CHARITY CHILDREN

Oktober 2021 Interview - Das Ende eines Märchens

Insbesondere auch für die Leser des Roadtracks-Magazins gehörten 2015 die beiden Auftritte von Charity Children zu einem der Highlights des Orange Blossom Festivals # 19. Das bezaubernde Songwriter-Ensemble um die beiden nach Berlin emigrierten, neuseeländischen Liedermacher Chloë Lewer und Elliott McKee brachte mit seiner von unbekümmerter Leichtigkeit auf der einen Seite und der fast schon manischen Intensität seiner Protagonisten getragenen frischen Wind ins Folkpop-Flair auf der Konzertwiese der Glitterhouse-Villa. Damals waren Chloë Lewer und Elliott McKee nicht nur in professioneller Hinsicht, sondern auch im richtigen Leben ein Paar. Und wie das im richtigen Leben eben manchmal so ist, war die Beziehung der beiden mindestens so intensiv, wie ihre Musik – was allmählich dann zu einem Auseinanderdriften und letztlich der persönlichen Trennung führte, und damit auch zu einer „Auszeit“ des Projektes Charity Children. Da aber damit das letzte Wort noch nicht gesprochen (bzw. gesungen) sein konnte, das Sorgerecht des gemeinsamen Hundes organisiert werden wollte und Chloë und Elliott sich inzwischen auch wieder verstehen, entschlossen sie sich zu einem konsequenten Schritt: Das Projekt Charity Children mit einem letzten gemeinsamen Album „Almost Young“ zu einem versöhnlichen Abschluss zu führen – wie sie uns bei einem gemeinsamen Treffen in Berlin berichten (wo beide immer noch – wenngleich heutzutage getrennt voneinander leben).

Als Chloë und Elliott noch zusammen waren, waren die Konzerte von Charity ja stets von einer fast schon manischen Energie erfüllt. War das im privaten Leben auch so?

„Ja, das war immer so“, bestätigt Elliott während Chloë eine Erklärung für diesen Umstand hat. „Weißt Du, Künstler haben ja die Möglichkeit ihre Energie auf kreative Weise herauszulassen. Als wir auf der Bühne standen, haben wir diese Energie genutzt, um unsere Geschichten zu erzählen und unsere Gefühle rauszulassen. Aber sowohl ich wie auch Elliott haben einen Schauspieler-Hintergrund – also war es auch ein wenig so, als spielten wir eine Rolle auf der Bühne. Diese Art von Intensität war aber das, was die Leute auf uns aufmerksam machte. In gewisser Weise haben wir diese Intensität eigentlich immer noch, denn wir sind bestrebt, so ehrlich wie möglich zu sein. Elliott brachte das in seinem Song 'Greatest Fears' von unserem zweiten Album 'Fable' auf den Punkt indem er sagte 'in truth and in rage – this motley band – who have no idea' (= dieser in Wahrhaftigkeit und Wut zusammengewürfelte, ahnungslose Haufen). Ich habe mir die Zeile 'In Truth And In Rage' dann auf mein Keyboard geschrieben und das wurde dann zu meinem Motto.“

Nun gut – was ist denn in der Zeit nach der ursprünglichen Trennung mit Chloe und Elliott passiert? Von Chloë gibt es ja zumindest ein Lebenszeichen in Form ihres elektronischen Projektes „B O K E H“. Was aber hat Elliott gemacht?

„Charity Children war eigentlich immer mein einziges musikalisches Projekt“, räumt Elliott ein, „ich bin eigentlich ein Filmemacher. Für mich war das – mehr noch als für Chloë – ein Extra. Ich war nie ein Musiker und war auch nie dazu bestimmt ein Musiker zu sein. Als wir hierher zogen, war es aber nicht möglich, mich als Filmemacher zu betätigen. Also lernte ich ein paar Akkorde auf der Ukulele und arbeitete an ein paar Songs – und dann begannen wir einfach an einem zweiten Alben in Berlin auf der Straße zu spielen und haben dann 10 Euro verdient. Da kam ich dann auch auf den Geschmack. Aber für mich ist dieses nun das letzte Charity Children Album. Ich werde weiterhin Songs schreiben – denn das mag ich sehr. Aber von meinem Leben als Musiker möchte ich einen Schritt zurücktreten. Für mich waren die letzten 10 Jahre eine Zeit des Übergangs. Als nächstes möchte ich dann mal einen Spielfilm machen – ob hier oder in Neuseeland weiß ich noch nicht genau.“

Wenn man sich die neue Scheibe „Almost Young“ so anhört, dann könnte man meinen, dass Charity Children hier eine Chronologie ihrer Beziehung vertont haben. Dem ist aber nicht so, oder?

„Nein - das ist das ja gerade das Komische, dass das nicht so ist“, meint Chloë, „eigentlich ist nur 'We loved' ein wirklicher Song über uns selbst.“ „Wir haben den Song über uns selbst geschrieben“, ergänzt Elliott, „es ist eine seltsame Erfahrung einen Song über die eigene Beziehung zu schreiben.“ „Es war aber auch schön und vor allen Dingen für die Fans wichtig, die aus uns ihr Märchen gemacht hatten“, sinniert Chloë, „deswegen war es uns auch wichtig, deutlich zu machen, dieses Märchen zwar ganz schön war, dass aber jemanden zu lieben auch bedeutet, dass man ihn gehen lassen können muss. Die anderen Songs auf der Scheibe handeln dann von anderen Beziehungen. Es gibt aber auch einen Song über den Klimawandel.“

„Almost Young“ ist dann also kein reines Beziehungs-Album?

„Nein – aber mein Lieblingssong ist Chloës 'Now That The Love Has Gone Long From The World' – der Song mit dem längsten Titel“, erklärt Elliott, „das ist ein schöner, sanfter Liebessong.“ „Ja, das stimmt – denn ich war da schon wieder in einer Beziehung, die langsam zerbrach, „fügt Chloë hinzu, „das wusste ich zu dem Zeitpunkt noch gar nicht nicht und schrieb den Song somit mit einer gewissen Vorahnung. Es ist das Portrait einer Beziehung die im Niedergang befindlich ist – im Angesicht eines Weltunterganges. Hast Du den Film 'Melancholia' von Lars von Trier? Ich habe diesen Song mit dem letzten Moment dieses Filmes im Hinterkopf geschrieben – als der Planet Melancholia und die Erde zusammenstoßen und diese Menschen die Hände halten. Ich habe dabei auch über den Klimawandel nachgedacht und mich gefragt, warum wir uns als Menschen eigentlich auf so abscheuliche Weise behandeln. Warum stützen wir uns nicht stattdessen (wie die Figuren in dem Film)? Ich finde nämlich wirklich, dass uns die Zeit langsam davonläuft, wenn wir nicht massiv etwas ändern. Wir bewegen uns auf ein Desaster zu. Wie werden wir uns wohl im Moment des Zusammenbruchs verhalten? Von diesem Gedanken kommt der Song.“

Es fällt auf, dass es weniger Ukulele und mehr Piano gibt. Was hat sich denn gegenüber der letzten Scheiben musikalisch geändert?

„Wir haben jetzt beide Klaviere“, berichtet Chloë, „Elliott hat auf seinem zum Beispiel die Asche seiner Mutter stehen – über deren Unfalltod er in dem Song 'Emerald City' singt. Wir wollten auf diese Weise zu unseren Fundamenten zurückkehren: Zu unseren Stimmen, zu unseren Texten, zu unseren Geschichten. Und wir wollten von dem Ukulelen-Sound weg. Ich liebe zwar immer noch den Klang der Ukulele – aber der war so mit einer bestimmten Zeit von uns als junges, verliebtes Paar verbunden. Wir wollten erwachsener klingen und das Klavier ist mittlerweile zu unser beider Lieblingsinstrument geworden.“

Mit welcher Erwartung gehen Charity Children denn an das neue Album heran?

„Das Schöne daran ist, dass es dieses Mal keinen Druck gibt“, ergänzt Chloë, „früher gab es immer diesen geschäftlichen Druck – aber heute sind wir vollkommen Independent und wir haben das nach unseren Bedingungen gemacht und für uns war es äußerst wichtig, dieses Album zu machen. Wenn andere es mögen – dann ist das wundervoll. Aber es war nicht der Grund, warum wir es gemacht haben.“

Und was erwartet Elliott von „Almost Young“?

„Ich bin zumindest mal neugierig darauf, wie Menschen, die früher unsere Musik gemocht haben, auf dieses Album reagieren werden“, überlegt Elliott, „denn wir schreiben zwar für uns selbst – aber wenn das für uns eine wahre Bedeutung hat, dann hat das sicher auch für andere eine wahre Bedeutung haben.“

Die wahre Bedeutung, auf die sich der Titel des Albums bezieht, entstammt übrigens einer Textzeile von Leonard Cohen's Song „So Long Marianne“. Diese heißt „We met when we were almost young. Deep in the green lilac park. You held on to me like I was a crucifix As we went kneeling through the dark.“ Diese erinnerte Elliott gleichermaßen daran, dass er und Chloe sich in gewisser Weise auch nach 10 Jahren Charity Children Historie noch jung fühlen – und auch an den Park in Berlin, an der das Projekt dereinst seinen Anfang mit der Straßenmusik fand.

Words: Ullrich Maurer

» Website: https://www.charitychildrenband.com/
» Facebook: https://www.facebook.com/CharityChildren/
» Youtube: Video „We Loved“
» Youtube: Video „Baby Blue“
» Youtube: Video „My Alchemy“ (Almost Young Session)