WOLFGANG NIEDECKEN / BAP

September 2020 Interview und neues Album "Alles Fliesst"

Wer hätte das gedacht: „Alles Fliesst“ ist nun auch schon das 20. Studio-Album des Ur-Kölner Ensembles BAP. Und dabei bleibt es ja nicht – denn es kommen ja etliche Live-Alben und Wolfgang Niedeckens Solo-LPs noch hinzu. Es ist dann im Grunde genommen kein Wunder, dass das neue Werk „Alles Fliesst“ heißt. Nicht nur deswegen, weil es Wolfgang mag, dass das Eine ganz natürlich aus dem Anderen hervorgeht, sondern vor allen Dingen deswegen, weil dadurch deutlich wird, dass es kaum noch etwas geben kann, was den „Dylan aus der Südstadt“ (wie er früher ja gerne genannt wurde), wirklich aus der Ruhe bringt – nicht ein Mal so etwas wie die Corona-Krise. Das heißt nicht, dass Niedecken sich nicht mehr für die Neuzeit interessiert, sondern nur, dass er die Sache heutzutage mit einer gewissen heiteren Gelassenheit betrachtet (die er sich beim „Vater Rhein“ abgeschaut hat, der ihn zu dem LP-Titel mit inspirierte). Die neue Songsammlung ist also eine Mischung aus betont persönlichen Liedern mit Bezug zur eigenen Geschichte, beharrlichen politischen Kommentaren und Slice-Of-Life-Momentaufnahmen, die Niedecken in seiner urtümlichen Manier nach wie vor konsequent auf Kölsch (der einzigen Sprache, die man auch trinken kann) vorträgt.

Auf faszinierende Weise ähnelt das dem, was Wolfgangs Idol, Bob Dylan, auf dessen vor kurzem aufgelegter LP „Rough & Rowdy Ways“ machte. Wie findet Wolfgang denn diese Scheibe? „Super“, meint er, „ich bin so beruhigt, dass er diese – wie soll man sagen – in sich ruhenden Alterswerke macht. Bei diesem ganzen Sinatra-Repertoire habe ich mir gedacht, dass ich es ja gut finde, dass er zu seinen Helden steht, aber ich habe mich sehr gefreut, dass er nun wieder eigene Stücke geschrieben hat. Ich habe auch kein Stück auf der neuen Scheibe gefunden, von dem ich gedacht habe, dass man da mal weiter zappen könnte. Der Mann wird jetzt 80 – und es gibt da überhaupt nichts, wo man denkt 'das hattest Du schon mal'.“

Es ist ja auch schön, dass Dylan sich musikalisch auf keinen bestimmten Stil mehr beschränkt, oder? „Ja – der Dylan muss ja auch niemandem mehr etwas beweisen“, bestätigt Wolfgang – und ergänzt dann mit Bezug auf eine eigene Textzeile des neuen Albums, „nicht ein Mal Florian Silbereisen.“ Wieso ausgerechnet dem? „Das ist bei uns zu Hause ein stehender Spruch“, verrät Wolfgang, „irgendwann habe ich das mal zum Spaß gesagt und dann sind alle zusammengebrochen.“

Aber noch mal zu dem Thema Alterswerk – dazu gehört doch vor allen Dingen, dass man dabei zurück blickt, oder? „Na ist doch logisch“, bestätigt Wolfgang, „Dylan wird 80 und ich gehe auf die 70 zu – und ich blicke auch zurück. Aber was bei einem Alterswerk wichtig ist, ist, dass man nicht ausschließlich nach hinten guckt. Denn dann hast Du verloren. Du musst immer auch die Stelle beschreiben, an der Du gerade bist. Du musst ganz klar aus der Gegenwart nach hinten gucken. Du darfst nicht einen Song schreiben, den Du auch vor dreißig Jahren hättest schreiben können. Das ist Quatsch. Wenn Du nämlich die Gegenwart mit einbeziehst, wird es auch nicht nostalgisch.“

Gibt es dafür ein Rezept? Etwa indem man sich auf eine ganz persönliche Warte bezieht? Auf dem neuen Album wäre der Song „Mittlerweile Josephine“ ein gutes Beispiel dafür. Hier nämlich setzt Wolfgang seiner Tochter Josephine ein musikalisches Denkmal, in dem er liebevoll auf deren Leben aus seiner Sicht zurück blickt und das ebenso persönlich, wie emotional – aber eben nicht sentimental und nostalgisch tut. Obendrein ist das Ganze dann auch noch musikalisch zeitlos ausformuliert. Das ist dann am dichtesten dran, oder?„Genau so sieht es aus“, bestätigt Wolfgang, „das ist völlig klar erkennbar ein Song, den ich für meine jüngste Tochter geschrieben habe. Ich habe sie natürlich gefragt, ob ich den veröffentlichen darf und dann hat sie mir das auch gestattet.“ Sehr viel persönlicher geht es ja fast schon nicht mehr. Das ist dann am dichtesten dran, oder? „Ja, da sind auch ein paar Tränen geflossen – und dann haben alle haben mitgeheult und dann war alles wieder in bester Ordnung“, erinnert sich Wolfgang, „Du hast recht: Das ist am dichtesten dran.“

Noch eine Parallele des neuen Dylan Albums zum neuen BAP-Album sind die Referenzen, die beide verbindet. „Ja, das stimmt – er bezieht sich auch auf die Stones“, bestätigt Wolfgang, „er hat aber auch Leute erwähnt, die von ihm beeinflusst werden. Wenn er heute Don Henley erwähnt, dann ist das für den ein Ritterschlag. Den finde ich übrigens auch immer schon klasse – aber das ist schon die nächste Generation. Meine Idole sind alle noch in den 40er geboren. Leonard Cohen und Johnny Cash sogar noch früher.“

A Propos Eagles: Wolfgang hat ja auf seinen beiden letzten Solo-Alben, die er in Woodstock bzw. New Orleans eingespielt hat, neben anderen amerikanischen Musikern auch den Eagles-Gitarristen Stuart Smith beschäftigt. Damals erklärte er, das habe er deswegen gemacht, weil amerikanische Musiker „songdienlicher“ spielen könnten, als Deutsche. Was meint denn das? Geht es darum, dass die Songs von den Instrumentalisten nicht dominiert, sondern – sagen wir mal – begleitend umspielt werden? „Ja, das habe ich ja bei meinen Solo-Alben kennengelernt“, erinnert sich Wolfgang an die Aufnahmen in den USA, „der Mann, der auf den Alben Solo-Gitarre gespielt hat, ist ja Stuart Smith von den Eagles. Das ist derjenige bei den Eagles, der die ganzen schweren Sachen spielt. Der ist ein unfassbarer Gitarrist, der alles kann - aber er ist zu bescheiden. Wegen dieser Tugend ist er ein Meister darin, songdienlich zu spielen.“ Und das wurde dann auch bei dem neuen BAP-Album berücksichtigt? „Das Problem was wir bei BAP 40 Jahre lang hatten, war, dass Du die Geschichte nicht mehr verstehst, wenn die Gitarren zu laut sind“, führt Wolfgang aus, „und ich finde, dass Ulle und Anne das Album in diesem Sinne sehr songdienlich produziert haben.“ (Ulle und Anne sind das Musiker-Paar Uli Rode und Anne de Wolff, die seit 2014 die musikalischen Grundlagen für die BAP-Songs kreieren und auch für die Produktion und den Mix zuständig sind.)

Wenn Wolfgang nun die Altvorderen als Inspirationsquelle heranzieht: Geht es ihm dabei auch um die Botschaften, die diese Künstler vermitteln – etwa im Protestsong? „Nein“, antwortet Wolfgang, „ich mochte zum Beispiel als Maler nie den sozialistischen Realismus. Das war mir immer zu bevormundend. Ich selber würde mich auch nie bevormunden zu lassen. Wenn jemand versucht, mich zu bevormunden, bin ich weg. Wenn man anfängt, die Freiheit einzuschließen, dann ist sie weg. Deswegen finde ich auch, dass ein Künstler nicht in eine Partei gehört. Ein Künstler muss immer für sich individuell jeden Tag aufs Neue seine Meinung bilden, Dinge aufschnappen, in Verbindung bringen – und dann kann auch Poesie entstehen. Ein Lied mit dem Refrain 'Krieg ist böse' braucht keine Sau.“

Das hat Neil Young auf seinem 2006er Album „Living With War“ aber zum Beispiel ja gemacht. „Du meinst das Album, dass er so schnell geschrieben und mit diesem Chor eingesungen hat? Das war schon hart. Ich liebe Neil Young ja heiß und fettig – aber das habe ich auch nicht geschafft, mir schönzuhören. Aber: Mit dem Album ist der ja noch mal– zusammen mit CSN&Y auf Tour gegangen – und hat dann richtig Eier bewiesen, indem er durch republikanische Staaten gezogen ist und sich richtig hat auspfeifen lassen. Aber er hat das durchgehalten, und bei so etwas stehe ich gleich stramm. Die Songs sind nicht der Knaller, aber die Haltung, mit der er da hinging und 'Impeach The President' – was ja damals noch Bush war – war dann wirklich rührend.“

Irgendwie, so scheint es, hat Wolfgang Niedecken mit dem neuen Album „Alles Fliesst“ einen Weg gefunden, die Vergangenheit mit der Gegenwart in Einklang zu bringen. Und zwar, indem er die Dinge – wie der „Vater Rhein“, an dessen Ufer er nun schon sein ganzes Leben verbrachte – heutzutage mit einer heiteren Gelassenheit betrachtet.

Words: Ullrich Maurer

» Website: https://www.bap.de/
» Facebook: https://www.facebook.com/NiedeckensBAP/