CHANTAL ACDA

März 2021 Interview - Die Facetten des Persönlichen

Selbst eingefleischte Fans der belgischen Songwriterin Chantal Acda dürften von ihren letzten Projekten doch ziemlich überrascht worden sein. Denn auf der improvisatorischen Kollaboration mit Bill Frisell „Live At Jazz Middelheim“ agierte sie zwischen Ambient- und Jazz Ästhetik und mit dem musikalischen Forschungsprojekt Pūwawau erforschte sie die Möglichkeiten von Gesang und Stimme auf nonverbaler Ebene. Da kommt es ja eigentlich sehr gelegen, dass sich das nun vorliegende, neue Album „Saturday Moon“ wieder deutlich mehr dem Songformat zuwendet. Auch wenn es hier nicht um klassisches Songwriting geht und Chantal auch gewiss keine Storytellerin im klassischen Sinne ist, finden sich auf „Saturday Moon“ Chantal's bislang zugänglichste, aber bei aller musikalischen Unwägbarkeit auch konkretesten Songs. Man muss sich als Zuhörer nur die Mühe machen, sich auf Chantals ganz eigenen Flow einzulassen – und bei Interesse auch hinter die Fassade des Offensichtlichen zu blicken bzw. zu hören.

Wie geht Chantal eigentlich ihre Texte an? Jenseits des geradlinigen Storytellings auf der einen Seite und poetischen Aphorismen auf der anderen hat sie ja eigentlich einen recht eigenständigen Mittelweg gefunden.

Wie sieht Chantal selbst die Funktion ihrer Texte?

„Das ist eine sehr gute Frage, die ich mir selbst noch nicht richtig beantworten kann“, überlegt Chantal, „meine Texte kommen wie meine Musik eher auf eine instinktive Weise auf mich zu. Ich genieße zwar die Arbeiten von Songwritern, die genau wissen, wie man einen Text schreibt – Chris Eckman zum Beispiel (der ein Meister des Texte-Schreibens ist – aber ich schreibe halt doch ganz anders und weniger bewusst. Was bedeutet, dass ich meine eigenen Songs interpretieren muss. Das ist dann ein bisschen wie ein Reigen.“

Was hat es denn mit den Charakteren in Chantal's Songs auf sich?

„Das kann alles möglich sein“, meint Chantal, „nimm z.B. den Song 'The Letter'. Da habe ich wirklich diese Person vor meinem geistigen Auge gesehen, die einen Brief an eine Person schreibt, die er schon lange nicht mehr gesehen hat. Das ist angelehnt an eine Geschichte, die ich selbst erlebt habe – aber für mich hat sich das irgendwie angefühlt, wie eine Animation dieser Szene. Bei anderen Songs geht es um ganz persönliche Dinge, die ich mehr in meinem Herzen, als in meinem Kopf mit mir rumtrage. Ich versuche immer ganz frei ohne Konzept an die Sache heranzugehen.“

Da ist ja gewiss auch eine Portion Spiritualität drin, denn Chantal lässt sich da ganz von ihrer Intuition leiten – und von der Natur leiten und inspirieren.

„Ja, es ist auch schwer, das in Worte zu fassen“, räumt Chantal ein, „ich würde sagen, dass bei dieser Haltung auch eine Portion Kapitulation mit drin ist. Nun, wir leben ja in einer Welt, in der alles kontrolliert werden muss – da bringt so eine Einstellung auch eine wenig Freiheit.“

Davon handelt auch der Song „Back Against The Wall“, richtig?

Denn hier singt Chantal davon, dass es notwendig ist, sich von den komplexen Mechanismen unserer technokratischen Welt abzuwenden und sich auf einer grundlegenden Weise der Natur zu nähern. „Du bist ein guter Zuhörer“, lobt Chantal, „es stimmt aber. Der Song handelt davon, sich auf einer mehr instinktiven Weise mit der Natur zu verbinden. Viele Menschen würden von einer solchen Haltung sicher profitieren.“

Ein ganz interessanter Charakter auf Chantals neuer Scheibe ist die „Wolfmother“ aus dem gleichnamigen Song.

„Oh ja das ist eine ganz interessante, komplexe Geschichte“, erklärt Chantal, „denn es gibt hier viele Schichten, die ich mal versuchen will zu erklären. Eine der Ebenen behandelt den immensen Respekt, den ich für die Natur und Tiere haben – die uns Dinge lehren, die uns Menschen nicht lehren können. Dann gibt es eine ganz andere Ebene, von der ich denke, dass viele Leute nicht glücklich darüber sind, wie ich sie sehe. Ich glaube nämlich, dass viele Frauen heutzutage aus einer Perspektive des Selbstmitleids und des daraus resultierenden Schmerzes agieren.“

Wie ist das denn gemeint?

„Ich finde es ganz schön traurig, dass Frauen offensichtlich oft nicht aus einer Position der Stärke aus handeln“, spezifiziert Chantal, „es sollte da doch besser eine Balance geben, denn es ist doch wichtig für uns Frauen, anzuerkennen, wer wir sind und was wir haben – und nicht darüber zu klagen, was wir nicht haben. Das regt mich wirklich auf – und das drücke ich in dem Song auch aus, denn ich möchte die Stärke der Frauen zelebrieren. Und da gab es natürlich diese Wölfin, die an sich schon ein Symbol für Schönheit, Kraft und Stärke ist, die ich auf diese Weise feiern möchte – anstatt über das Leid der Frauen zu singen. Das ist übrigens auch, warum ich mit Afrikanischen Sängerinnen gearbeitet habe, denn als ich mit denen über den Song gesprochen habe, haben sie sofort verstanden, worum es ging. Es gibt in Afrika diese Gemeinschaft von Frauen als Schwestern, von der wir in unserer Kultur wenig wissen. Frauen haben dort ein starkes Gefühl des Zusammenhangs, das ich in diesem Song vermitteln möchte. Und dann gibt es eine weitere Ebene, denn ich hatte die Möglichkeit, für drei Wochen in Russland mit einer Biologin unter Wölfen leben zu können. Es ist also alles ein wenig seltsam, denn dieser Song begann in Russland und endete in Afrika.“

Steht das alles auch irgendwie im Zusammenhang mit dem Covermotiv - einer vielschichtigen Collage von Jan Juhaniak zeigt, die im wesentlichen ein Mädchen mit vielen, fragmentierten Gesichtern zeigt?

„Die meisten meiner Covermotive sind mit den Inhalten verbunden“, erklärt Chantal, „ich habe mich mit diesem Bild aber schon lange bevor ich mit den Songs angefangen habe, beschäftigt. Ich habe mir das Bild im wesentlichen lange angeschaut und mir dann gesagt: 'Wow – damit kann ich mich total identifizieren'. Und zwar auf jede erdenkliche Art und mit allen Facetten meiner Persönlichkeit.“

Kann man das noch genauer beschreiben?

„Ja“, willigt Chantal ein „das Bild strahlt etwas Zerbrechliches aus. Es geht um das Gefühl, nicht dazu zugehören, es geht um Befreiung, es geht um ein Kind, es geht um Stärke und die Natur. Alles ist fragmentiert und alle diese Dinge kann ich in meiner Persönlichkeit wiederfinden. Diese Erkenntnis kam mir bereits vor vier Jahren und ich musste dann nur noch auf die Scheibe warten, die dann alle die Punkte irgendwie für mich zusammenführen könnte.“

Und das ist dann „Saturday Moon“ geworden?

„Ja“, bestätigt Chantal, „ich wusste aber immer schon, dass ich es eines Tages verwenden würde.“

Es wäre sicherlich verwegen behaupten zu wollen, dass Chantal mit diesem Album ihre musikalische Heimat nun gefunden hat (obwohl Chris Eckman das in Chantals aktueller Bio vermutet), denn sicherlich wird sie sich ja nicht davon abhalten lassen auch weiterhin allen Inspirationen gegenüber offen zu sein. Es ist nur so, dass der Zuhörer das Gefühl haben darf, Chantal mit „Saturday Moon“ ein Stück näher gekommen zu sein.

Words: Ullrich Maurer
Photo: Jürgen Augusteyns

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