TøNDER FESTIVAL 2024
Schon viele Lobeshymnen wurden auf diesen Seiten auf das dänische Tönder Festival gesungen. Dieser Tradition gehen wir auch dieses Jahr nach, da das Festival auch 2024 wieder ein überragendes Lineup aus Folk, Roots und Americana zu bieten hatte – und nebenbei sein 50. Jubiläum feierte. Herzlichen Glückwunsch also!
Den Auftakt zur Jubiläumsausgabe macht am Mittwoch Jake Vaadeland im Spiegelzelt. Der junge Kanadier scheint eine alte Seele zu sein und sich keinen Song mehr angehört zu haben, der nach 1955 entstanden ist: Sun Records, Johnny Cash, Bluegrass und Rockabilly liegen in der Luft, wenn Vaadeland mit seinen Sturgeon River Boys die Zeit um Jahrzehnte zurückdreht. Anstatt sich von übergroßen Vorbildern wie Cash & Co zu emanzipieren, ist deren Werk identitätsstiftend für das eigene künstlerische Schaffen. Vaadeland ist sich dessen aber nur allzu bewusst, wie der Song- und Albumtitel Retro Man beweist. Dass der Mann dann auch noch aus einer Stadt namens Big River (!) in Saskatchewan kommt, ist fast zu schön, um wahr zu sein. Fazit: Retro at its best!
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Gleichzeitig liefert Foy Vance, der Mann mit dem pittoresken Schnauzbart, der durch seine Auftritte im Vorprogramm von Elton John und Ed Sheeran bekannt geworden ist, einen soliden Soloauftritt an Gitarre und Klavier im großen Zelt ab, bei dem sein Hit Guiding Light natürlich nicht fehlen darf.
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Mit ihrer ganz eigenen Mischung aus Folk, Country und Psychedelic entzückt im Anschluss Kassi Valazza wieder im kleinen Spiegelzelt. Roadtracks konnte sich bereits beim letztjährigen Take Root in Groningen ein Bild von der Ausnahmekünstlerin machen, die hier im Trio Songs ihrer beiden hervorragenden Studioproduktionen und einen Ausblick auf das voraussichtlich nächste Jahr erscheinende Album bietet. Die Erwartungen daran sind jetzt schon groß!
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Valazzas Niveau können The Hello Darlins um Sängerin Candace Lacina dann bei weitem nicht halten: Wie beim letztjährigen Static Roots Festival in Oberhausen präsentiert sich die kanadische Formation, die sich aus profilierten Sessionmusikern zusammensetzt, als bessere Coverband, die auch ein paar Eigenkompositionen im Gepäck hat – die aber auch nicht groß der Rede wert sind.
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Was sich nun von den Eigenkompositionen Sivert Høyems nicht behaupten kann: Der Frontmann von Madrugada überzeugt auch auf Solopfaden, wie zuletzt das 2024 erschienene Album On an Island beweist, das im Mittelpunkt des abendlichen Auftritts auf der großen Open Air Bühne steht. Trotz zunächst überschaubarem Publikum hat man Høyem selten so locker, entspannt und dankbar (mit Kniefall vor dem Publikum!) gesehen. Guter Mann, gutes Konzert – und insgesamt ein famoser erster Festivaltag!
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Am Donnerstag Mittag demonstriert Katie Pruitt dann auf der Hauptbühne, wie sich ihre Musik verändert hat: Vor zwei Jahren präsentierte die Frau aus Nashville im Duo harmlosen Folkpop, der jetzt einer richtigen Band und einer guten Portion Rock'n'Roll weichen muss. Leider macht das Wetter in Form einer kräftigen Regenfront dem Auftritt einen fetten Strich durch die Rechnung, weshalb der Autor vorzeitig das Weite bzw. einen Regenunterschlupf suchen muss.
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Wie gut, dass das Konzert von Vincent Neil Emerson danach im kleinen Spiegelzelt stattfindet. Der Texaner mit indigenen Wurzeln hat die Troubadour Traditionen seines Heimatstaates zutiefst verinnerlicht: Dass sein größtes Vorbild Townes Van Zandt ist, ist nicht zu überhören, dafür braucht es nicht einmal die beiden Cover White Freight Liner Blues und Dead Flowers, das ja eigentlich von den Stones stammt und in Van Zandts Version durch den Big Lebowski Soundtrack populär wurde. Im Mittelpunkt des Soloauftritts stehen aber Songs aus den beiden letzten Alben Emersons, die von ein paar zusätzlichen Covern ergänzt werden: Wild Mountain Thyme, If I were a Carpenter in der Version Ramblin' Jack Elliotts und Elizabeth Cottens Freight Train.
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Im großen Zelt geht es dann weiter mit Mary Gauthier und Jaimee Harris: Erstere muss man wohl nicht mehr vorstellen. In Jaimee Harris hat Gauthier eine (Kreativ)-Partnerin gefunden, mit der sie Bett und Bühne teilt. Es habe neun Alben gebraucht, um ein glückliches Liebeslied zu schreiben, so Gauthier, was aber mit Jaimee so viel einfacher geworden sei: „Thank god for you!“ Es ist auch für den Zuschauer ein Glück, dass die beiden sich gefunden haben, denn Harrris bereichert mit ihrer schönen Singstimme Gauthiers Songs enorm. Und die hat mit Songs wie Last of the Hobo Kings oder Another Train sowieso schon einiges zu bieten. Höhepunkt des Konzerts, das allein mit zwei Stimmen und zwei Gitarren in den Bann zieht, ist Mercy Now – das Stück, das Gauthier bei jedem ihrer Konzerte spielt, wie sie in ihrem mehr als lesenswerten Buch Saved by a Song schreibt. Da möchte man auch als Ungläubiger fast rufen: Thank god for Mary and Jaimee!
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And for S.G. Goodman! Denn was die Frau aus Kentucky da im kleinen Spiegelzelt aufführt, hat große Klasse: Spätestens mit ihrem zweiten Album Teeth Marks hat sie bewiesen, dass sie keine Vertreterin klassischer Americana ist – auch wenn ihr die Americana Music Association letztes Jahr den Award als Emerging Artist of the Year verliehen hat. Die Indie- und Punksounds auf Teeth Marks, die dem Auftritt einen ungemein energetischen Anstrich geben, wurden wohl überhört.
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Rank und schlank, in Topform und gut bei Stimme gibt sich dann Altmeister Rodney Crowell auf der großen Freiluftbühne bei einem seiner rar gesäten Europagastspiele. Klein, aber fein ist die Besetzung, die Crowell dafür mitgebracht hat: Als Gitarrist setzt niemand Geringeres als Kerry Marx, seit 2018 Music Director der Grand Ole Opry, die richtigen Akzente, als Fiddler der gebürtige Brite Eamon McLoughlin, seit 2016 Mitglied der Opry. Da kann also mit Songs wie Leaving Louisiana in the broad Daylight, It ain't over yet und Stuff that works (Co-Autor: Guy Clark) nix mehr schiefgehen!
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Für Roadtracks startet der Freitag dann im großen Zelt mit dem jährlich stattfindenden Women's Circle: Die Absicht dabei ist es, in lockerer Atmosphäre unterschiedlichste Künstlerinnen auf der Bühne zu vereinen. Dieses Jahr sind es Mary Gauthier, Jaimee Harris, Julie Fowlis, Candace Lacina von den The Hello Darlins und die Dänin Signe Svendsen, die reihum ihre Songs präsentieren und mit Anekdoten sowie Hintergründen ergänzen.
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Erst letztes Jahr auf dem Tönder Festival zu Gast, sind Jim Lauderdale & The Game Changers zur Jubiläumsausgabe wieder hochwillkommen: Die junge Begleitband spielt wie letztes Jahr mit sichtlichem Vergnügen groß auf und präsentiert die Songs des erstaunlich umtriebigen Veteranen als satten Country-Rock. Der Sympathieträger lässt den Game Changers gewohnt viel Freiraum und zwei Lieder von Lillie Mae singen, die bereits auf drei Alben unter eigenem Namen auf Jack Whites Label Third Man Records zurückblicken kann.
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Die dem Autor bis dahin unbekannt gebliebenen Drew Holcomb and the Neighbors erreichen ihn dann weitem nicht so wie Lauderdale und seine Game Changers. Dafür klingen Holcomb & Co zu oft wie eine dieser beliebigen Folkpop-Bands, die nach dem großen Erfolg von Mumford & Sons eine Zeit lang wie Pilze aus dem Boden schossen. Individuell und inspiriert klingt anders!
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Das rückt dann Rickie Lee Jones auf der Hauptbühne abends wieder gerade: Schon der Auftakt, ein akustisches Sympathy for the Devil, lässt mit Jones nicht unbedingt schöner, aber einzigartiger Stimme aufhorchen. Im kleinen Trio kommen die sich oftmals Genreschubladen entziehenden Songs genau richtig, darunter auch ihr größter Hit Chuck E.'s in Love. Sympathisch ist dabei auch ihr Geständnis: „I don't know where we are, but I really like it here.“ Und damit ist für Roadtracks auch schon der dritte Festivaltag zu Ende.
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Umso besser, dass der Samstag dann genauso gut anfängt, wie der Freitag aufgehört hat: Denn auch wenn die Wood Brothers nach eigener Aussage aufgrund ihres Gigs am Abend zuvor auf demselben Festival zu wenig Schlaf bekommen haben, hindert sie das nicht daran, ein bluesbasiertes, energetisches Set zu spielen, das nicht nur die handwerklichen Fähigkeiten des amerikanischen Trios ausstellt und das mit einem triumphalen Ophelia Cover von The Band endet.
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Geschwisterlich geht es danach auch mit den McCrary Sisters weiter: Die drei Damen haben als Töchter eines Baptistenpredigers Gospel wahrscheinlich schon mit der Muttermilch aufgesogen, den sie für ihre eigene Version davon aber mit Soul, Disco und Funk aufplustern. Wer also Amazing Grace oder ähnliches erwartet, liegt hier falsch, stattdessen gibt’s hier auf Party getrimmten Gospel und Ansagen wie die folgende: „God loves you and cares for you. And we came here to let you know.“ Hm. Atheisten und vom Glauben abgefallen werden sie damit nicht bekehren, ebenso wenig wie mit ihren Songs.
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Dann schlägt die große Stunde des alten Mannes: Der 73-jährige Ray Benson, der seit über einem halben Jahrhundert Asleep at the Wheel vorsteht, präsentiert sich im weißen Nudie Suit mit Sonnenbrille in Hochform, ebenso wie sein Ensemble: Songs wie Miles and Miles of Texas, Route 66 oder Hank Williams`Jambalaya im Cajun-Sound machen das Konzert zu einer Party, zu der das Publikum irgendwann die Stühle verlässt und vergnügt das Tanzbein schwingt. Grandios ist auch die herrlich wehmütige Version von Red River Valley mit Cajun-Akkordeon, bevor dann traditionell für das Tönder Festival das große Finale steigt: Dazu kommen die anderen, noch anwesenden Künstler wie Jim Lauderdale und Brent Cobb auf die Bühne, um mit Asleep at the Wheel die offizielle Hymne des Festivals zu singen, Will the Circle be unbroken.
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Ein Review von Andreas Paßmann
Photos: Volker Ebert