Sommerkonzert-Triptychon Juli '24
Köln, Düsseldorf, Mülheim/Ruhr: 3 Songwriterinnen, 3 Bands, 3 Sommerkonzert-Varianten. Erst am 12.07. (köln-)typisch: ein vollgestopfter, enger Club, fast ausverkauft - da möchte man nicht prüfen, wie es im Gebäude 9 zugeht, wenn ausverkauft ist. Aber das Waxahatchee-Konzert selbst ist eine runde Sache. Mit Schwung präsentiert Katie Crutchfield ihre letzten beiden, leicht countryfizierten Alben St. Cloud und Tigers Blood. Crutchfield macht wenig Worte und lässt ihr Gesicht und die Songs sprechen. Die Band spielt tight und auf den Punkt; bis auf zwei, drei austauschbar klingende Stücke zu Beginn rollen Waxahatchee über uns hinweg wie ein steam train durch die Steppen Amerikas; besonders MJ Lenderman, Leadgitarrist der Extraklasse, ragt aus dem wie aus einem Guss aufspielenden Ensemble heraus. Das hat Laune gemacht!
Am 18.07. dann nach Düsseldorf, zur Seebühne am Schwanenspiegel. Das ist schon sommerlicher: die Bühne, auf der Mina Richman und ihre Band stehen, treibt nah am Seeufer, ab und zu fliegt ein Reiher drüber, später zieht der Vollmond auf. Nur der Autoverkehr drumherum stört die Idylle, so dass die Zuschauer von den Machern des asphalt-Festivals mit Kopfhörern ausgerüstet werden. Dass Mina Richman, bürgerlich Mina Schelpmeier, aus Ostwestfalen stammt, auf Lehramt studiert und vieles mehr, erfährt man in ihren mäandernden, witzigen Zwischenmoderationen. Die Musik der Newcomerin und ihrer wunderbar zusammenspielenden Band ist abwechslungsreicher, groovender Folkpop mit Soul-Appeal. Richmans Stimme vor allem platzt vor Amy Winehouse - Vibes und ist doch ihre ureigene. Als sie gegen Ende des Sets ihr viral gegangenes Lied Baba Said ankündigt, wird sie ernst: das Lied widmete sie Jina Mahsa Amini, die 2022 vom iranschen Regime ermordet wurde. Sie trug kein Kopftuch. So lange werde sie das Lied spielen, bis das Regime gestürzt ist, sagt Richman.
Grown Up heißt ihr gelungenes Debütalbum, welches live, zumal über die Kopfhörer, wunderbar klingt. Beim nächsten Mal erleben wir die Band gerne wieder direkter mit dem Sound in our faces, aber es ist unser erstes Mina Richman - Konzert, und so gehen wir dankbar durch den milden Abend zum Bahnhof.
Und es bleibt am 26.07. sommerlich mit der Open Air - Bühne am Ringlokschuppen in Mülheim/ Ruhr, direkt am Radschnellweg RS1 gelegen. Im Rahmen des von WDR Cosmo ausgerichteten Odyssee-Festivals spielen Derya Yıldırım & Grup Şimşek vier Tage hintereinander im Ruhrpott; neben Mülheim sind noch Hagen, Recklinghausen und Wattenscheid dabei. Das zahlreich erschienene Publikum macht es sich erst überwiegend bequem auf Wiese und Treppenstufen, aber der Sog, den die Band erzeugt (wir berichteten im November '23), hält schon bald kaum noch jemanden auf seinem Platz; vor der Bühne wird es voll, es wird getanzt und mitgesungen. Vor allem die erfreulich zahlreich vertretenen Deutschtürkinnen und -türken singen und klatschen mit; sie kennen die Lieder, die oft - wie z.B. auch bei Altin Gün - anatolische Volkslieder oder vertonte Gedichte sind.
Yıldırım singt sie mit gebirgsbachklarer Stimme, spielt dazu fantastisch ihre Bağlama (Langhalslaute), und Helen Wells an den Drums, Graham Mushnik an Orgel, Synthesizer und Antonin Voyant an Lead- und Bassgitarre (sowie 1x an der Querflöte) vereinen den Folk mal mehr mit Rock und Blues à la The Doors, mal mit einem Schuss Jazz, aber immer tanzbar und mitreißend. Diese Band lohnt sich immer - im November und Februar wird es wieder vereinzelt Deutschlandtermine geben.
Bis dahin: am 04.08. um 18h wird - oder wurde, je nach RoadTracks-Redaktionsschluss ;) - das vom WDR aufgezeichnete Mülheimer Konzert, leicht gekürzt, auf WDR Cosmo gesendet. Das kann hoffentlich auch nach dem Sendetermin noch abgerufen werden. Genau wie die Doku Songs für Gastarbeiter: Liebe, D-Mark und Tod übrigens, die die bis heute sträflich übergangene Geschichte des anatolischen Folk in Deutschland und seiner Überführung in moderne Sounds aufarbeitet. Diese Hausaufgabe erledigen wir schnellstmöglich, Frau Yıldırım!
Text: Frank Schwarzberg
Foto: Odyssee: Musik der Metropolen