THE MILK CARTON KIDS

Mai 2019 Interview

Ein Samstagnachmittag im schönen Sauerland. Das Interview mit den beiden ist im Kasten; wir suchen was zu essen, nicht zu weit vom Kulturhaus, wo später The Milk Carton Kids, also Kenneth Pattengale und Joey Ryan, die Wiedergänger und Erneuerer des Folk im Geiste der Everly Brothers oder von Simon & Garfunkel, ihr sehnlich erwartetes Konzert geben werden. Wir stehen nur einen kleinen Moment unschlüssig auf dem alten Marktplatz in Lüdenscheid, da fragt uns schon ein freundlicher, älterer Herr, ob er uns helfen kann, und erklärt uns, was wir wissen müssen. Nett hier! Und vorher im Interview, welches hier zu lesen ist, gab es eine Stelle, an die ich nun denken muss. Denn auch wenn der freundliche Herr offenkundig nicht zum Konzert geht später: er weiß Bescheid, dass „die zwei Amerikaner“ abends da spielen, und er ist auch ein bisschen stolz, dass der WDR am Vortag eine Ankündigung im TV brachte. Immerhin ist es das einzige NRW-Konzert der beiden; und es ist, anders als z.B. in Berlin oder Amsterdam, ein Event für die ganze kleine Stadt.

Meine erste Begegnung mit euch war im Radio, beim Hören der Bob Harris Show auf BBC 2...

Ah ja…: “Whis-pering Bob“. Das ist eine gute Sendung. (Anm.: kommt nicht mehr; es gibt noch 1x wöchentlich die einstündige Bob Harris Country Show)

...das muss so 2012 gewesen sein. Ich war gleich begeistert, und es erinnerte beim ersten Hören an vergangene, bekannte Musik… Meine zweite Erfahrung war live in Köln, und die erste Reaktion, wenn man euch live auf youtube oder in echt sieht, ist immer, dass einen der Humor in der Performance packt, eure Frotzeleien zwischen den Songs. Ergibt sich das eigentlich natürlich, oder habt ihr euch überlegt, das so zu machen, um euch auf diese Weise abzuheben von anderen?

Oh, das kommt sehr natürlich. Ich bin sicher, jeden Moment wird Joey hier zur Tür hereinkommen und ausprobieren, wie natürlich sich das ergibt. Wir sind wie Wasser und Öl, sozusagen, aber zusammengenommen sehr auf den Punkt und sehr angenehm, das ist im Eintrittspreis inbegriffen, und wie sich herausstellt auf der Bühne, ist es auch unterhaltsam - für die Leute… Stell dir allerdings dann vor, du gehst von der Bühne, und das geht nahtlos so weiter die restlichen 23 Stunden des Tages: im Auto, im Hotel usw.

Und wie ist das dann?

Manchmal ist es lustig, manchmal ist es sehr bemüht; weißt du, da sind keine Leute, die lachen, wenn es passiert. Das ist der Hauptunterschied. Nur wir zwei sind da. Also stell es dir einfach ohne Lachen dazu vor und frag dich selbst: ist das noch lustig? Manchmal: ja – manches Mal: nein. Aber dies ist das Leben, das wir uns ausgesucht haben. So ist das einfach. In vielerlei Hinsicht ist es das gleiche wie mit der Musik: wir versuchen nicht eine Idee zu verwirklichen, sondern arbeiten einfach mit dem, was uns gegeben und passiert ist: dass wir uns getroffen haben, und spielen, und zusammen Musik schreiben, und singen. (Anm.: Joey kommt ‘rein, setzt sich und knabbert sofort los.) Das ist Frank, von RoadTracks (...) das ist Joey. Er ist der Große.

Ich weiß.

Aber es ist wie bei der Musik, indem...

Joey: Kenneth ist auch groß. (Aha.) Wie lang braucht ihr noch? Ich bin gerade mittendrin bei einer Sache, danach komme ich gleich zurück.

(Joey verlässt den Raum)

Kenneth: Nochmal zum Humor auf der Bühne: für mich ist das ein gutes Gegengewicht zu den traurigen Songs. Also gibt es für mich keinen Grund das ‘runterzuschrauben, da ich denke, es bereichert das Gesamterlebnis. Ich glaube, auch in der Hinsicht, dass das Publikum Intimität, Vertrautheit liebt. Schon unsere Musik fühlt sich in Teilen intim an. Und wenn du dann im Zuschauerraum sitzst und eine andere Seite erlebst, hast du beim Nachhausegehen das Gefühl, Freunde besucht zu haben, nicht irgendeinen Musikstar, den du dir in Gedanken vorgestellt hast. Aber natürlich ist das auch knifflig, denn wir sind ja immer noch auf einer Bühne, das heißt, wir sind nicht jedermanns Freunde, es gibt immer noch eine Grenze. Aber in dem Maße, dass jemand unsere Musik wertschätzen kann, auf unsere Musik anspricht, kann dieses Erlebnis (Anm.: der Witz) die Reaktion nur weiter diversifizieren und bereichern. So gibt es mehrere unterschiedliche Blickwinkel, und das macht das Ganze komplexer und realer. Ich finde, das ist eine gute Sache.

Nimm mal als Beispiel Bob Dylan: nach all den Jahren umgibt ihn immer noch diese Aura des Mysteriösen. Dieser Faktor spielt hinein in die Art, in der Menschen seine Musik hören, seine Worte lesen und seine Kunst aufnehmen. Vielleicht wäre das ganz anders, wenn er sich nicht so geben würde. Damit meine ich nicht, dass ich das schlecht finde, ich meine damit, dass es die Art, wie man seine Kunst und seine Performance aufnimmt, beeinflusst. Oder Tom Waits: seine gesamte Karriere lang hat er Leute dazu gebracht, ihn kennenlernen zu wollen, und dann errichtet er diese interessanten Mauern an einigen Stellen, was dann sehr stark selbst zu einem Element seines Charakters wird und bedeutsam dafür, wie die Musik gehört wird. Jetzt mögen Bob Dylan und Tom Waits Genies sein auf eine Art, in der ich keins bin und Joey keins ist. Insbesondere wenn wir uns vom Publikum auch so abschotten würden, würde das nichts bewirken. Vielleicht haben sie ja einen masterplan hinter den Kulissen, aber für mich bedeutet eine Verbindung zum Publikum aufzubauen, dass du dich bemühen musst, wahrhaftig zu sein. Und du musst alles daransetzen zu sagen, was dir am Herzen liegt, so dass es etwas bedeutet und Gewicht hat. Wenn wir also so viel Energie unseres Lebens auf diesen Anspruch verwenden, dann gibt es auch diesen Aspekt, wenn wir hinterher ‘rausgehen, und da steht vielleicht ein Fan an unserem Bus oder an unserem Auto, oder jemand sieht dich in einem Café und möchte mit dir reden, dass wir dann so anständig sind unser Publikum zu schätzen und mit ihnen zu sprechen.

Nicht wegzulaufen oder uns zu verstecken, denn so steigt ihre Wertschätzung für die Musik, weil es so authentischer ist (truthful to who we are). Wenn wir mit niemandem reden wollten und und uns nichts an dieser Verbindung liegen würde, wäre das auch okay, dann wäre das authentisch. Wir sind einfach nette, normale Leute, nicht so eine Art abgehobene Superstars.

(Joey kommt wieder dazu.)

Dieser Kontrast von Humor in der Performance und Traurigkeit in den Songs: du sagtest vorhin, dass auch dieser traurige Touch sich natürlich ergibt. Wo kommt der her, seid ihr mit ähnlicher Musik aufgewachsen, oder entspringt dieser Ton eurer Stimmung?

Ich würde das gerne etwas geraderücken: es nicht alles traurige Songs, aber sie wirken wie traurige Songs. Joey: Das ist gut ausgedrückt. K.: Hübsche Songs vermengen sich im Bewusstsein mit den traurigen, da man nicht dazu tanzen kann. Aber sie sind nicht alle traurig und sollen es auch nicht sein. Das wäre ein Missverständnis. Es gibt vielleicht so eine menschliche Neigung, Angst zu entwickeln, sobald man etwas an der Oberfläche kratzt und überhaupt Emotionen offenlegt. Besonders Deutsche, könnte ich mir vorstellen. Deutsche sind berühmt dafür, stoisch in ihren emotionalen Äußerungen zu sein. Wie auch immer, ich denke, es ist nur menschlich,...

CLANG (Anm.: Ein metallisches CLANG erschüttert die Aufnahme; Joey hat während dieser Ausführungen mit Kameraverschlüssen gespielt, die auf dem Tisch liegen, und einer hat sich selbständig gemacht...)

Kenneth: ...wenn man sich die Kulturgeschichte anschaut, ist es eine Geschichte des fortschreitenden Abbruchs der Mauern der Intimität (tearing down the walls of intimacy). Die Leute haben Angst vor Intimität, sie fühlen sich unbehaglich dabei. Aber egal ob hübscher Song oder trauriger, wenn es intim wird, zieht dies Menschen an, vielleicht weil sie etwas hören, dass etwas anspricht in ihnen, von dem sie glauben, dass sie nicht darüber reden dürfen. Und gleichzeitig fühlt es sich aber anders, neu an. Oft ist das erste Mal im Leben, dass man so empfindet, etwas Trauriges. Traurigkeit ist erstens unangenehm und zweitens verstörend, Verzweiflung etwas Unbekanntes, so betrachtet. Pretty songs können diese Gefühle auch auslösen, wenn sie dir ‚zu‘ nahekommen.

Meine Hörerfahrung mit euren Songs ist eher, dass sie an der Oberfläche voller Harmonie(n) sind, aber darunter brodelt es, gibt es gefährliche Strömungen.

Na ja, du möchtest nicht unbedingt in trübem Moll darüber singen, wie glücklich dein Tag ist, das wäre ja Quatsch. Manchmal musst du ein Bild malen, das ein wenig dunkler ist.

Eine Seite dieser Dialektik ist euer Gitarrenspiel, Joey mit seinem Spiel nah bei der Songstruktur, während du, Kenneth, dann mit diesen Strukturen und um sie herumspielst, fast den Folkbereich verlässt und Jazzelemente in deinem Spiel hast. Was sagt ihr vor diesem Hintergrund zu vereinzelten Kritikern, die eure Musik als ein bisschen zu ‚nett‘ und harmonisch beschreiben?

Ich weiß nicht, was sie von uns erwarten. Das würde ich ihnen sagen. Was erwartet ihr denn? Wenn du etwas anderes willst, dann hör dir doch Ed Sheeran an. Er haut viele Rhythmen ‘raus und singt die Melodie, wenn das dein Ding ist, bitte.

Joey: Ich stimme dir zu: wenn das die Kritik ist, dass die Musik sich zu gefällig anhört, damit können wir leben. Aber klar, manchmal möchte man auch etwas Dissonantes hören, etwas musikalisch Unbehagliches. Unsere Musik hat das nicht, dann ist das so. Das hört sich jetzt vielleicht riskant an, aber das wäre, wie wenn man sagen würde: ich mag Picassos Gemälde sehr, aber dies hier sieht nicht wie ein Gesicht aus. Nun…: du solltest dir einen anderen Maler aussuchen, wenn du jemand sehen willst, der ein Gesicht malt, das nach einem Gesicht aussieht. Ich möchte natürlich auf keinen Fall den Eindruck erwecken, wir verglichen uns mit Pablo Picasso. It’s just what we do.

Ich habe das nur erwähnt, weil es diese Sichtweise eurer Musik auch gibt. Ich sehe das nicht ganz so: wenn man auf die Texte achtet, kann man mitunter Zorn hören, Kritik, wenn auch subtil, und das führt die Musik über eine reine feel good – Atmosphäre hinaus, die sich möglicherweise rein musikalisch beim ersten Höreindruck einstellt.

Was bedeutet euch die Live-Performance, verglichen mit der Studioerfahrung? Das gilt für viele Musiker, aber insbesondere bei euch finde ich, dass das Live-Erlebnis die Wirkung eurer Musik enorm verstärkt. Die Soli treten stärker hervor, die Persönlichkeiten kommen stärker zum Vorschein, der Gesang ist ein großer, organischer Sound...


Joey: Ich hoffe, das bezieht sich auch auf die vorherige Frage. Ich habe mich immer beschwert, wenn gesagt wurde, dass unsere Musik beruhigend wirke, man könne gut dazu einschlafen etc., denn auf mich wirkt es nicht beruhigend; ich bin nicht ‚ruhig‘, wenn ich das spiele. Es fühlt sich eher sehr riskant an (precarious) und gefährlich; die Musik aufzuführen ist überhaupt nicht friedlich. Folglich kann ich das nicht ganz nachvollziehen, was manche mit diesem ‚besänftigend‘ meinen. Und live, insbesondere bei dem, was Kenneth auf seiner Gitarre anstellt, kann man sehen, in welch riskante Situation wir uns begeben haben, und dass es alles jeden Moment entgleisen könnte. Vielleicht gibt es eine Spannung und eine Unmittelbarkeit in der Performance, die live stärker ‘rüberkommt. Wenn man es nicht vor seinen Augen passieren sieht, wirkt es vielleicht einfach zwangsläufig. Aber wenn du mitkriegst, wie wir versuchen die Songs zu performen, merkst du, dass es das tatsächlich nicht ist.

Kenneth: Hm, ich glaube, wir haben einfach bisher keine so guten Platten gemacht. Die letzte, die wir mit der Folkband gemacht haben, ist gut, finde ich, und ist sogar besser als unsere darauffolgenden Versuche der Live-Umsetzung. Wir haben die Band mitgenommen, und wir hatten ein paar nette Performances, aber wir...

Joey: ...haben den Level der Platte nicht erreicht.

Kenneth: Aber die anderen, die wir als Duo gemacht haben, Prologue, Ash & Clay und Monterey... Monterey ist unserer Idee vielleicht noch am nächsten gekommen...

...ja, wohl, weil ihr sie auch in Live-Venues eingespielt habt...

Ja, da haben wir viel Zeit darauf verwendet, den Sound richtig hinzubekommen und haben Performances ausgesucht, die lebendig ‘rüberkamen. Aber davor: das sind zwei Alben, und wir haben insgesamt gerade mal 6 Tage unseres Lebens damit verbracht sie zu machen… Im Gegenzug haben wir 500 Shows gespielt auf der Grundlage dieser 6 Tage. Und sie sind nicht wirklich gut. Es sind gute Alben, weil die Songs gut sind, wir ganz nett singen und es einigermaßen authentisch klingt. Aber wir hätten uns mehr Mühe damit geben können, und es gibt auch Leute, die mehr Mühe auf ähnliche Platten verwendet haben, mit besseren Ergebnissen. Sie erlangen eine Lebendigkeit in der Art, die du gerade angesprochen hast. Wenn du Steve Earles Aufnahme seines Songs Goodbye hörst, und, wie heißt er noch, Norman Blake spielt da die Dobro, aber not flashy, not like a wunderkind dobro player: he’s just playing music: diese Aufnahme ist magisch. Als ich sie zum ersten Mal hörte und jedesmal, wenn ich sie seit 15 Jahren nun immer wieder höre, spüre ich, dass diese Aufnahme ein Gefühl, einen Moment so einfängt, wie wir das auf unseren Platten nicht geschafft haben. Aber auf der Bühne, meistens jedenfalls, tun wir das. Teilweise denke ich, dass live zu spielen einfach besser zu uns passt...

Joey: ...es ist ja auch wie eine Probe: wie du schon sagtest, haben wir die Songs 600mal öfter gespielt als zu dem Zeitpunkt, als wir die Platten aufnahmen.

Kenneth: Sicher. Also Monterey ist in dieser Hinsicht schon ein ganz gutes Album, aber nicht mehr.

Die letzte Platte ist ja mit Band: seid ihr gerade mit Band unterwegs?

Joey: Nein, als Duo, aber wir spielen einige der neuen Songs. Sie klingen dann wie die Demos. Wir haben sie ja erst als Duo gespielt und dann mit der Band aufgenommen. Jetzt spielen wir sie so, wie wir sie geschrieben haben. Nicht, dass das sich unbedingt schlechter anhört. Es gibt dann nur halt keine steel guitar.

Ihr habt die Platte ja mit Joe Henry und seiner posse von Musikern, mit denen er sich umgibt, aufgenommen. Bei mir zu Hause stehen auch viele Alben, auf denen steht: produced by John Henry. Ihr habt ihn als einen eurer Helden bezeichnet. Wie war das mit ihm zu arbeiten, und wie war die Arbeit mit der Band? Das war ja auch etwas Neues für euch.

Ich glaube, es war einfach an der Zeit. Als wir Monterey geschrieben und aufgenommen und herausgebracht haben, waren wir gefühlt an einem Endpunkt. Es schien so, als ob den Leuten die Songs nicht so sehr gefielen wie uns, wir so unterwegs waren wie vorher schon. Es war also ‘mal Zeit für etwas anderes, fanden wir, anstatt das vierte Mal in Folge das Gleiche zu machen. Das war gut sich neu aufzustellen. Als Künstler ist das gesund sich ins Unbekannte vorzuwagen, wenn du nicht genau weißt, in welcher Richtung du weitermachen möchtest. Zumindest verringert es deine Angst davor, andere als von dir ausgetretene Pfade zu betreten. Das fühlte sich also schon ‘mal gut an. Und Joe Henry ist eine gute Wahl für so etwas. Es stimmt, er ist seit 20 Jahren einer meiner Helden, und ich bin froh sagen zu dürfen, dass er in den letzten 10 Jahren zu einem Freund geworden ist. Joey würde ihn wohl genauso beschreiben. Ich glaube es gibt keine andere Person, für die wir beide so ähnlich empfinden. Zum Glück hatte er Lust auf das Projekt.

Er ist ein empathischer Produzent, finde ich, der sich in die Songs und das, was man aus ihnen und dem jeweiligen Künstler herausholen kann, einfühlt, ohne seinen Anteil überzudosieren. So bekommen wir keine Joe Henry-Platte, sondern es ist immer noch eine Milk Carton Kids-, Solomon Burke- oder Bettye Lavette-Platte, aber mit diesem gewissen Mehrwert. Wie läuft das bei dir, Kenneth, du bist ja auch verstärkt als Produzent in Erscheinung getreten in letzter Zeit: ist das etwas Neues oder hast du das schon länger gemacht, ohne dass es öffentlich wahrgenommen wurde?

Von beidem ein bisschen. Ich mache das schon lange, aber es stellt sich heraus, dass der Job ein anderer wird, wenn man eine erfolgreiche Band hat, seit 8 Jahren. Man wird mehr respektiert, bekommt etwas mehr Geld, dir wird etwas mehr vertraut. Der Prozess der Entscheidungsfindung für Künstler ist ja schon merkwürdig im Musikgeschäft. Sie bringen ihren ganzen Ballast an Erwartungen mit, und wie sie mich dann sehen, hat sich verändert, seit ich diese Band habe. Meine Philosophie als Produzent ist vor allem, Leute nicht ihre eigenen guten Ideen kaputtmachen zu lassen (fuck up their own good ideas), denn sie neigen dazu. Eigentlich neigen alle Menschen dazu, aber besonders Musiker. Wenn man sie in alleine lässt in einem Aufnahmeraum, mit allen Knöpfen, gehen sie da auch immer ‘ran, aus Eitelkeit, und richten ein Riesenchaos an (until it’s a monstrous mess). Also besteht das Spiel hauptsächlich daraus sie aus dem Raum zu scheuchen, ab einem gewissen Punkt. Wenn sie also etwas von dir wollen, und du ihnen oft genug erzählst, wie du es geschafft hast, gibt es eine gewisse Chance, dass sie dir zuhören, wenn du sagst: “Get out of the room, you’re messin‘ it up.“ Ich habe das also schon eine Zeitlang gemacht, aber niemand hörte auf mich. Jetzt fangen sie an mir zuzuhören, und ihre Platten klingen gut.

Ja, ich habe ein paar Stücke von der neuen Joey Williams-CD gehört; das ist ja eurer Musik zumindest verwandt, aber ich bin auch großer Fan der Cordovas, die ich nicht kannte, bevor ich sie letzten Sommer (Anm.: 2018) auf einem Festival sah (Static Roots in Oberhausen, vgl. Extraberichte auch für 2019), wo sie der letzte Act waren.

Spielen sie immer noch?

Ja genau, sie hörten und hörten nicht auf, großartig. Ich war dann sehr scharf auf die angekündigte Platte, die im August ’18 herauskam, und die Platte ist auch toll, aber ganz anders.

Wir nahmen die Platte auf, bevor sie zu dieser Band wurden. That’s why.

Ah! Trotzdem, so klasse die live sind, wenn sich alle komplett austoben; zuhause wäre das zuviel, das würde ich nicht oft hören können, während man das Album, so wie es ist, regelmäßig auflegen kann.

Ja, vielleicht. Es hängt ab auch davon ab, was für ein Typ du bist. Das ist in der Beziehung wie mit den Grateful Dead: es gibt Leute, die ihre Platten hassen, verglichen mit den Liveshows, und dann gibt es die Leute, die ihnen nicht nur hinterherfahren und alle Shows mitnehmen, sondern auch die Live-Mitschnitte sammeln. Ich meine, weißt du, wie schlecht diese Aufnahmen sind? Der Sound ist schrecklich, Jerry Garcia ist fast ständig high, sie sind nicht aufeinander abgestimmt, es ist kein Zusammenspiel: es ist richtig schlecht! Und dann gibt es Leute, die ihr ganzes Leben damit verbringen, diese Sammlungen aufzubauen. Aber das ist halt diese bestimmte Art von Fan. Ich würde das nicht auflegen, aber andere sammeln das. Das ist wie Stricken. Hast du schonmal versucht zu stricken? So Wollpullover für Hunde und so was?

Joey: Er sagt, Fan der Grateful Dead zu sein ist wie Stricken.

Kenneth: It’s a meaningless activity, cast into the void.

Joey: Anything is meaningless, until you imbue it, isn’t it? But with meaning.

Ich dachte bei dem Cordovas-Beispiel an ähnliche Bands, die Dead natürlich auch, aber z.B. auch The Band, die ich persönlich vorziehe.

Und was ist mit den Eagles? Magst du die? Du bist kein Fan der Eagles. Sie sind dir zu glatt. Aber ihr Harmoniegesang ist gut.

Ja, schöner Harmoniegesang, einige gute Songs...

Joey: People hate The Eagles.

...ich bevorzuge die Jackson Browne-Aufnahmen seiner eigenen Songs, die sie spielen. Aber ich mag sie dafür, dass sie Jackson Browne-Songs spielen, ihn berühmter machen.

Ja. Das ist wichtig.

Als Amerikaner auf Europa-Tour könnt ihr schlecht nicht über Politik reden...

Joey: Meinst du, mit Don-ald Trump als president?

Ja, zum Beispiel, wobei wir hier in Europa auch unsere Nationalisten haben, bei den Europawahlen dieses Wochenende werden sie Zugewinne haben...

Joey: Ich möchte nicht sagen, dass das etwas Gutes ist, denn das ist es nicht, es ist furchtbar, aber ich erinnere mich noch daran, als ich 2004 das erste Mal nach Europa gereist bin und George W. Bush Präsident war, haben amerikanische Reisende kanadische Aufnäher auf ihre Rucksäcke genäht, damit die Leute sie nicht für Amerikaner hielten, was damals sehr peinlich war. Nun denke ich (lacht), zumindest stecken wir jetzt alle zusammen da drin. Wenn wir jetzt hierhin kommen, ist es nicht so peinlich, wie es sonst wäre. Alle anderen haben diese Probleme auch. - Aber es ist furchtbar. Es sind schreckliche Zeiten dort.

Auf euren beiden Alben Ash & Clay und Monterey waren eure Texte schon unterschwellig politisch, wie ich finde. Auf der neuen Platte gibt es viele break-up songs, ein oder zwei aber haben politische Untertöne, so will ich das mal nennen. Irgendwo habe ich gelesen, dass dies eher ‚deine‘ Songs sind, Joey, wie war das?

Joey: Well, wir schreiben all unsere Songs zusammen.

Was auch anders ist: die einzelnen Stimmen bekommen mehr Anteile, es gibt zwar in jedem Song eure Harmonien, aber öfter als zuvor singt eine Stimme allein.

Kenneth: Ein bisschen war das auch so auf unserem ersten Album, Prologue. Aber mit Ash & Clay und besonders Monterey wollten wir totale Harmonie erreichen, wall-to-wall harmony. Das hatte uns gereizt. Und als wir jetzt an dem Punkt waren mit einer Band aufzunehmen, schien es eine gute Gelegenheit dafür. Ein Künstler, Songwriter, Musiker und Sänger zu sein, bedeutet, dass es keine Regeln gibt. Was großartig ist, denn oft vergisst man, dass es keine Regeln gibt. Du machst etwas, und die Leute mögen es, und dann denkst du, du solltest das auf diese Art weitermachen, damit sie dir weiter Geld geben. Denn du möchtest weiter genug Geld einsammeln, na ja, dass du nicht verhungerst, die Kinder zur Schule gehen können und so weiter. Aber das ist schlecht für den künstlerischen Prozess. Wir singen die Harmonien gut zusammen, aber Joey singt auch einen Song ganz alleine in einer sehr ansprechenden Art, und die Leute sollten das hören. Ich muss nicht immer mitsingen. Und dasselbe trifft umgekehrt zu. Vielleicht gibt es dadurch, dass wir alle diese Instrumente dabeihaben, eine Möglichkeit, sich weniger auf die Harmonien verlassen zu müssen, um interessant zu sein. Gleichzeitig muss ich sagen, dass der Harmoniegesang noch nie so gut war wie auf diesem letzten Album. Es war wichtig für uns, diese Momente sorgsam auszuwählen. Und dass wir auch weiter versuchen zu wachsen, herauszufinden, was als Nächstes kommt.

Der vor 2 Wochen verstorbene Satiriker und Autor Wiglaf Droste hat in einer seiner letzten Kolumnen geschrieben: „Unsere Mütter haben uns nicht herausgedrückt um Erwartungen zu bedienen.“

Joey: Das hängt von deiner Mutter ab (It depends on your mother).

Sicher das auch, aber auch von einem selbst… Lüdenscheid! Ihr spielt in Berlin und Amsterdam und so weiter, aber ihr scheint es hier zu mögen, denn Lüdenscheid steht immer auf eurem Tourplan.

Kenneth: Es liegt genau auf dem Weg! Und es gibt diesen netten Typen, Markus, der uns eine Menge Geld gibt. Daher kommen wir alle zwei, drei Jahre, wegen des Geldes, das ist der Grund. Seine Gesellschaft ist mittelmäßig – seine Familie ist entzückend -, er selbst ist ein bisschen grob, aber sein Geld ist nicht weniger grün als das aller anderen.

Joey: Actually, here it’s all different colours.

Kenneth: There you go.

Joey: Möchtest du keine richtige Antwort wegen Lüdenscheid?

Em…: doch doch!

Kenneth: Das ist die richtige Antwort.

Joey: Nicht für mich.

Also für dich ist es Markus‘ Geld, und für dich?

Joey: Jedes Mal, wenn wir durch Deutschland fahren, ist Lüdenscheid die kleinste Stadt, in der wir spielen, und der schönste Konzertraum. In Berlin haben wir in einer wunderschönen Kirche gespielt, das war herrlich, weißt du, aber was moderne, zweckdienliche Architektur mit guter, durchdachter Akustik betrifft, ist dies hier der angenehmste Raum, in dem wir in Deutschland spielen. Und es schadet dabei natürlich nicht, dass Markus und seine Familie vom ersten Moment an uns wie Freunde behandelt haben. Wenn du das Gefühl hast, dass du jemand kennengelernt hast half-way across the world, dann besitzt das eine gewisse Anziehungskraft. Wir sind nicht auf jeder Deutschland-Tour nach Lüdenscheid gekommen, aber jedes Mal, wenn es Platz dafür im Tourkalender gibt. Es steht nicht gerade ganz oben auf der Liste der Agenten, um einen Markt zu schaffen; sie versuchen nicht gerade, dich hier eine Marktbasis aufbauen zu lassen…Aber wenn es einen freien Abend gibt und wir nicht mehr als 300 km entfernt sind, wollen wir immer gerne hierhin zurückkommen. Außerdem verkaufen wir mehr Tickets in Lüdenscheid als in manch größerer Stadt in Deutschland. Pro Kopf ist das wahrscheinlich unser bester Markt weltweit. In Amerika hast du das auch, dass es eine besondere Atmosphäre ist in einer kleineren Stadt, besonders, wenn sie ein kulturelles Zentrum hat, vielleicht ein besonderes Gebäude, eins, das der Kultur gewidmet ist, so wie hier.

Es ist unmittelbarer.

Ja, du kannst die Gespanntheit spüren. Jeder hier ist gespannter auf die Show, denn sie ist: etwas Besonderes. Mehr als in Berlin oder Frankfurt or whatever.

Kenneth: Das war die wirkliche Antwort. Und außerdem gibt uns Markus Geld!

Joey: Aber das machen alle, wir spielen nicht umsonst. Nicht mehr. Good to talk to you.

Ja - guten Tag-: tschüss! Danke für das Gespräch!

Joey: Nein, ich sagte Good to talk to you, aber es klang wohl wie Guten Tag...

Oh, ich dachte, du wolltest ein bisschen Deutsch ausprobieren.

Joey: So vermessen würde ich nie sein!

Words: Frank Schwarzberg
Photo: Rolf Rutzen


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