DAVID OLNEY

März 2021 Interview mit Anana Kaye & Irakli Gabriel

„Irakli und ich machen das zusammen“, antwortet Anana Kaye auf die Frage, wie wir das machen wollen, mit dem Interview zu ihrer neuen Scheibe „Whispers & Sighs“, die sie zusammen mit Ihrem Gatten Irakli Gabriel und dem im Januar tragisch verstorbenen David Olney eingespielt hat, „wir machen so ziemlich alles zusammen.“ Dadurch erübrigt sich dann natürlich auch gleich die Standard-Frage, wie Anana und Irakli ihre Songs denn wohl schreiben mögen. Aber worum geht es eigentlich? Nun am 19. Januar machte die erschütternde Nachricht die Runde, dass der legendäre Songwriter David Olney wenige Stunden zuvor bei einem Auftritt bei einem Songwriter-Festival in Santa Rosa Beach, Florida, mitten im dritten Song seiner Show an einem Herzinfarkt verstorben war. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wusste, war, dass Olney gerade die Aufnahmen zu einem neuen Album abgeschlossen hatte, das er in seiner Wahlheimat Nashville mit dem jungen, ursprünglich aus Georgien stammenden Songwriterpaar Anana Kaye und Irakli Gabriel eingespielt hatte. In der Tat hatte Gabriel gerade die Arbeiten an den Songs abgeschlossen, als auch ihn die Nachricht von Olneys Tod erreichte. Das besagte Album „Whispers & Sighs“ ist nun posthum erschienen. Anana Kaye und Irakli Gabriel wurden somit auf tragische Weise und unbeabsichtigt zu David Olney Nachlassverwaltern – zumindest in Bezug auf die gemeinsam erschaffene Songsammlung.

Wer aber sind Anana Kaye und Irakli Gabriel?

„Ich habe Georgien 1991 zunächst für ein einjähriges Schul-Austauschprogramm verlassen, das ich als Preis für einen gewonnenen Schreibwettbewerb bekommen hatte und bin zunächst nach Norwegen gegangen“, berichtet Irakli, „eigentlich war das eine optimistische Zeit für Georgien, das gerade seine Unabhängigkeit erklärt hatte und einen damals beliebten Präsidenten hatte. Eigentlich hatte ich fest vor, nach Georgien zurückzukehren, denn ich war erst 15- Aber kurz nachdem ich ich gegangen war, brach die Hölle los. Es gab in Moskau damals einen Putsch, der auch in Georgien für Unruhen sorgte und letztlich in einem Staatsstreich und einem Bürgerkrieg führte, so dass meine Verwandten mir rieten, nicht zurückzukehren. Glücklicherweise hatten meine Eltern temporäre Arbeits-Erlaubnisse für England und die USA und es gelang ihnen durch einen Kugelhagel nach Moskau zu gelangen, von wo aus sie in den Westen fliegen konnten. Ich blieb also in Norwegen und später in England und Deutschland bei Freunden der Familie. Die Welt die ich kannte und liebte war buchstäblich in Flammen aufgegangen. Ich hatte ha nicht mal einen richtigen Pass, denn die UDSSR hatte sich ja aufgelöst und Visas waren ein echtes Problem. Man hörte Geschichten von zu Hause – von Leuten die verstorben, im Krieg gefallen, an Überdosen gestorben oder von Banditen erschossen worden waren. Schließlich gelang es mir und meinen Eltern in den USA zusammenzufinden und dort ein neues Leben und einen Neuanfang zu wagen.“

Auch Anana hat eine abenteuerliche Geschichte zu erzählen – die indes ein wenig später ansetzt, als jene von Irakli.

„Ja, ich bin nach den Ereignissen, von denen Irakli berichtet in Georgien aufgewachsen“, erinnert sie sich, „ich gehöre zur Nachkriegsgeneration. Die Bedingungen damals waren wirklich schrecklich. Es gab oft kein Wasser und keine Elektrizität, zerstörte Häuser und hohe Kriminalitätsraten. Ab 2005 wurde es langsam besser. Irakli besuchte Georgien 2012 für einen Urlaub. Seine Cousine Nina ist eine gute Freundin von mir und sie wusste, dass ich mich für Musik interessiere und dachte, dass es eine gute Idee wäre, uns vorzustellen. Ich hatte schon ein paar YouTube-Videos gesehen, in denen Irakli Gitarre in Fred Stevensons Band in New York spielte. Nina und ich gingen also in dieses kleine Dorf, wo Irakli sich in einer Hütte verkrochen hatte. Wir haben uns sofort gut verstanden und entwickelten eine starke musikalische – und natürlich auch persönliche – Bindung. Wir haben uns verliebt und geheiratet – wie in einem Wirbelwind. Ich bin dann ein Jahr später mit ihm nach New York gezogen und vier Jahre später dann nach Nashville.“

Und hier kommen wir jetzt langsam zum Thema, denn in Nashville begannen Anana und Irakli ihre musikalischen Ambitionen zu verwirklichen und gründeten dort auch ihre Video-Produktionsfirma „Duende Vision“.

Was hat es mit „Duende Vision“ auf sich?

„Das entstand aus der Notwendigkeit heraus“, berichtet Anana, „wir hatten gerade unsere erste EP 'Sentient' gemacht und wollten ein paar Musikvideos machen – konnten es uns aber nicht leisten, jemand anzustellen. Wir haben beide aber ganz gut verstanden, worum es beim Filmen geht – und haben es also einfach mal selber probiert. Wir sind da wohl auch langsam besser geworden, denn mehr und mehr Leute baten uns, Videos – und Promo-Fotos - für sie zu machen. Wir genießen das sehr, denn es ist ein toller Job, weil wir dabei Kunst machen und kreativ sein können.“

Entstand so auch die Zusammenarbeit mit Mike Scott – bzw. dessen Band The Waterboys, für die Duende Vision ja auch diverse Videos machten?

„Nein ich habe Mike Scott 2011 in Glasgow nach einer Waterboys-Show getroffen“, erinnert sich Irakli, „ich hatte dort nämlich Freddie Stevenson besucht, mit dem ich in New York in einer Band spielte. Freddie hatte einige Songs mit Mike für das Waterboys-Album 'An Appointment With Mr. Yeats' geschrieben. Schönes Zeug – für das wir Freddies Stimme in meinem Apartment in New York aufgenommen hatten. Mike und ich sind in Verbindung geblieben und schließlich zu Freunden geworden, als er eine Zeitlang nach New York zog. Ich habe auch ein paar mal mit den Waterboys gespielt – 2019 sogar mit Anana zusammen in Chicago. Mike ist einer der Großen und ich war ein Fan seit ich ein Teenager war. Es ist klasse mit ihm zusammengearbeitet zu haben. Wir haben einige Videos für das letzte Waterboys-Album 'Good Luck Seeker' gemacht – darunter „Low Down In The Broom“, in dem unsere Freundin Rosemary Fossee mitspielt.“

Rosemarie Fossee ist dabei eine Schauspielerin und Musikerin, die Anana und Irakli zunächst im Rahmen ihrer Video-Produktionen engagierten – woraus sich dann allerdings mehr entwickelte, wie Anana berichtet. „Ja, es gibt kaum etwas, was Rosemary nicht kann – und wenn es so etwas gibt, dann lernt sie es schnell und gut. Rosemary ist multi-talentiert. Sie hat einen Background im Musik-Theater und auch als 'richtige Schauspielerin' – aber mittlerweile ist unsere Zusammenarbeit auch in den Musikbereich 'übergeschwappt'. Wir haben ein paar Duette aufgenommen ((„Anyone But You“ und „But I Do')) und wir haben auch ein paar Songs mit ihr geschrieben. Und da ist noch mehr in Vorbereitung.“ Inzwischen spielte Rosemary Fossee zum Beispiel Drums bei einer Live-Stream-Session, die Anana und Irakli in Nashville aufzeichneten.

Die Zusammenarbeit mit David Olney begann für Anana und Irakli übrigens auch durch die Produktion von Videos. Als Anana und Irakli 2017 nach Nashville zogen, trafen sie Olney eher zufällig, als sie ihn eines Abends in einer Musikkneipe Namens „Vinyl Tap“ spielen sahen.

In seinem Tagebuch erinnert sich Irakli an diese Situation.

„Ich wusste damals gar nicht, wer das war. Aber in dem Augenblick wie er ans Mikrophon trat und anfing zu singen, fühlte sich das wie Magie an. Es gab eine unmittelbare Verbindung. Ich schaute Anana an, die mit mir dieses Gefühl teilte. Erstaunliche Songs – und ein Seelenverwandter … Ich musste einfach 'Hallo' zu ihm sagen weil ich so bewegt war.“

Daraus ergab sich ein Gespräch mit Olney in dem Irakli und Anana davon erzählten, dass sie eine Video-Produktionsfirma hätten und Olney sich interessiert zeigte, da er ein paar Videos für seine aktuelle Scheibe „Don't Try To Fight It“ brauche. Und dann kam irgendwann der Abend, an dem David Olney sich dann auch ein Konzert von Anana und Irakli anschaute:

„Anana“, sagte ich zu meiner Frau, „Olney ist hier. Ich kann nicht glauben, dass wir unsere Song vor David Olney spielen werden.“ Wir spielten unser Set und ich konnte ihn im Publikum sehen. Er ging raus, als wir fertig waren und ich dachte schon: „Das war's dann wohl“. Ich ging raus aus dem „Wohnzimmer“ in dem wir gespielt hatten und da sah ich ihn mit einem Drink an der Bar sitzen. „Hey Mann, das war toll“, meinte er, „'wenn Träume wahr werden, dann sterben sie'. Habt ihr das geschrieben?“ David Olney hatte gerade einen meiner Songs zitiert! „Äh ja, ich schätze schon“, antwortete ich, „aber es ist ja so, dass Träume wirklich sterben, wenn sie wahr werden. Das hat sich also sozusagen selbst geschrieben.“ Wir lachten und ich setzte mich zu ihm an die Bar, bestellten eine weitere Runde … und er meinte: „Hey, ich treffe mich am Donnerstag mit John Hadley, um an paar Songs zu schreiben. Wollen Du und Anana nicht hinzukommen?“ John Hadley war ein Freund von David und sie gaben vermutlich hunderte von Songs zusammen geschrieben. Johns Songs sind auch von Dean Martin, Garth Brooks und Trisha Yearwood aufgenommen werden.“

Diese Episode lehrt uns zweierlei: Erstens, dass das Thema Musik mit dem Thema Alter nun wirklich nichts zu tun hat (immerhin waren David Olney und David Headley zu diesem Zeitpunkt älter als Iraklis und Ananas Großeltern). Und zweitens, dass ernsthafte Songwriter ihren Beruf wohl niemals als einen solchen betrachten, sondern stattdessen als Passion, deren Faszination sie sich überhaupt nicht entziehen können – ob sie nun wollen oder nicht. Übrigens ungeachtet der eigenen handwerklichen Fähigkeiten.

Auch hierzu gibt es in Iraklis Tagebuch eine anschauliche Passage:

„Als wir mit David zusammensaßen und an Songs arbeiteten, kam Dr. Schiwago des öfteren als Thema auf. Es war für Dafid ganz normal, eine andere Welt zu betreten und sich darin zu verlieren. Er konnte sich wirklich mich mit meinen und Ananas Geschichten über das Aufwachsen inmitten einer Revolution und eines Bürgekrieges identifizieren. Es fühlte sich so an, als er das mit uns durchlebt hätte - die physische und psychologische Vernichtung, die damit einher geht und die Spaltung der Herzen und Seelen der Menschen. Das fühlte sich für uns nicht wie eine Einbildung an, sondern sehr real – wie etwas was wir durchlebt haben und auf eine gewisse Weise immer noch tun: Gezwungen zu sein, von seiner Heimat, seiner Familie und Orten, die Du für untrennbar erachtet hattest, getrennt zu sein. Manchmal haben Anana und ich uns angeschaut und uns gefragt: „Passiert das gerade wirklich? Gehen wir hier wirklich in diese Tiefe? Vielleicht sogar zu tief?“ Die unausgesprochene Antwort war natürlich: „Ja – denn wäre ansonsten der Sinn für uns als Songwriter, wenn wir nicht so weit gingen, dass es schmerzt, zu persönlich erschiene und sich manchmal auch zu verletzlich anfühlt, um es anzurühren?“

Eine Frage, die sich angesichts dessen aufdrängt, dass „Whispers & Sighs“ unglücklicherweise zu David Olneys Schwanengesang als Recording Artist geworden ist die, ob die Sessions im Zeichen einer wie auch immer gearteten Vorahnung gestanden haben könnten. Zumal das Album eine düstere Note hat. Freilich: Das haben andere Scheiben David Olneys ja auch und inhaltlich lässt sich da ja auch nichts direkt festmachen und der Lauf der Zeiten ist ja auch stets Thema seiner Musik gewesen.

„Ich denke gar nicht so spezifisch in dieser Richtung“, überlegt Irakli, „jedermann ist schließlich des Laufes der Zeiten gewärtig und wir alle teilen das gleiche Ende. Und jeder hat seine Meinung ob dieses Ende eines ist, oder ob da noch etwas kommt. Vielleicht sind sich Künstler dieser Frage seit jeher gewärtiger als andere. Ich denke auch nicht, dass das 'düster' ist – eher realistisch. Ich erinnere mich daran, als 1997 Bob Dylans Album „Time Out Of Mind“ rauskam. Damals dachte ich einen Moment lang, dass das vielleicht seine letzte Scheibe sein könnte mit Stücken wie „Trying To Get To Heaven“ oder „Not Dark Yet“. Andererseits war Dylan gerade 20 als er sein erstes Album schrieb und darauf befand sich schon Stücke wie „See That My Grave Is Kept Clean“ oder „In My Time Of Dying“. Und sicher haben auch David und ich dieses Bewusstsein der flüchtigen Momente und der Wichtigkeit jeder Sekunde geteilt. Aber was unsere Scheibe betrifft, hatten wir nicht das Gefühl, dass das Thema eine Rolle spielte. Tatsächlich freute er sich sehr darauf mit uns auf Tour zugehen, weitere Songs zu schreiben und ein neues Album zu machen. Wir schrieben bis zum Ende. Ich habe noch eine Sprachnachricht über einen Song, an dem wir gerade arbeiteten, die ich ein paar Tage vor seinem Tod bekommen hatte.“

Was war denn im Rückblick der wichtigste Aspekt der Zusammenarbeit mit David Olney?

„Mit David Songs zu schreiben war wirklich die unglaublichste Erfahrung für mich“, erinnert sich Anana, „ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so verstanden gefühlt – und zwar auf persönlicher wie auch künstlerischer Ebene. Er mochte es, zuzuhören, Seine kindliche Neugier verwunderte mich jedes Mal. Jeder Song war wie ein neuer Anfang, eine neue Welt für ihn. Er war zudem immens ermutigend und aufgeschlossen und liebte den kreativen Prozess.“

Und wonach haben David, Irakli und Anana musikalisch gesucht?

„Ein guter Song ist für uns einer, den wir beide mögen“, überlegt Irakli, „und mit David war es dann einer, den wir alle mögen. Er muss sich ehrlich anfühlen – und hauptsächlich und vor allem emotional. Das übersetzt sich dann auf die Musik, auf die Scheibe, auf den Vortrag. Wir haben uns nicht hingesetzt und uns die Hirne zermartert um eine griffige Zeile zu finden. Auch wenn Du Charaktere erschaffst oder aus der Perspektive von jemand anderem schreibst, musst Du Dich auf andere einstellen. Auf diese Weise wird der Song dann auch persönlicher. Was die Aufnahmen betrifft: David meinte, dass das eine 'Europäische Scheibe' sein sollte – also haben wir uns dazu entschlossen, eher Streicher und klassische Arrangements als Gitarren einzusetzen.“

Die Streicher-Parts arrangierte Anana ja sogar selber. Hat sie eine klassische Ausbildung dafür?

„Ich habe das Klavierspiel an der Akademie studiert“, räumt sie ein, „aber ich bin mir nicht sicher, wieviel davon nach meinem Abschluss hängen geblieben ist. Denn als ich eine Song-Schreiberin wurde musste ich eine Menge wieder erlernen. Ich habe die Streicher-Parts zwar arrangiert und aufgeschrieben – aber ich höre in meinem Kopf eigentlich alles in Stimmen. Wenn ich etwas in meinem Kopf höre, schreibe ich es auf, bevor ich es vergesse. Wenn Du genau hinhörst, wirst Du feststellen, dass die Streicher auf der Scheibe dem ziemlich ähnlich sind, wie die Harmoniestimmen bzw. der Chor arrangiert sind. Das geht alles zurück auf meine Vorliebe für Vielstimmigkeit und Harmonie wie ich das in Georgien schätzen lernte.“

Während die meisten Songs in einem – zwar europäisch inspirierten – akustisch orientierten Americana-Folk-Setting eingebettet daherkommen, gibt es doch „Ausreißer“ wie z.B. das ordentlich rockende „Last Days Of Rome“. Dieser Song fällt auch inhaltlich etwas aus dem Rahmen in dem Sinn, dass es eine allgemeine Allegorie auf die Unwägbarkeiten unserer Tage im Angesicht eines möglichen, drohenden Kollapses sein könnte.

Gibt es einen solchen, aktuellen Bezug?

„Dass sich die Geschichte wiederholt ist ja eine am häufigsten verwendeten Klischees“, überlegt Irakli, „aber aus einem guten Grund. Also ja – in gewisser Weise stimme ich Dir da zu. Wir alle drei lieben es, Geschichtsbücher zu lesen. Geschichte war schon in der Schule eines meiner Lieblingsfächer. Alle Revolutionen, Kriege, politische Bewegungen egal in welchem Land und in welcher Zeit – haben grundlegende Gemeinsamkeiten. Und die Resultate sind selten schön oder das, was sich die Menschen davon erhofft hatten. Wir selbst haben ja eine Menge solcher Ernüchterungen mehrfach in unserer Heimat Georgien durchlebt. Und es ist schwer, etwa keine Parallelen mit dem zu ziehen, was sich momentan weltweit und speziell in den USA ereignet: Die Spaltungen und die Feindschaften die sich daraus ergeben und dass ständig jedermann beansprucht, etwas im Namen von etwas Großartigem und Größerem zu tun. Wir wollen ja wirklich nicht den Zeigefinger erheben – aber es ist schon schwer, den Slogans von politischen Bewegungen und deren Versprechen nicht skeptisch gegenüber zu stehen.“

„Das ist vermutlich auch der Grund, warum das Stück sich so zeitlos anfühlt, wie manche sagen“, fügt Anana hinzu, „es ging uns auch mehr darum, darauf hinzuweisen, dass wir alle dazu tendieren zu vergessen, dass die gegenwärtigen Zeiten in ein Paar Jahren nur noch ein Pünktchen in der Zeitachse der Geschichte sein werden und das es leicht ist, das aus dem Auge zu verlieren.“

„Ja, ich denke auch nicht, dass wir etwas Spezifisches in unserer Gegenwart ansprechen wollten“, ergänzt Irakli, „es ist eher wie David es in den Liner Notes sagt: Dass die Welt tatsächlich und sprichwörtlich in Brand geraten ist – und wir drei angesichts dessen einen Rückzugsort in unserer Freundschaft und dem gemeinsamen Musizieren gefunden haben.“

„Ich mochte immer schon vergangene Kulturen und wie die Grenzen zwischen Geschichte und Mythologie sich verwischen die so miteinander verwoben werden“, erinnert sich Anana, „ich glaube, das erste Buch, das ich bewusst selbst gelesen habe, war eine Sammlung griechischer Sagen. Ich war besonders fasziniert von der Geschichte von Medea, dem goldenen Vlies und den Argonauten. Besonders der Umstand, dass das in Georgien spielte, war für mich als Kind aufregend. In unserem Song ist das goldene Vlies nur eine Metapher für die Gier, die sich als etwas anderes verkleidet. David war auch fasziniert von Imperien. Wussten die Römer eigentlich, dass ihr Imperium zerfiel, während das passierte? Das hört sich wie eine dumme Frage an, aber wir vergessen halt, dass wir alle in einem kleinen Abschnitt auf der Zeitlinie der Geschichte leben. Es ist schwer, sich vorzustellen, dass die Gegenwart Geschichte im Entstehen ist und man sieht das Ende auch niemals bevor es tatsächlich da ist.“

Anana sagte in Bezug auf ihre Fotos, dass sie sich nicht so recht zwischen Farbe und Schwarz/Weiß entscheiden könne.

Gilt das in etwa auch für die Stimmung ihrer Musik?

„Es fiel mir immer schon schwer, mich zwischen Farbe und Schwarz/Weiß zu entscheiden, wenn es um Fotos oder Filme geht“, bestätigt Anana, „das liegt aber nur daran, dass ich denke, dass ich mich da entscheiden muss und dass ich – wenn ich könnte – gerne beides hätte. Das ist in einem visuellen Medium ziemlich schwierig. Anders ist das bei der Musik, denn da brauchst Du Dich nicht zu entscheiden. Ich denke sowieso dass es im Leben vor allem um die Balance geht – und ich gehe ungern in eine bestimmte Richtung. Man kann es Balance oder Zweigleisigkeit nennen – das Eine ist nur eine optimistische Weise, es zu sehen.“

Hat das vielleicht mit Ananas Herkunft zu tun?

„Ja, in Georgien aufzuwachsen war in dieser Hinsicht schon erstaunlich“, bestätigt Anana, „Georgien liegt ja auf der Grenze zwischen Europa und Asien und kulturell ist es beidem verbunden. Ich lebe nun als Einwanderin in den USA und spreche mehr Englisch als Georgisch. In meinem Kopf ist ein ständiges Mischmasch von Sprachen und deswegen formuliere ich meine Gedanken in einer speziellen Weise. Es ist schwer für mich zu erkennen, wo meine Heimat ist oder wo ich wirklich hingehöre, aber je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr realisiere ich, dass das nicht notwendigerweise eine schlechte Sache ist und versuche, das aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Mache aus 'Zweigleisigkeit' das Wort 'Balance' oder mache aus 'Fremder' eben 'Wanderer'. Es gibt also keinen Grund sich zwischen Farbe oder Schwarz/Weiß zu entscheiden. Zumindest in der Musik können wir beides haben.“

„Whispers & Sighs“ sollte keine einmalige Angelegenheit sein. David Olney hatte sich darauf gefreut, mit Anana und Irakli auch zusammen auf Tour gehen zu können (den Pandemie-Lockdown hatte er ja nicht mehr erlebt) und das Trio arbeitete auch bereits an neuen Songs. Auch wenn David Olney nun nicht mehr dazu beitragen kann, werden Anana und Irakli diese Songs dann auf ihrem nächsten Album fertig stellen. Man geht halt niemals so ganz ...

Words: Ullrich Maurer

Photo: Duende Vision

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