TUCKERVILLE FESTIVAL 2019

07.09.2019 Enschede

Americana, Folk, Pop: Rund 15 000 Besucher folgten Anfang September dem Ruf des dritten Tuckerville Festivals, das damit ausverkauft war. Was vielleicht auch erklärt, warum die Infrastruktur vor Ort der anreisenden Menschenmasse nicht gewachsen war: Die letzten Kilometer zum Gelände des Erholungsparks Het Rutbeek nahe des niederländischen Enschede schleppt sich der Verkehr nur noch so mühsam heran, dass man auch mit gutem Zeitmanagement Nationalheldin Ilse DeLange (The Common Linnets), die das Festival eröffnet, und vor allem Ferris & Sylvester verpasst. Was schon schade ist, denn dem Folk-Pop und Blues-Exkursionen des Londoner Duos hätte man dann doch gern gelauscht. Doch das malerisch an einem See gelegene und mit Riesenrad liebevoll dekorierte Festivalgelände tröstet erst einmal darüber hinweg, bevor einem ein Regenschauer der übelsten Art einen Strich durch die Rechnung macht.

Glücklicherweise finden die wirklich interessanten Konzerte des Ein-Tages-Festivals allesamt in überdachten Locations statt. So entzückt das Trio Gold Star in einer alten Scheune mit hochwertigem Songwriter-Folk-Pop und einem Gesang, der in Phrasierung an Dylan und in der Stimmlage an den jungen Mick Jagger denken lässt. Der in Österreich geborene und in Los Angeles lebende Marlon Rabenreither, das Mastermind hinter der Band, erweist sich dabei mit seinem Songwriting als früher Meister, was das Hören des Debütalbums Uppers & Downers uneingeschränkt bestätigt – sehr empfehlenswert! So wie das gesamte Tuckerville, das mit Asleep at the Wheel viel zu selten in Europa gesehene Gäste im Repertoire hat. Die seit 1970 mit wechselnder Besetzung bestehende Formation, der unter anderem schon Rosie Flores, Bob-Dylan-Bassist Tony Garnier oder Cardinals-Gitarristin Cindy Cashdollar angehörten, gibt im großen Zelt eines ihrer raren Gastspiele, das mit 45 Minuten leider viel zu kurz ausfällt (was ebenso für andere Konzerte gilt und dem durchgetakteten Tagesplan zu verschulden ist). Bandleader und einziges Original-Mitglied Ray Benson dirigiert das Ensemble auch im 50. Jahr seines Bestehens stilsicher und mit der Lässigkeit eines alten Hundes über Genregrenzen hinweg. Ob Bob Wills wirklich noch immer der König in Texas ist, darf angezweifelt werden, aber die Western-Swing-Version von Bob Wills is still the King (Waylon Jennings) lässt keinen Zweifel daran. Aber eben auch abseits Bob Wills‘ Hoheitsgebiet sitzt die Band souverän im Sattel, sei es beim Ausritt in Richtung Süden mit dem Tex-Mex von South of the Border (down Mexico Way), auf dem Schiff Johnny Cashs Big River folgend oder bei Sleepy John Estes‘ Milk Cow Blues. Dynamik, Spielfreude und Virtuosität geben sich bei Benson und seinen sieben, meist deutlich jüngeren Mitstreitern die Klinke in die Hand: Ausgedehnte Soli geben den Instrumentalisten an Klarinette, Saxofon, Pedal Steel und Fiddle ausreichend Gelegenheit, ihr Können in Country, Jazz und Western-Swing unter Beweis zu stellen. Interessanterweise folgt auf gleicher Bühne im direkten Anschluss ein Auftritt Sam Outlaws, was man fast schon als symbolisch interpretieren kann: Outlaw bezeichnete schon zu Beginn seiner Karriere das Bob-Wills-All-Star-Tribute-Albums von Asleep at the Wheel als Blaupause für Country-Musik. Hier schließt sich also irgendwie ein Kreis; von einer Art Fackelübergabe von einer älteren Generation an eine jüngere will man hier aber dennoch lieber nicht sprechen: Dafür sind die meisten Mitglieder von Asleep at the Wheel nicht nur zu jung, dafür sind Outlaws aalglatte Country-Songs auch zu dünn.

Auf der Hauptbühne geben sich gleichzeitig die großen holländischen Acts wie Douwe Bob oder Blof und Headliner James Morrison die Ehre, worin auch die große Stärke des Tuckerville Festivals liegt: Mit dem musikalischen Spagat aus Pop und Roots schafft es der Veranstalter, ein Mainstream-orientiertes Publikum ebenso anzuziehen wie die Liebhaber von Nischenmusik. Für die hat das Tuckerville mit The Steel Woods, Dylan LeBlanc oder den Teskey Brothers weitere Schmankerl im Angebot. Apropos Teskey Brothers: Was die Australier da im großen Zelt mit dem Songs ihres zweiten Albums Run Home Slow im Gepäck aufführen, ist schon großes Kino und so etwas wie die Definition von Retro-Soul. Sänger Josh Tesky muss nur zum ersten Mal den Mund aufmachen und bekommt schon Applaus für sein Organ, das bereits mit Otis Redding und Wilson Pickett verglichen wurde, mit den ganz Großen also. Wenn dann noch gekonntes Songwriting und instrumentales Virtuosentum dazukommen, was man den Teskey Brothers nach dieses Auftritt im Schlaf attestiert, tja, dann steht einer zumindest künstlerisch glorreichen Zukunft nichts mehr im Wege. Das gilt auch für das Tucker Festival, das trotz schlechten Wetters mit einem vielseitigen Line-Up zu überzeugen wusste. Roadtracks kommt gerne wieder!

Bericht: Andreas Paßmann

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