LAEL NEALE

März 2021 Interview - It's A Kind Of Magic

Wer sich im Web auf die Suche nach der Songwriterin Lael Naele macht, muss sich ganz schön anstrengen. Allzu oft laufen diesbezügliche Versuche ins Leere und das, was sich findet, verweist einzig auf ihre neue LP „Acquainted With Night“. Dass sie bereits eine längere Karriere aus Musikerin hinter sich hat, dass sie ganze Projekte verschrottet hat, dass sie ihre letzte LP „I'll Be Your Man“ bereits 2015 herausbrachte, dass sie zudem eine begnadete Malerin und ambitionierte Filmemacherin ist, muss man zwischen den Zeilen herauslesen. Welche Geheimnisse birgt Lael Naele ansonsten denn wohl noch?

„Ach so eine große Geschichte habe ich gar nicht“, lacht Naele, „ich habe eine ganze Weile herumgemacht – so ca. 12 oder 13 Jahre schätze ich. Mein letztes Album „I'll Be Your Man“ habe ich vor 6 Jahren gemacht. Das neue Album 'Acquainted With Night' ist aber das erste, das auf einem Label rauskommt und das erste, was sich wahrhaftig für mich anführt und mich als Künstlerin authentisch repräsentiert. Ich bin halt eine Spätblüherin, schätze ich.“

OK – worum geht es hier? „Acquainted With Night“ ist ein bemerkenswertes Low-Fi-Projekt, das Lael Naele zusammen mit ihrem Freund und Kollegen Guy Blakeslee, der das Ganze dann auch produzierte, in dem Bemühen losgetreten hatte, ihren Songs eine zeitlose Wahrhaftigkeit zu entlocken, die sich Lael mit konventionellen Methoden bislang entzogen hatte. Dabei kamen sie auf die Idee, die auf assoziativen Gedichten Lael's basierenden Songs musikalisch auf das Notwendigste zu entkernen.

„Ja, das stimmt“, bestätigt Lael, „das kommt daher, dass ich zuvor jahrelang versuchte, - wie alle anderen – immer neue Elemente übereinanderzustapeln. Das ist ja der normale Pfad, von dem man meint, dass man ihn als Musiker einschlagen müsse. Ich versuchte nun, mich diesbezüglich zu 'entkonditionieren' – auch von der Musikindustrie und der Gesellschaft, um so zu jener Reinheit zu gelangen, die für mich das wahre Ding repräsentierte.“

Auf der Suche nach einem bestimmten Orgelsound war Lael dabei auf das Omnichord gestoßen – einer Art elektronischer, akkordbasierter „Autoharp“ - aus den 80er Jahren, mit diversen Zusatzfunktionen, wie z.B. einer eingebauten Rhythmusmaschine, das sich in den USA und GB großer Beliebtheit insbesondere in Folk-Kreisen erfreut und gerade eine Art Renaissance durchläuft. Fasziniert von dem Klang des Instrumentes, entschied sich Lael, (bis auf einen Song mit Gitarre und einen mit Flöte) alleine dieses für die Produktion der Scheibe einzusetzen. Die Frage ist nur, warum?

„Nun, weil das all meine Probleme löste, da das Omnichord einen reichhaltigen vollen Sound hat, während es auf der anderen Seite ganz minimal aufgebaut ist und ich somit die volle Kontrolle über diesen Sound habe“, führt Lael aus, „das war aus meiner Sicht ein magisches Zusammentreffen. Und als ich dann Guy traf, hat er mich in dieser Annahme bestärkt.“

Weniger ist also für Lael Naele auf jeden Fall mehr. Gilt das dann auch für das Songwriting und insbesondere die Texte? Werden diese auch auf das notwendigste eingedampft? „Ja“, bestätigt Lael, „Du schreibst doch selber, oder? Und so funktioniert das doch auch beim Schreiben. Normalerweise notiert man sich ja ein paar Gedanken – und versucht dann, zu dem vorzudringen, was man sagen möchte. Und da überlegt man sich dann, wie man das auf die direkteste Weise tun kann – und das dann auch belegen kann. Ich habe Schreiben und Literatur studiert – und habe aus dieser Warte angefangen. Das beste Beispiel für diesen Ansatz ist die Poesie. Denn dabei geht es wirklich darum, wie in einem Puzzle das Nadelöhr zu finden und dabei mit wenig Raum so viel wie möglich zu vermitteln.“ Es ist ja auch viel schwieriger etwas Prägnantes und Bedeutendes zu Schreiben als etwas Schwelgerisch Ausartendes. „Definitiv“, bestätigt Lael, „das ist auch die Art, wie ich mein Leben lebe. Das ist für mich eine Art Philosophie. Es geht mir einfach darum, nicht so viel Zeug benötigen zu müssen. Es gibt halt eine Art von Reichtum und Tiefe, die keinen Müllhaufen obendrauf braucht.“

Ist das vielleicht auch der Grund, warum das ganze Projekt dann einzig mit einem Kassettenrecorder realisiert wurde? „Ja – da gab es zusätzlich auch den Reiz, einen etwas schwierigeren Weg einzuschlagen, weil man da schon ein paar Schritte mehr planen muss“, verrät Lael, „es ging mir hier aber auch um die menschliche Komponente im kreativen Prozess. Die Einfachheit, mit der man heutzutage als Musiker zu Ergebnissen kann, ist der Kunst und der Kreativität ja nicht eben zuträglich. Ich schätze durchaus meinen Computer und ich mache auch viel damit. Aber um etwas erschaffen zu können, ist er nicht das Richtige, denn die Interaktion damit ist ja schon ganz schön tot. Und eine Kassette ist bei solch einer minimalen Produktion ja fast so etwas wie eine zusätzliche Stimme.“

Worüber singt Lael eigentlich? Es geht dabei nicht darum, die Worte zu verstehen, sondern zu erfassen, was sie sagt. Geht es vielleicht darum, ganz banale, alltägliche Dinge durch einen magischen Filter zu erfassen? „Das könnte man so sehen“, überlegt Lael, „was ich möchte, ist eigentlich eine Art transzendenter Erfahrung des Alltäglichen widerzuspiegeln. Ich versuche also, ein ziemlich normales Leben zu führen – aber dabei alle Details ganz genau zu beobachten. Speziell wenn Du Dich in der Natur aufhältst, kannst Du ja eine engere Verbindung zur Welt um Dich herum aufnehmen. Ich versuche also mich auf diese Weise mit der Welt zu verbinden. Das macht mir Spaß. Und davon handeln meine Songs.“

Gibt es denn nicht auch einen philosophischen Ansatz dabei? „Doch schon“, meint Lael, „ich denke einfach, dass ich viel über die Gemeinschaft aller Menschen nachdenke.“ (Hier verwendet Lael den Begriff „Brotherhood Of Mankind“ - bevor das durch eine direkte Übersetzung dem Genderisierungs-Wahn anheim fällt, wollen wir mal lieber neutral halten). „Ich kann mich auf diese Weise mit jedermann identifizieren“, fährt sie fort, „und das ist ja etwas, was heutzutage besonders wichtig ist: Empathie zu entwickeln und auf diese Weise mit Menschen in Verbindung zu treten, die vielleicht ganz andere Ansichten haben, als man selber. Es geht um unsere gemeinsame Wahrnehmung des Lebens und des Todes.“

Das ist sehr interessant, denn in ihrem Song „Blue Vein“ heißt es: „Manche sagen, dass die Wahrheit für jene zu finden ist, die nach der Quelle suchen – aber ich denke, dass die Wahrheit zu jedem singt, der sie hören will.“ Das ist ja in etwa ein kritischer Kommentar an alle, die die Wahrheit weder suchen noch hören wollen – sondern stattdessen in ihren Meinungsblasen nach einer Bestätigung ihrer Dogmen suchen. Solche Leute kann Lael Neale doch auch mit Empathie nicht mehr erreichen, oder? „Ja, das ist ganz schön schlimm“, pflichtet Lael bei, „es hat sich ja schon lange abgezeichnet, aber ich denke, das letzte Jahr war in dieser Beziehung der Höhepunkt. Heutzutage stecken ja scheinbar alle in ihrer Feedback-Schleife fest und fühlen sich so sicher in seiner speziellen Weltsicht. Ich nehme mich selbst gar nicht davon aus – ich muss die Lektion – die ich zuvor ja selbst gepredigt habe, jetzt selbst auf die harte Tour lernen. Ich frage mich langsam auch, ob es so etwas wie die reine Wahrheit überhaupt gibt – weil ja jeder eine andere Wahrheit zu haben scheint. Je stärker Du etwas glaubst, desto mehr wirst Du in Deiner Welt ja auch bestätigt. Was ich mit meiner Textzeile ausdrücken möchte, ist, dass man etwas Spirituelles erfahren kann, was die Kleinlichkeiten verschiedener Meinungen aufwiegt, wenn man sich der Natur hingibt oder meditiert. Auf diese Weise hangele ich mich – zwischen Spannung und Fiktion durch diese seltsame Welt.“ Man kann ja auch einfach darauf achten, dass man „Wahrheit“ nicht mit „Meinung“ verwechselt oder gleichsetzt. „Ja, das stimmt“, pflichtet Lael bei.

Was inspiriert Lael denn musikalisch? „Also ich höre eigentlich nicht so viel Musik“, gesteht sie, „meine Inspirationen beziehe ich, indem ich durch die Welt gehe, Dinge beobachte, Sachen erfahre und diese in meinem Geist anhäufe. Das sind einfach kleine Dinge, die mir auffallen. Ich setze mich dann mit einem Instrument hin, spiele herum und nutze dann diesen Pool aus Erinnerungen, um daraus die Musik zu extrahieren.“

Und was macht dann einen guten Song aus? „Nun, das ist das ewige Geheimnis, nicht?“ gesteht Lael, „ich weiß das bis heute immer noch nicht. Ich habe zum Beispiel heute morgen ein bisschen rumprobiert und ein paar Akkordfolgen und Melodien gespielt – und nichts davon hatte eine magische Qualität. Und ich weiß einfach nicht, wie ich das erklären sollte. Man kann aber fühlen, wenn das Ganze funktioniert – spätestens dann, wenn eine Melodie hängen bleibt. Das ist ein gutes Zeichen. Und wenn es mir gelingt, ein bestimmtes Gefühl anzuzapfen und dieses zum Ausdruck bringen kann, ist das auch aufregend. Sagen wir mal so: Wenn Du Dich als Autor in etwas verliebst, dann ist es fast ausgeschlossen, dass Du auf diese Weise nicht auch eine bestimmte, spezielle Magie vermitteln könntest. Für mich war es zum Beispiel eine echte Überraschung und Freude, das Omnichord für mich entdeckt zu haben – geplant war das aber keineswegs.“

Dass Lael Neale eine poetische und philosophische Note besitzt, haben wir ja nun etabliert. Wie sieht es denn mit der Spiritualität aus? „Oh, das ist definitiv ein Teil des Ganzen“, räumt Lael ein, „'Spiritualität' ist auch genau das richtige Wort, denn das ist für mich eine Art Anknüpfungspunkt zu etwas, das größer ist, als ich selbst. Spiritualität ist für mich eine Möglichkeit, mich mit der gesamten Menschheit gemein zu machen. Es ist insofern lustig, als dass ich keineswegs religiös erzogen wurde und auch keinem Dogma zu folgen hatte. Mein Vater ist sogar ein Atheist – oder doch zumindest ein Agnostiker – aber ich sehe, wie er als Farmer mit seinem Land und der Natur verbunden ist. Das hat mich gelehrt, anzunehmen, dass Gott – was immer das ist – ein Teil der Natur ist. Meine Philosophie ist dass wir alle nach etwas streben, das größer ist, als wir selber – ob wir das nun wollen, oder nicht.“

Wie wird es denn weitergehen für Lael Neale? Es wird ja kaum ausreichen, ein weiteres Album nur mit einem Omnichord zu machen? „Ja, stimmt“, pflichtet sie bei, „ich habe definitiv auch schon über die Gefahr nachgedacht, als Omnichord-Girl in eine bestimmte Ecke gestellt zu werden. Ich bin definitiv nicht das Omnichord-Girl. Was zählt, ist dass man etwas macht, was einen wahren Ausdruck der Zeit und des Ortes repräsentiert, in dem man sich gerade befindet. Weil ich gerade von Los Angeles zurück nach Virginia gezogen bin und somit ganz anderen Erfahrungen ausgesetzt bin, wird das einen dezidierten Einfluss auf das, was ich als nächstes machen werde, haben. Ich denke, was passieren könnte, ist dass ich ein wenig mehr Krach und weniger Folk machen werde.“

Nun – das erklärt ja so Einiges. Dem hat auch Lael Neal nicht mehr viel hinzuzufügen – außer einem herzlichen „Tschüss“ - auf Deutsch.

Words: Ullrich Maurer

Photo: Jacob Boll

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