Hoffnung geschrieben habe und zu der Erkenntnis gekommen bin, dass es in unserer Hand liegt, die Dinge zu ändern, wenn wir uns an der Hoffnung festklammern.“

Moment mal: Das hatte Devin erst festgestellt, NACHDEM sie die Songs geschrieben hatte? „Ja“, bestätigt sie, „geplant habe ich das nicht. Als wir die Scheibe gemacht haben, überschlugen sich die Ereignisse ja sozusagen und wir haben uns gefragt, ob wir sie überhaupt rausbringen sollten. Wir haben uns dann aber gesagt, dass die neuen Songs seltsam relevant sind und dass sie die Menschen inspirieren könnten, durch diese schweren Zeiten zu kommen und nach Möglichkeiten zu suchen, Dinge zu verändern um die Welt besser zu machen. Das hat sich aber einfach so ergeben und war nicht geplant.“ Womit wir wieder bei dem Thema sind, dass Musik auch ein gewisses Eigenleben entwickeln kann. „Absolut“, bestätigt Devin, „von dem Moment an, wo ich mich mit meiner Gitarre hinsetze, weiß ich selbst nicht mehr, in welche Richtung das gehen wird.“

Das gilt sicher auch musikalisch, denn während sich die Songs von Native Harrow in der Vergangenheit musikalisch oft nur um ein, zwei Akkorde drehten, gibt es auf „Closeness“ nun viele voll ausformulierte Songs mit Pop- und sogar Rock-Appeal. „Nun, wir haben ja auf einer Folk-Basis begonnen“, erläutert Devin, „mit der Zeit haben wir uns dann weniger mit stilistischen Erwägungen beschäftigt und einfach mal gesehen, was passieren kann, wenn wir alles ein wenig größer anlegen. Einige der neuen Songs brauchen einfach mehr, um wirken zu können.“ Stilistische Einschränkungen gibt es dabei nicht mehr. Ist also heutzutage alles möglich – so lange es nur organisch genug ist? „Gewiss“, bestätigt Devin, „wir haben uns ja sowieso noch nie ein Label gegeben. Wir probieren, alles mögliche zu kombinieren und wundern uns nie, wenn etwas seltsam anmutet. Schließlich lieben wir beide so viele unterschiedliche Sachen, dass wir gar nicht anders können, als alles mal auszuprobieren. Es macht macht einfach Spaß, mal etwas zu wagen.“ „Man kann ja versuchen, einen einzelnen Song einem Genre oder einem Stil zuzuweisen“, ergänzt Stephen, „ich habe aber ein Problem damit, einen Künstler stilistisch einzuordnen. Speziell die Künstler, die wir lieben. Selbst einzelne Songs lassen sich ja auf verschiedene Arten interpretieren. Deswegen würde ich niemals alles der Stilfrage unterordnen.“

Ist es dabei vielleicht so, dass durch diesen Ansatz dann bewusst zeitlose Musik entsteht? „Ich denke schon“, überlegt Stephen, „ich fühle mich von einer Art von Musik angezogen, die sich dauerhaft – oder vielleicht sogar unendlich – anfühlt. Also nicht wie aus einer bestimmten Zeit, sondern tatsächlich zeitlos. Letztlich bedeutet das, dass ein Song auch auf einer akustischen Gitarre oder einem Klavier funktionieren muss. Wenn ein Song nicht ohne ein großes Ensemble aufgeführt werden kann, dann ist es kein guter Songs.“ Und das ist, was Native Harrow dann anstreben? „Unterbewusst auf jeden Fall“, führt Devin aus, „es ist nicht so, dass ich mich hinsetze und mir sage: 'Jetzt will ich mal einen zeitlosen Song schreiben, der für ewig Bestand haben wird'. Aber die besten Songs sind nun Mal Songs dieser Art. Wenn Du feststellst, dass etwa ein Song aus den 1920er heutzutage total relevant für Dein Leben sein kann, dann ist es ein guter Song. Es wäre doch sehr schön, wenn in 50 Jahren jemand unsere Musik hört und dann sagt: Das ist total relevant für mein Leben. Das ist es ja, was gute Kunst auszeichnet – sie besteht ewig. Und das ist das, was wir uns von unserer Musik bestenfalls erhoffen dürfen. Zumal wir ja auch selbst von Künstlern in ihren späteren Jahren inspiriert sind, deren Musik heutzutage genauso relevant ist, wie früher.“

Wie jedermann, so sind natürlich auch Native Harrow ein Opfer des Corona-Lockdowns geworden. So hätten sie etwa beim diesjährigen Static Roots Festival auftreten sollen – müssen dieses Unternehmen aber auf das nächste Jahr verschieben – ebenso wie eine angedachte Tour in unseren Breiten. Bis dahin müssen wir uns erst mal mit einer exklusiven Performance im Rahmen der Stay Safe Sessions im September zufrieden geben, die vom Static Roots Festival als „Überbrückungshilfe“ ins Leben gerufen wurde.

Words: Ullrich Maurer

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