ROMIE

November 2020 Interview

Jule Heidmann (28) und Paula Stenger (27) lernen sich zu Beginn ihres Studiums (Lehramt) beim Erstie-Apfelwein kennen. Sie reden über Musik, stellen fest, dass sie musikalische abseitige Vorlieben teilen und beschließen, 'mal zusammen zu singen. Sie sind baff - und haben ihren neuen Weg gefunden. Seitdem (2013 haben sie allererste Auftritte) schreiben sie melodische, gefühlvolle Songs, zelebrieren betörenden Harmoniegesang im Folkpop-Gewand und gewinnen als Romie die Herzen von Zuhörern, erstmal im Frankfurter Raum (die beiden kommen aus Dreieich und Aschaffenburg); eine Straßenmusik-Tour quer durch Deutschland im Herbst musste leider wegen Corona abgebrochen werden. Trust In The You Of Now heißt ihr Debütalbum und wurde in Donegal aufgenommen, mit z.T. hochkarätigen, dort ansässigen Musikern, unter der Ägide von Orri McBrearty.

Warum das Referendariat warten kann (wenn es nach ihnen geht, noch lange), was ein Kartenspiel mit ihrem neuen Album zu tun hat, und mit wem zusammen sie im nächsten RoadTracks stehen wollen, darüber reden wir bei einem Facetime-Interview im November.

Habt ihr geprobt den ganzen Tag? Gestern auch schon?

Jule: Wir arbeiten gerade an unserem Adventskalender. Paula: Wir machen 24 Cover-Songs. Viel Arbeit! Aber macht Spaß.

Wo kann man die Türchen dann aufmachen?

Paula: Also wir posten das auf allen Social Media - Kanälen, schicken einen Newsletter 'rum, und wir machen's dieses Jahr so, dass wir die ganzen Lieder auf youtube hochladen - wir machen einen extra youtube-Channel dafür, und da wird das Ganze dann eine Playlist.

Schönes Projekt! In welche Richtung gehen die Songs?

Jule: Eigentlich alles - also vieles, was wir auch selber total gerne hören, auch einiges, was man nicht so kennt, aber wir spielen auch immer mal Weihnachtsliedchen ein hier und da, und wir streuen auch immer mal bekanntere Sachen ein, so Bruce Springsteen oder so.

Beispiele dürft ihr sicher nicht verraten...

Paula: Nein, nicht verraten, ist ja ein Adventskalender!

Meine Kinder sind schon größer, ich bin ein bisschen 'raus, aber stimmt, man verrät nichts. Ja, dann hak' ich 'mal sofort ein bei den Sachen, die ihr gerne hört: ihr macht ja folkbeeinflusste Musik, mit viel Harmoniegesang - ist das etwas, was ihr auch vordringlich oder schon lange hört? Wie seid ihr auf diese Art Musik zu machen gestoßen?

Paula: Ja, das ist auf jeden Fall das, was wir beide hören. Folk-rooted. Jule: Also wir hören beide sehr viel und sehr gern traurige und leise Musik. Glücklicherweise ist das auch dann die Musik, die 'rauskommt aus uns beiden und dazu passt, was unsere Stimmen hergeben. Aber wir hören auch beide gerne solche Bands wie Fleetwood Mac oder so. Für mich kann es auch gerne noch rockiger werden, so bluesrockmäßig, aber meine Stimme gibt das gar nicht her. Trotzdem ist das in meinem Feld von Musik, das ich gerne höre, auch wenn ich sie nicht praktiziere.

Paula: Es hat einen Einfluss.

Jule: Definitiv. Also unterbewusst auf die eine oder andere Weise in unseren Songs. Aber wir hören schon sehr viel Musik, all day long eigentlich.

Das ist bei mir genauso. Spuren von Blues, von Jazz, eine Spur von Rock, das ist auf jeden Fall in eurer Platte drin. Ihr habt das Album ja in Irland aufgenommen und scheint auch generell eine starke Beziehung dazu zu haben, speziell zu diesem Landstrich oben im Nordwesten: erzählt mal über diese Beziehung zu Irland und dazu, wie sich das dann auf dem Album niedergeschlagen hat.

Paula: Es hat eigentlich angefangen mit einem Wohnzimmerkonzert bei Jule, als dort eine irische Band gespielt hat. Und wie's dann so ist: die Iren sind dann irgendwann sehr betrunken mitten in der Nacht, und die haben dann von ihrer Heimat erzählt und davon, dass es wunderschön ist dort in Donegal, im Norden, und die haben erzählt, dass sie ein kleines Familienfestival haben jedes Jahr und meinten: "Yeah, you can come and you could play on that festival". Das wurde dann angeleiert, wir sind hochgereist und haben dort auf diesem Festival gespielt. Ein Jahr später haben wir nochmal da gespielt, wir hatten unsere ganzen Bandleute mitgeschleppt, und irgendwie sind wir dann in so eine Musikerclique 'reingeraten. Dabei haben wir Orri kennen gelernt, mit dem wir im Studio gearbeitet und mit ihm zusammen das Album produziert haben. Die kennen sich halt alle da oben. Da wohnen ja nicht so viele.

Jule: Das ist wie so eine total talentierte Riesenfamilie, in die wir da geraten sind. Also man kann ja jetzt auch woanders landen in Irland, aber wir sind genau in diesem Epizentrum von tollen Musikern gelandet, das war wirklich völliger Wahnsinn. Und es war vor 5 Jahren übrigens, das erste Mal.

Ich war leider nur zweimal in Irland, obwohl ich auch ein Riesenfan bin von der Mentalität und dem Land...

Paula: Wo warst du?

Ich bin zwar viel rumgefahren und hab' verschiedene Orte und Gegenden abgeklappert, aber wo es mir - abgesehen davon, dass es mir überall gefallen hat - am besten gefallen hat und wo ich auch eine Weile hängengeblieben bin, war im Nachbar-County, Co. Sligo...

Jule: Da kam unser Bassist her.

Wir sind auch 'mal einen Tag nach Donegal gefahren, also den Nordwesten Irlands, den mag ich sehr. Ich war einmal mit einem Freund da und einmal alleine. Als ich alleine 'rumgefahren bin, war ich ein paar Tage in einem Bed and Breakfast im Südosten, in einem kleinen schönen Ort am Meer, und die Eheleute, die das B&B betrieben haben, waren eigentlich Engländer, die da hängengeblieben sind, Ron und Patsie, und Ron sagte, was ihn so fasziniere an Irland, sei, dass, egal wen man träfe, jeder musikalisch sei. (Beide lachen.) Also nicht nur die Leute, die das aus Passion machen oder beruflich, sondern es würde einfach ganz normal dazugehören.

Paula: Das ist absolut das, was wir auch schön fanden dort oben, und dass die Leute diese Musik halt im Alltag gebrauchen und das einfach so krass in denen drinsteckt, und das war das, was wir uns für unser Album gewünscht haben, dass man das hört: dieses ganz von innen heraus kommende Musikalische, und nicht dieses so krass Durchdachte und Überlegte. Vielleicht gekoppelt mit dem, wo wir herkommen, von unserer Musikhochschule. Ich glaube, die Kombination hört man, und das ist auch ganz cool so. Du hast ja gesagt, dieses Normale, und ich finde das halt das Spannende, wenn die da im Pub 'rumsitzen und dann jemand seine Gitarre 'rausholt, dann ist das meilenweit jenseits von irgendwas Normalem, wie das musikalisch so gut ist und so ergreifend, und du hast vollkommen recht: für die ist das normal, für uns ist das Staunen, die ganze Zeit.

Das ist faszinierend, wie dieses kleine Land das so leben und atmen kann. Ihr habt ja sehr viele Musiker letztlich gehabt, die zu eurem Album beigetragen haben - man sieht das auch in eurem Making Of - Film. Bei dem Durchlesen der Credits bin ich auf den Namen Rose Carney gestoßen, eine Musikerin, die ich schon einmal live gesehen habe.

Jule: Rosie Carney? Hast du die bei den Milk Carton Kids gesehen?

Ja genau, wir waren bei den Milk Carton Kids. Und ihr hattet dann geschrieben, dass diese Musiker alle ihr eigenes Ding machen, aber dann bei euch als Chor mitsingen; Rosie Carney hat auf jeden Fall eine ganz wunderbare Stimme, die sehr gut zu euch und eurer Musik passt. Das mit dem Harmoniegesang hat sich ja bei euch durch Zufall ergeben, wie ist die Geschichte dazu?

Jule: Ja, wir haben uns am ersten Tag vom Studium kennengelernt.

Paula: In Frankfurt, da haben wir beide Lehramt studiert, und da gibt's dann immer so 'ne Tradition: Erstie-Apfelwein-Kneipentour.

Jule: Da sind wir ineinander gelaufen und haben über Musik geredet, und die jeweils andere kannte ganz interessante Underground-Bands und Underground-Künstler aus diesen speziellen Genres, wo wir uns jetzt auch zuzählen würden, und das war halt spannend, nun nicht mehr so alleine zu sein mit seiner Vorliebe für ausgewählte Nischenmusik...

Paula: ...traurige...

Jule: ...und dann haben wir uns eben entschlossen, dann sollten wir doch auch mal zusammen musizieren, und das war von Anfang an -:gut...

Paula: ...sehr gut!...

Jule: ...also die Stimmen passten sehr gut...

Das mit der Traurigkeit, finde ich, ist ja etwas, wo man selten drüber spricht, damit meine ich, es ist nicht unbedingt das erste, was Leute sagen, wenn sie über ihre Lieblingsmusik sprechen. Andererseits kommt diese Vorliebe bei Menschen, die leidenschaftlich für Musik brennen, sehr häufig vor.

Paula: Es ist ja nicht nur Traurigkeit, es ist ja auch melancholisch, oder Verzweiflung, viele Stimmungen, einfach: Emotionalität, Leidenschaft, Passion, was uns anspricht. Es kann auch in ein Glücksgefühl münden. Ich finde, das hört man auch in unserem Album - das sage ich auch in der Doku - dass das Album verschiedene Emotionen widerspiegelt, es ist ein Auf und Ab.

Das stimmt, es ist auf keinen Fall ein rein trauriges Album, es hat ja auch diese leicht uptempo-artigen, swingenden Nummern drin, na ja, halb uptempo. Generell kann man aber, glaube ich, Emotionen besser transportieren, wenn man auch Traurigkeit kennt oder das Gefühl davon zumindest vermitteln kann. Wenn ich an Bob Dylan denke oder Townes Van Zandt...

Jule: ...ach - Townes...

...das ist dann einfach "beauty in sadness"...

Jule: Absolut. Das Interessante ist natürlich, wenn du dann Leute im Publikum hast, die damit was anfangen können, dann kann das für die immer eine ganz große Hilfe sein: sich damit auseinanderzusetzen, dass sie vielleicht auch solche Gefühle in sich tragen, aber sonst vielleicht sich nicht so gerne damit beschäftigen. Das hat uns 'ne Freundin gesagt - mittlerweile Freundin - die uns früher nur vom Bühnenkontext kannte, dass sie vorher monatelang nicht weinen konnte. Dann war sie auf 'nem Konzert von uns, und dann hat sich so was gelöst dadurch. Dann kann man zusammen wieder glücklich sein - danach.

Das sind doch tolle Reaktionen, wenn sowas kommt.

Jule: Ja, total. Das hat uns sehr viel bedeutet, ja.

Ich springe mal ein bisschen: Der Albumtitel, Trust In the You Of Now, ist sehr interessant gewählt, finde ich; das klingt erst mal sperrig. Aber sperrig ist ja gut, da bleibt man stehen und kann nicht so einfach dran vorbeigehen - sagt doch mal, was euch dazu durch den Kopf ging und geht.

Paula: Ja, es kam dazu durch dieses Kartenspiel, erklären wir das in der Doku? Erklären wir gar nicht, oder? Also wir hatten im Studio so ein Kartenspiel, das sind 100 Karten, von Brian Eno entwickelt, und das sind quasi Hilfskarten, die man ziehen kann, wenn man nicht weiterkommt. Du ziehst also eine Karte, wenn du nicht weiter weißt, und dann steht da was drauf wie zum Beispiel: Gardening, not architecture, oder...

Jule: ...Emphasize your flaws...

Paula: ...oder: Ask a friend, oder: How would you have done it?, oder auch so simple Sachen wie: Water, also: trink mal was, take a break oder Is it finished yet?, solche Sachen. Und eine Karte war eben auch Trust in the you of now, und die kam zu dem perfektesten Zeitpunkt, den man sich vorstellen kann: wir hatten nämlich gerade total an allem gezweifelt, also unser Produzent und wir zwei - und dann hat Jule die Karte gezogen, und wir waren alle baff und guckten uns an, und sagten uns: wir vertrauen uns jetzt mal einfach und vertrauen darauf, dass wir das jetzt richtig gemacht haben, dass es weitergeht. Diese Karte hat uns super krass begleitet während der Aufnahmen und war wie so ein Ausgangspunkt, zu dem wir immer wieder zurückgegangen sind. Irgendwann haben wir dann auch angefangen, darüber zu philosophieren, dass diese Karte natürlich auch aufs Leben übertragen werden kann: dass man in der Gegenwart bleibt, dass man sich selbst vertraut, egal, was schiefgeht, vertrauen, dass alles seinen Weg hat und seine Richtigkeit und dass es sich am Ende zu was Gutem entwickeln wird.

Schön! Ist kein Schlusswort, aber würde sich als Schlusswort eignen, das ist jetzt ein bisschen doof, so ganz in der Mitte...

Jule: Das nimmst du dann für den Schluss...

Ja, da kann ich ja mit machen, was ich will, genau... Zum Sound: der Sound ist ja variiert auf der Platte; einige Songs reduziert auf Gitarrenarbeit und Harmoniegesang, einige andere, der Opener, im Americana-Setting: habt ihr vor, bei euren weiteren Projekten (falls ihr nicht noch in the you of now...)

Jule: ...trustet...

Paula: Klar, man sollte immer im Hier und Jetzt bleiben, aber natürlich denken wir schon ans nächste (beide lachen)...

Also ich hab zumindest eine Kritik gelesen, auf einem Country-Portal, der hatte so durch die Blume sich gewünscht, dass ruhig noch mehr von diesen druckvollen Nummern kämen - auf jeden Fall finde ich die auch sehr gelungen, diese erste Nummer mit diesem Bandsetting: habt ihr in die Richtung schon zumindest erste Gedanken?

Jule: Eigentlich haben wir auch schon fertige Sachen (beide lachen), und die sind tatsächlich auch bewegter, die neuen Sachen, aber definitiv nicht nur, und definitiv, auch zu deiner Frage "wollt ihr in diese Richtung gehen?": wir können das leider nicht beeinflussen. Paula und ich, wir sind beide Schreiberlinge, die das nicht selbst beeinflussen können. Wir können nicht hingehen und sagen: jetzt brauche ich mal was Druckvolles, und ich schreibe jetzt mal so 'nen Tom Petty feelgood American style Song... also ich kann mich nicht hinsetzen und das dann produzieren, ich kann nur mich hinsetzen, öffnen und gucken, was kommt. Aber interessanterweise sind ein paar von den neuen Nummern...: aufgeweckter - aber ein paar sind auch gar nicht so... Ich glaube auch, sobald wir uns hinsetzen und sagen, wir schreiben jetzt einen Song in dem und dem Stil, haben die Leute dann auch keine Lust mehr, weil, das merken die sofort, das merkt jeder: wenn's nicht 100% von innen kommt, kann man's auch lassen (lacht).

Das sind auf dem Album alles natürlich eure 10 Lieblingssongs - habt ihr unter diesen 10 Lieblingen noch einen ganz besonderen Favoriten? Oder wechselt das?

Jule: Also ich hab' zwei: meine Lieblinge sind Rosewood Man und Once a Year I fall in Love. Paula: Bei mir wechselnd, aber wie es aufgenommen ist und so, wie ich am zufriedensten bin, wie es klingt, das ist Josie, der ist für mich so geworden, wie ich's mir vorgestellt hab', exakt 100%, da würd' ich gar nichts verändern. Bei allen andern ist es auch wunderschön und ich steh' total dahinter, aber natürlich hat man immer...nein, anders: ich steh total dahinter.

Bei mir ist es generell bei Platten so, dass es wechselt... im Moment ist es bei mir der 6. Song, All is Gold and Green...

Jule: ...die Nationalfarben von Irland...

...genau, und da finde ich, abgesehen von allem andern, den Einsatz der Dobro extrem gelungen...

Jule: Ach, ja - der Ted. Der stand ja auch schon, wenn wir das richtig verstanden haben, mit Emmylou Harris auf der Bühne und hat mal was mit Van Morrison zusammen gemacht, also der weiß, worum's geht. An einem der ersten Tage, als wir ankamen, waren wir auf einer Session, und da hat er Dobro gespielt, und wir waren beide hin und weg und bettelten bei Orri (flehentlich): "meinst du, der würde mitspielen bei uns?", ganz kleinlaut, und dann hat Orri ihn gefragt, und er sagte sofort: "Klar, ich spiel' mit den Girls mit, kein Problem", und dann hat er uns dieses schöne Solo geschenkt.

Paula: Und Hammond hat er noch gespielt.

Jule: Toller Musiker. Als der im Studio war, da gab's überhaupt nichts nachzudenken, wir haben den einfach machen lassen und genossen.

Schöne Geschichte! - Ja, wie steht ihr denn jetzt im November zu der doch schon sehr lange andauernden Corona-Durststrecke? Ich hab Äußerungen von euch gelesen aus dem Juli, da wart ihr erstaunlich positiv in euren Reaktionen. Es gab immer schon Leute, mich eingeschlossen, die gesagt haben, das hat auch gute Seiten, diese Zeit in ihrer Andersartigkeit, aber so wie ihr von vornherein zu sagen, das war ein Glücksfall, das war toll: das hat man selten. Das hab ich, wie gesagt, in diesem Juli-Interview von euch gelesen: aber, naja: wie sieht das jetzt aus?

Paula: Also es ist natürlich schon krass für die Kulturbranche, und was bringt es uns, wenn wir überleben, wenn alle Clubs gerade zu Ende gehen, das ist schon heftig, und gerade auch die größeren Clubs, die machen gerade so unfassbar viel Miese, die haben richtig zu strugglen, und wahrscheinlich machen sehr, sehr viele zu. Es hat jetzt schon das Forst in Frankfurt zugemacht, also es ist sehr traurig, und ich glaube auch, dass viele Musiker sehr strugglen. Gerade vorhin hat mir Jule erzählt, dass ein Bekannter, den wir gefragt hatten, ob er mit uns mal Pedal Steel spielen würde, der hat geantwortet, dass er jetzt gerade gar keine Musik mehr macht, weil er einen festen full-time job angenommen hat. Obwohl er Musiker ist. Wir lassen uns davon nicht unterkriegen, aber wir haben halt auch keine Familie, die man ernähren muss, sondern müssen uns nur um uns selbst kümmern, keine Kinder... Das ist schon 'ne krasse Sache. Ich würde mir natürlich wünschen, dass es anders wäre, und dass wir auch alle Musik machen können und 'rausgehen können, auf Konzerte gehen können, das vermissen wir beide sehr. Aber was soll man nur negativ sein? Man muss natürlich irgendwie positiv bleiben, weil, sonst wird man verrückt. Deswegen sind wir halt auch so kreativ jetzt und gucken, was wir alles noch machen können, machen deshalb auch jetzt den Adventskalender. Wir hatten das Glück, dass wir zu den Albumaufnahmen schon ganz viele Videos gemacht hatten, also vor 'nem Jahr, und das können wir jetzt halt einfach alles nutzen. Das ist ein bisschen unser Glück, dass wir das alles schon aufgenommen hatten und jetzt nur noch: 'raushauen müssen. Jule: Wir sind eine sehr fleißige Band. Also Ideen ausgehn tun uns nie, das passiert nicht. Deshalb haben wir den Lockdown jetzt auch ziemlich genutzt, neue Instrumente angefangen...

Zum Beispiel?

Jule: Ich hab Kontrabass angefangen.

Paula: Ich hab Akkordeon angefangen.

Das würde ja ziemlich gut ins Klangbild passen.

Jule: Es ist auch ein tolles Instrument.

Ja...vielleicht ein bisschen schwierig zum Rumreisen...

Jule: Ein Klapp-Kontrabass...

Wie liefen die Konzerte, eure Straßenkonzerte im Spätsommer?

Paula: Das war traurig.

Jule: Das war erst schön - wir haben begonnen mit Berlin und Leipzig, und das war total schön. Das Schöne an Straßenmusik ist ja, dass man nichts vorhersehen kann. Da kann alles passieren: es kann niemand stehenbleiben, es kann sich 'ne Riesentraube bilden, man kann einen Euro bekommen oder hundert...

Paula: ...es kann regnen, es kann die Sonne scheinen...

Jule: ...es kann alles passieren, und bei uns war's wirklich total schön, die 3 Tage, die wir unterwegs waren, aber dann ging auf einmal eins nach dem anderen zu, es begann die Maskenpflicht auf der Straße, ganz viele Städte wurden auf einmal zu Risikogebieten, und dann konnten wir uns das einfach nicht mehr leisten, weil wir in Frankfurt in der Oper arbeiten. Und wenn wir jetzt aus 'nem Risikogebiet zurückgekommen wären und dann nicht hätten arbeiten gehen können, hätten wir schön Ärger bekommen. Diese Straßenmusik-Tour war so der letzte Versuch, doch noch die Livemusik-Freuden in die Republik zu tragen, aber das wurde leider zerschlagen. Das machen wir einfach im Sommer dann wieder weiter, wenn sich alles entspannt. Auf der Straße spielen kann man ja zum Glück immer. Wir machen das schon lange, Straßenmusik.

Was macht ihr da in der Oper?

Paula: Wir sind Logenschließer. Also Empfang, Tickets kontrollieren, Loge aufmachen, also die Türen aufmachen, Leute 'reinlassen, die Türen wieder zumachen und gucken, dass die Leute auch ihren Platz finden. Das ist das Notfall-Einkommen, falls mal ein schlechter Monat kommt.

Läuft das Geld denn jetzt auch? Oper findet ja auch nicht statt.

Paula: Wir haben sehr großes Glück, weil es ja Schauspiel Frankfurt ist; wir sind von der Stadt angestellt, und wir haben das Glück, dass wir zwei in Kurzarbeit sind, und selbst die Kurzarbeiter bei uns bekommen's auf 100% aufgestockt. Das ist wirklich sehr krass.

Jule: Das ist gerade tatsächlich ein Lebensretter.

Paula: Wir empfinden das als Geschenk, dass das uns gerade in dieser finanziellen Hinsicht so gut geht. Vielleicht, weil wir dafür an anderen Ecken Mut beweisen. Alle fragen uns immer: "wollt ihr denn jetzt nicht in die Schule, wollt ihr denn jetzt nicht ins Referendariat? Ist doch viel sicherer?" Da müssen wir immer ganz stark bleiben und sagen, nein, wir machen jetzt erstmal unser Ding, und jetzt kriegen wir gerade so 'ne schöne Belohnung dafür.

Ich will das auch gar nicht fragen, dieses "wollt ihr denn nicht in die Schule?": der Laden kommt sehr gut ohne einen klar.

Paula: Oder auch nicht...

Oder auch nicht...

Jetzt will ich aber nicht die 'Macht das doch'-Frage stellen, sondern die 'Warum'-Frage: Ihr wirkt ja jetzt nicht so, als ob ihr besonders scharf darauf seid, diese sichere, etablierte Laufbahn einzuschlagen. Im Vorgespräch hast du ja gesagt, Jule, dass du 'Erfolg' anders definierst als etabliert zu sein, es 'geschafft' zu haben und ein sicheres Auskommen zu haben.


Jule: Für einen Großteil von Menschen hat man's geschafft, wenn man seinen Hit im Radio hat, davon leben kann und so weiter, aber ich denke, es gibt kein 'es geschafft haben' in diesem Feld. Sobald man auch nur einen Menschen hat im Publikum, für den das gerade wichtig ist und für den das was bedeutet, weiß man eigentlich, dass man noch auf dem richtigen Kurs ist und auf dem richtigen Dampfer. Wir glauben beide sehr stark daran, dass es der Welt sehr gut tut, wenn Leute das machen, was sie gut können und was sie machen wollen, weil, das kann total viel bewirken. Also, wenn ich jetzt so ein ganz einfaches Beispiel nehme: bei mir im Gästezimmer hat 'mal 3 Wochen 'ne Freundin gewohnt, und die war je-den Morgen joggen. Die war so engagiert dabei und total motiviert und so, und die hat überhaupt nie ein einziges Wort gesagt, ich soll doch mal mit ihr mitkommen. Aber irgendwann bin ich dann einfach morgens aufgestanden, und sie hat mich dann so mitgerissen damit - man weiß gar nicht, wie sehr man Leute inspirieren kann dadurch, dass man selbst genau das gerne tut, was man gerade tut. Glücklicherweise sind wir jetzt in so 'ner privilegierten Situation in unserem Leben, dass wir das gerade machen dürfen, und können. Da wollen wir diese Sternstunde nicht vorbeiziehen lassen, wie's in Momo so schön heißt.

Nach dem, was ich gelesen habe (leider konnte ich es ja noch nicht live hören) habt ihr ja diese Reaktionen bei euren Konzerten, nicht nur von einer Person, sondern von vielen, die da berührt sind und das auch kundtun, über Artikel oder über facebook-Posts...

Paula: Hoffen wir! Das ist schön zu hören. Jule: Du warst doch bei den Milk Carton Kids, hast du erzählt: wir waren auf der gleichen Tour in Dublin auf ihrem Konzert, und es gab diesen super lustigen Moment, wo Joey, also der Große, gesagt hat, als alle geklatscht haben: "It's great - you should all get a job where people applaud you every three minutes".

Ja, die sind schon speziell, die Milk Carton Kids - Konzerte, mit diesen Kabaretteinlagen, diesem trockenen Humor, und dann wieder ansatzlos diesen wunderschönen...

Paula: ...teils todtraurigen...

...Liedern...Ich habe sie beim letzten Mal auch interviewt vor dem Konzert, in Lüdenscheid, aber es ist leider noch kein Heft 'rausgekommen seitdem...

Jule: Heißt das: wenn wir ganz viel Glück haben, wären wir in dem gleichen Heft wie die Milk Carton Kids?

Ihr wärt, wenn ihr Glück habt, in dem gleichen Heft.

Jule: Das würde ich dann als Erfolg verbuchen. "Mama, guck: wir und die Milk Carton Kids!"...

Paula: ...und Mama so: "Wer sind die Milk Carton Kids?"

Das ist eine sehr gute Definition, die ich sofort verstehe, und ich werde dem Frank das sagen, dass er das bitte so einrichten soll.

Paula: Aber auch so unmittelbar daneben! Nein, Scherz...

Noch mal eine Frage kurz zu euren paar Livekonzerten: wie empfandet ihr die Reaktionen der Leute, nicht nur auf euer Konzert bezogen, sondern überhaupt auf Live-Musik? Alle waren und sind ja regelrecht ausgedürstet.

Jule: Für mich war die unmittelbarste Reaktion gar nicht bei uns beiden auf einem Konzert, sondern tatsächlich bei unsrem Job in der Oper Frankfurt. Als wir da wieder aufgemacht haben, kamen wirklich Leute mit Tränen in den Augen und sagten: "endlich spielen sie wieder!" Als wir gespielt haben, hab ich Ähnliches erlebt, dass die Leute, was sie sich immer so vornehmen, mal wahrgemacht haben. "Dann reisen wir doch jetzt einfach mal, obwohl's regnet, nach Pfungstadt, weil ihr da jetzt ein Open Air spielt. Aber es gibt ja so wenig."

Paula: Es ist kostbarer geworden.

Jule: Was für ein irres Gefühl das auch war, bei uns mit dieser Reihe "Null auf Hundert", in der Centralstation in Darmstadt. Das ist eigentlich ein 500er-Schuppen, und die haben dann für 100 Leute bestuhlt und da eben uns auch gefragt. Das war jetzt so ein Beispiel: die hätten uns sonst nicht gefragt, dafür sind wir eigentlich zu klein. Aber für 100 Leute sind wir gut geeignet. Ich war auch als Besucherin selber auf 'nem Konzert, nach zweieinhalb Monaten Abstinenz oder so: als diese Band angefangen hat zu spielen, das war so - oh, das hat so gutgetan, das wieder zu hören und das wieder zu realisieren. Ein Freund von mir hat gesagt: vielleicht kommen ja dann nach Corona wieder die goldenen Zwanziger, und die Leute wollen einfach 'rausgehen und wollen tanzen und Live-Musik - zusammen sein, das wäre ja schön.

Ja, die goldenen Zwanziger mögen bitte wiederkommen, und nicht das, was danach kam. Im Moment ist beides möglich, beides angelegt...

Zum Schluss fragen wir hier oft, was eure Road Tracks sind; aktuell aber eher: was sind eure Home Tracks, was, abgesehen von eurer eigenen Musik, hört ihr gerade gerne oder könnt es sogar empfehlen?


Paula: Wir können einen Corona-Song empfehlen... Eigentlich halte ich mich relativ fern von so Songs, die von Corona handeln, weil ich nicht auch noch immer daran erinnert werden möchte, aber kennst du Ferries & Sylvester? Die haben wir gerade entdeckt, und die haben einen Song, der heißt Everyone is home: der ist unglaublich schön, wirklich schön. Sie haben noch einen Song, der kam auch vor kurzem 'raus, der heißt I should be on a train, der ist auch sehr gut.

Jule: Ansonsten hören wir gerade, eigentlich immer, wenn wir zusammen sind, sehr viel Salvador Sobral: das ist ein Portugiese, der hat total absurderweise den Eurovision Song Contest gewonnen vor 2 Jahren...

Paula: ...aber nicht deswegen, sondern weil es wunderschön ist, sehr jazzy ausgefuchst, aber auch trotzdem wunderschön, gute Kombination.

Jule: Total toller Sänger. Und wir hören tatsächlich auch viel Rosie Carney (dann folgen zwei auf der Aufnahme nicht mehr verständliche Tipps), und das neue Album von AnnenMayKantereit hab' ich tatsächlich auch sehr cool gefunden. Und unsere Lieblingsband bringt am 5. Februar ein neues Album 'raus. Da sind wir schon ganz aufgeregt.

Paula: Die heißen The Staves. Auch Harmoniegesang, drei Schwestern, aus Watford.

Ja, da gehe ich jetzt mit viel guten Vibes und Tipps jetzt 'raus aus diesem Gespräch und wünsche euch weiterhin alles Gute!

Paula: Danke schön, Frank, und wir freu'n uns schon. Dann mach's gut, schönen Abend, tschüss!

Jule: Ciao!


Words: Frank Schwarzberg

Photo: Ruth Buchert

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