S.G. GOODMAN
Es läuft gerade gut für S.G. Goodman. Nach zwei großen Alben bekommt die Mittdreißigerin aus Kentucky, langsam, aber sicher die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Was sich auch bei der Größe der Konzerthallen bemerkbar macht. In den USA spielt sie in Clubs für weniger als eintausend Menschen, „aber das ist gut, ich bin sehr gewachsen. Es gab eine Zeit, da konnte ich den Raum nicht für 50 Leute vollmachen (lacht). Das ist also wirklich cool, ich bin stolz darauf.“ Außerdem wurde ihr letztes Jahr der Americana Music Association Award als Emerging Artist of the Year verliehen. Wobei sie jetzt nicht wirklich, wie eine klassische Americana-Sängerin klinge, oder? Ihr sensationelles zweites Album Teeth Marks wurde mit Musikern aufgenommen, die eher aus dem Post-Punk-Kosmos stammen, was bei vielen Tracks auch deutlich wird. „Ich bin froh, dass du das sagst, weil ich das auch nicht bin. Americana ist ein sehr weites Genre. Und ich glaube nicht, dass Americana selbst weiß, was es eigentlich ist. Für mich ist es ein Ort der Außenseiter. Und es gibt bestimmt Künstler*innen, die vielen Menschen beim Wort Americana einfallen – aber ich glaube nicht, dass ich eine dieser Künstlerinnen bin.“
Ein weiterer Indikator für den wachsenden Erfolg als Künstlerin ist die Tatsache, dass sie nicht mehr auf Nebenjobs angewiesen ist. Noch während der Pandemie hat sie auf der Farm eines älteren Herrn geholfen: „Mr. Bob. Letztes Jahr musste ich mit der Arbeit auf seiner Farm leider kürzertreten, weil ich Sachen für das nächste Studioalbum geschrieben habe. Und ich konnte wirklich nicht alles machen. Aber wenn ich das Album fertig geschrieben habe, würde ich wirklich gerne wieder anfangen, auf der Farm zu arbeiten. Ich muss es nicht mehr machen, aber ich liebe es. Und ich liebe ihn, Mr. Bob. Und ich liebe es, mit meinen Händen zu arbeiten. Es fehlt mir, und er auch. Aber ich bin so viel unterwegs, ich bin keine dauerhafte Hilfe mehr für ihn. Das ist schwer.“
Das angesprochene Album soll, wenn alles glatt läuft, nächstes Jahr aufgenommen und veröffentlicht werden. So viel zum Thema Zukunftsmusik, stochern wir stattdessen etwas in der Vergangenheit Goodmans herum. Wie so viele amerikanische Sängerinnen entdeckte sie ihr Talent früh in der Kirche, der sie aber mittlerweile nicht mehr nahesteht, auch wenn das Thema sehr einflussreich auf ihr ganzes Leben gewesen sei: „Dort habe ich gelernt, wie's geht.“ Womöglich spielt auch Goodmans Homosexualität eine Rolle in ihrer Abkehr von der Kirche.
Nach der musikalischen Erweckung in Kindheit und früher Jugend veröffentlicht Goodman dann – wenn auch nicht unter eigenem Namen – mit 18 Jahren eine Pop-Single, die in mehr als 40 US-Staaten im Radio läuft. Warum ging es denn danach nicht einfach weiter? „Ich wollte keinen Pop machen. Es war zwar mein Song, und ich liebe Poprock, aber ich will das nicht live singen. Das ist ungefähr so wie mit Klamotten, die dir gutstehen, in denen du dich aber nicht richtig wohlfühlst.“ In Murray, Kentucky, widmete sich Goodman dann im Anschluss ihrem Studium der Philosophie, das sie mit Abschluss gemeistert hat. Hat das Studium sie denn künstlerisch in ihrem Songwriting beeinflusst? „Ich würde schon sagen. Ich glaube aber auch, dass es in anderer Hinsicht gut war. Viele Menschen mit Philosophieabschluss werden so etwas gefragt wie: „Und was machst du jetzt damit?“ Und genauso werden auch viele Musiker gefragt, was sie jetzt damit tun wollen. Das war schon mal ein guter Vorgeschmack darauf, welche Erfahrungen ich als Musikerin haben würde. Letztlich habe ich Philosophie studiert, weil es mir Spaß gemacht hat. Eigentlich wollte ich Anwältin werden. Philosophie lehrt dich, richtig zu lesen, Dinge zu behalten und über den eigenen Tellerrand zu blicken. Und als Songwriter musst du meiner Meinung nach all diese Dinge tun. Du wirst kein Schriftsteller sein, solange du nicht auch Leser bist. Und du wirst auch kein guter Schriftsteller sein, solange du nicht einzigartig denkst. Philosophie ist ein gutes Feld, dich darauf vorzubereiten.“
Ihre bevorzugten Autorinnen seien „Simone de Beauvoir und Simone Weil. Camus, Sartre, Kierkegaard – das ist der Stoff, für den ich mich interessiere. Weniger die analytische Philosophie, auch wenn ich viele Analytiker gelesen habe.“
Wichtiges Thema für Goodman ist die Darstellung des amerikanischen Südens. Sie scheint tief dort verwurzelt zu sein, hat immer in Kentucky gelebt. Schon der Titel ihres ersten Albums Kudzu, das sie als Mitglied der Band The Savage Radley veröffentlichte, stellt den Bezug zum Süden her: „Kudzu ist eine Weinart, die im Süden stark vertreten ist, eine invasive Art, die früher zur Erosionskontrolle dort verbreitet wurde, die dann aber überhandgenommen hat und jetzt Teil der Kultur ist.“
Insbesondere bei der Darstellung von Klischees des amerikanischen Südens in den Medien fühlt sich Goodman berufen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten einzuschreiten: „Ich mag diese Klischees nicht, ich komme ja von da. Es kommt mir oft so vor, als ob das Thema in den Medien falsch dargestellt wird. Und als jemand, der von dort herkommt, glaube ich sagen zu können, dass das Thema meistens von den Menschen falsch dargestellt wird, die nicht von dort herkommen. Es fühlt sich für mich also ein bisschen so an, als sei es meine Pflicht, sich nicht vor den Problemen weg zu ducken, die es natürlich gibt, aber auch von der Schönheit und der Komplexität des Ganzen zu sprechen.“
Von da springt das Gespräch irgendwie wieder zum Thema Musik zurück, zum Beispiel zu prominenten Kollegen aus Kentucky, wie Bonnie Prince Billy: „Ich kenne ihn persönlich. Ich liebe seine Sachen, ich bin großer Fan. Er ist einer der größten Songwriter Kentuckys.“
Oder zu Jim James von My Morning Jacket, der ihr erstes Album produziert hat. Wie ist es dazu gekommen? „Ich habe einen Freund, der auch Jim kennt, der sich so ein Demo von mir anhören konnte.“
Ein freundschaftliches Verhältnis pflegt sie auch zu Riley Downing, der als Mitglied der tollen Deslondes und solo seinem eingeschlagenen Roots-Pfad folgt. „Wir sind jetzt nicht allerbeste Freunde oder so. Aber wir haben dieses Jahr einige Zeit zusammen verbracht und konnten mal zusammen abhängen. Er ist einfach ein angenehmer Typ, ein richtig bodenständiger Mensch.“ Eine musikalische Zusammenarbeit sei aber vorerst nicht zu erwarten: „Ich würde wirklich gerne, aber so gut kennen wir uns auch noch nicht. Aber ich denke, dass es gut wäre, das in Zukunft mal zu machen.“
Was für Musik höre sie denn gerade so? „Ich habe in letzter Zeit tonnenweise Musik gehört, aber nur so Synth- und Beatsachen, Meditationsmusik. Und überhaupt keinen Songwriterkram in den letzten Monaten. Ich habe versucht, mehr zu lesen als Musik zu hören. Ich habe nämlich ein Ziel: Ich will alle Bücher James Baldwins lesen. Er ist ein großartiger amerikanischer Schriftsteller, ich würde sogar sagen einer der besten. Eines der letzten Bücher, die ich von ihm gelesen habe, war Wie lange, sag mir, ist der Zug schon fort. Es ist wunderschön! Momentan lese ich gerade Im Hinblick von ihm. Seine bekanntesten Werke sind wohl Schwarz und Weiß und Gehe hin und verkünde es vom Berge. Ich mag seine Art und Weise zu schreiben so sehr, dass ich mir dachte, warum lese ich nicht alles, was er geschrieben hat?“
„Das einzige Problem ist, dass ich kein Fernsehen oder Filme schaue. Und er hat vieles zum Thema Rassismus im Film, im Kino und der amerikanischen Gesellschaft kommentiert. Also muss ich zunächst viel recherchieren und mir die Filme anschauen, bevor ich seine Kommentare richtig verstehe.“
Kein Fernsehen zu schauen, entspreche ja überhaupt nicht den Klischees, die Europäer gegenüber Amerikaner*innen haben. „Ich habe keinen Fernseher, weil ich eine Zwangsstörung habe. Bilder mit Gewalt oder Suspense finden also einen guten Unterschlupf in meinem Kopf.“
Und was ist für S.G. Goodman die perfekte Musik zum Losfahren und Unterwegssein? „Mdou Moctar, eine afrikanische Band, die ich jetzt schon ein paar Jahre höre. It's just high energy good music!“
Eine Frau, die selbst so gute Musik macht, muss wissen, wovon sie spricht!
Words: Andreas Paßmann
Photo: Volker Ebert (Tønder, 22.08.2024)