AVA VEGAS

November 2021 Interview - Filme im Kopf

Wie war das noch mit Namen, Schall und Rauch? Natürlich ist Ava Vegas „nur“ ein Künstlername, den sich die Berliner Songwriterin als Pseudonym wählte. Das auch deswegen, weil ein Bühnenname ja auch immer eine gewisse Projektionsfläche für die verkörperte Kunst ist, und nicht zuletzt, weil dieser ja auch international funktionieren muss. Ava schreibt ihre Songs auf Englisch; auch wenn sich ab und an deutschsprachige Tracks wie beispielsweise „Mein Mann“ oder die deutsche Version des Songs „Zarah“ in ihr Programm einschleichen. Aber gehen wir vielleicht mal chronologisch vor: Geboren wurde Ava Vegas in Göttingen, erlebte ihre prägende Jugendzeit aber in Goslar (und auf Ibiza) und kam dann eigentlich erst „auf dem zweiten Bildungsweg“ zur Musik, nachdem sie schließlich nach Berlin zog.

Wie ist Ava Vegas zur Musik gekommen?

„Ich habe zwar schon als Kind Klavierunterricht bekommen – und später auch Ballett- und Schauspielunterricht“, berichtet Ava, „ich hatte eine erste Rolle als Schauspielerin in dem Musical 'Anatevka' beim Jugendtheater, ich hatte da eine tolle Rolle, Fruma-Sarah, die sehr expressiv ist. Vor der Premiere habe ich eine Stimmbandentzündung bekommen und durfte nicht auftreten. Ich war davon so niedergeschlagen, dass ich keine Schauspielerin mehr werden wollte. Ich habe mich damals auch für Architektur interessiert und dachte, das ist vielleicht ein realistischerer Beruf.“

Inspiriert wurde Ava dazu dem Vernehmen nach auch durch die Architektur und das Raumgefühl der Berliner Clubs, in denen sie zu Beginn ihres Berlin-Aufenthaltes mit den Freunden aus der Jugend abhing.

Das war aber nicht der ursprüngliche Grund, nach Berlin zu ziehen, oder?

„Ich bin nach Berlin gezogen und habe dort Architektur studiert“, erinnert sie sich, „aber schnell gemerkt, dass mich das nicht richtig erfüllt, ich das aber jetzt durchziehen muss.“

Ava schaffte es auch, das Studium mit einem Master abzuschließen – dann wurde ihr der Formalismus dieses Berufes wohl zu viel und sie suchte nach anderen Möglichkeiten, sich auf einer kreativen Ebene auszudrücken.

Wie ging es dann für sie auf der kreativen Ebene weiter?

„Nach dem Bachelor habe ich mir gesagt: 'Jetzt oder nie – sonst ist es wirklich zu spät“, führt sie aus, „ich habe angefangen zu malen und wollte für kurze Zeit bildende Künstlerin werden, aber eigentlich nur, um irgendetwas ganz anderes zu machen. Zur Musik bin ich fast zufällig gekommen. Bei einem Freund habe ich auf dessen Kinderkeyboard zu Hause herumgespielt und dabei ist plötzlich ein Song entstanden. Das war so ein schönes, verrücktes Gefühl, da wusste ich, dass ich das weiter machen will. Meinen Master in Architektur habe ich trotzdem noch gemacht.“

Bei einem ihrer Konzerte erzählte sie, dass sie erst während der Pandemie gelernt habe, Gitarre zu spielen.

Das bedeutet vermutlich, dass die Songs des Debüt-Albums auf einem Keyboard geschrieben hat, oder?

„Ja, ich schreibe meine Songs auf dem Keyboard. Erst finde ich Text und Melodie“, führt Ava aus, „dann entwickele ich Arrangements um sie herum. Und danach produziere ich meine Songs.“

Interessanterweise scheint Ava dabei von ganz anderen Dingen inspiriert zu sein, als ihre Songwriter-Kolleg(innen), die ganz konventionell auf der Gitarre schreiben – denn insbesondere die Arrangements und musikalische Stilmittel lassen auf Avas Debüt-Album aufhorchen. Dabei ist das Sounddesign dann so originell und eigenständig, dass die Ava angedichteten, offensichtlichen Referenzen – wie Lana Del Rey oder Leslie Feist – doch zu kurz greifen. Zumal sie bei der Wahl ihrer Cover-Versionen – wie beispielsweise Velvet Undergrounds „I'll Be Your Mirror“ oder Carly Simons „You're So Vain“ einen interessanten, klassischen Musikgeschmack demonstriert.

Was hat sie denn wirklich auf der musikalischen Seite inspiriert?

„Das wechselt immer“, gesteht Ava, „bei diesem Album habe ich die ganze Zeit den Berliner Oldie-Radiosender 91.4 gehört. Mit 14 habe ich angefangen, bewusst Musik zu hören, erst Indie-Pop wie von Mando Diao oder Adam Green, danach vor allem elektronische Musik. Mit 20 habe ich angefangen, Oldies aus den 60ern, 70ern und 80ern zu hören. Und ich glaube, das alles hört man auch in meiner Musik. Neuerdings höre ich viel Country & Western aus dem 20. Jahrhundert – gleichzeitig Top- 40-Pop-Radio, weil ich das auch spannend finde.“

Aha: Bei ihren letzten Shows spielte Ava nämlich einen neuen, Gitarren-orientierten Song namens „Falling“ - und der hatte dann tatsächlich eher eine Folk- und Country-Anmutung.

Wonach sucht Ava denn, wenn es um den Sound ihrer Songs geht?

„Mit meinen Produktionen versuche ich, die Wärme von analogen Instrumenten und das Experimentelle von elektronischen Sounds zu verbinden”, sagt Ava,“momentan finde ich den Euphoria-Soundtrack von Labrinth ganz toll, der organische und elektronische Elemente verbindet.“ („Euphoria“ ist eine HBO-Jugendserie, für die der britische R'n'B-Musiker, Rapper und Sänger Timothy Lee „Labrinth“ den Soundtrack kreierte und dabei für jede Folge ein eigenes Setting bzw. Leitmotiv entwickelte). Ein bisschen ist das ja auch wie der Ansatz von Brian Wilson, so viele Klangquellen miteinander zu kombinieren, bis am Ende überhaupt nicht mehr herauszuhören ist, welche das sind.

„Das ist ein spannender Ansatz“, meint Ava, „aber ich arbeite fast gar nicht mit analogen Geräten, sondern vor allem mit Plug-Ins und Aufnahmen meiner Stimme und meiner Gitarre, die ich teilweise verfremde. Ich arbeite nie mit fremden Samples – nur mit virtuellen Instrumenten oder eigenen Aufnahmen.“

Was zeichnet für Ava einen guten Song aus?

„Ein Song gefällt mir, wenn er mich in eine andere Welt versetzt“, überlegt Ava, „und meine eigenen Songs sind dann fertig, wenn ich weiß, in welcher Welt sie spielen, in welchen Farben der Film in meinem Kopf abläuft, was passiert und welches Gefühl das in mir auslöst.“

A propos Filme im Kopf: Filme sind ja gewiss auch eine Inspirationsquelle für Ava Vegas.

„Ja, aber ich mache mir meine eigenen Filme im Kopf“, spezifiziert sie, „ich war beim ersten Album stark von David Lynch inspiriert – seiner oft zwielichten, mysteriösen Stimmung. Mein zweites Album findet in einer psychedelischen Wüstenwelt statt, die Filme dafür kommen aus meinem eigenen Leben.“

Was ist denn für die Songwriterin Ava Vegas die größte Herausforderung?

„Es gibt auch beim Song-Schreiben Phasen, in denen einem nichts einfällt und man an allem zweifelt. Das ist natürlich anstrengend. Aber man freut sich umso mehr, wenn einem wieder etwas einfällt.“

Kommen wir noch zu einer weiteren Ava Vegas Besonderheit: Zwischen ihren englischsprachigen Songs findet sich mit „Mein Mann“ auch einer auf Deutsch (und bei ihren Konzerten singt sie ihren Song „Zarah“ in seiner ursprünglichen, deutschsprachigen Form). Im Kontext mit ihrem international zwischen Zeit und Raum pendelndem Klanguniversum stellt das ja eine Besonderheit dar.

Lohnte es sich denn nicht, diese Besonderheit stärker auszuloten?

„Es war keine bewusste Entscheidung, 'Mein Mann’ auf deutsch zu schreiben, aber der Text ist unmittelbar aus einer Situation heraus entstanden und hat sich auf deutsch intensiver angefühlt. Ich möchte immer ein, zwei deutschsprachige Lieder auf meinen Alben haben, Deutsch ist ja meine Muttersprache.“

Ist es denn einfacher auf Deutsch zu texten?

„Ich finde es manchmal sogar schwieriger, weil Deutsch oft präzise und nüchtern ist, im Englischen fühle ich mich da freier."

Und die Texte kommen dann woher?

„Bei meinen Texten geht es immer um eigenen Erfahrungen, um Gefühle, um Stimmungen, die ich dann in einer Geschichte erzähle, die so vielleicht gar nicht passiert ist."

Okay: Das Debüt-Album ist ja nun fast seit einem Jahr draußen – auch wenn es wegen der Pandemie erst jetzt so richtig präsentiert werden kann.

Wie ist denn Avas Plan für die Zukunft?

„Ich arbeite gerade an meinem zweiten Album“, berichtet sie, „das ich nächstes Jahr veröffentlichen möchte.” Gibt es denn schon Tendenzen zu erkennen? „Es wird in einer anderen Welt spielen“, erklärt Ava, „das erste Album findet für mich in einem verrauchten Nachtclub mit einem schwerem roten Vorhang statt. Das zweite Album spielt in der Wüste und ist psychedelischer, ich habe auch Lust auf ein paar richtige Popsongs, eine Mischung aus Country und Pop – aber mit staubiger Wüstengitarre.“

Words: Ullrich Maurer

» Homepage: https://www.avavegas.com/
» Youtube: Video „The Bloom Is Off The Rose“
» Youtube: Video „Mein Mann“
» Youtube: Video „More Tomorrow Then Yesterday“ (live at Eurosonic 2021)