LE REN

Oktober 2021 Interview - Erinnerungen in Bernstein

Natürlich hätte die kanadische Songwriterin Lauren Spears ihr Debütalbum „Leftovers“ ja auch unter ihrem richtigen Namen veröffentlichen können. Aber wo wäre denn da der mystisch/poetische Mehrwert geblieben, der sich durch einen rätselhaften Nom de Plume ergäbe? Und so wählte die Gute das Pseudonym Le Ren, um im letzten Jahr zunächst ein Mal die vom Unfalltod ihres Ex-Freundes inspirierte – oder sollte man sagen 'initiierte' - EP „Morning & Melancholia“ zu veröffentlichen und sich dem amerikanischen Publikum – noch vor der Pandemie – auf einer höchst erfolgreichen Support-Tour für ihren Kollegen Orville Peck zu präsentieren. Weiland verarbeitete Lauren in vier Melancholischen Folk-Songs nicht nur den Tod des Freundes, sondern erkannte auch, dass eine Songsammlung so etwas ist, wie die Möglichkeiten, Erinnerungen jenseits des dokumentarischen Wertes festzuhalten. Insofern ist das nun vorliegende Debüt-Album „Leftovers“ keinesfalls alleine eine musikalische Restesammlung, sondern auch ein Testament des emotionalen Innenlebens Laurens, ihrer Erinnerungen und spezifischer Momente.

Woher kommt Lauren eigentlich und wo ist sie tätig?

„Zur bin ich in Montreal, wo ich nun schon 9 Jahre lebe“, berichtet Lauren, „aber eigentlich stamme ich von der Westküste Kanadas aus Bowen Island – was sich in der Nähe von Vancouver befindet.“ Das ist insofern kennzeichnend und wichtig, als dass diese Gegend einen schier unerschöpflichen Quell an einfühlsamen, kontemporären Singer/Songwritern hervorzubringen scheint, die sich mehr oder minder vollständig einem klassischen Folk-Flair in einem zeitgemäßen Setting verschrieben haben. Die Aufnahmen für das Album fanden aber nicht in Montreal statt, sondern in Zusammenarbeit mit dem Produzenten Chris Cohen (als Musiker ehemals Mitglied bei der Band Deerhoof) in Portland, Oregon.

„Ja weil mein Partner dort lebte und ich ihn während der Pandemie dort besuchte“, ergänzt Lauren. „eigentlich wollte ich für die Aufnahmen nach L.A. - es fühlte sich dann aber doch gut an, während des Lockdowns in Oregon bleiben zu müssen.“

Im Grunde genommen ist „Leftovers“ also zugleich Lauren's Pandemie-Album?

„Exakt“, pflichtet sie bei, „Chris und ich haben direkt zusammengearbeitet – aber die Beiträge der anderen Musiker wurden getrennt eingespielt. Wir haben die Basis-Tracks aufgenommen und die anderen haben ihre Beiträge später hinzugefügt. Das war eigentlich ein ganz interessanter Prozess, indem das dann alles übereinandergelegt werden musste. Chris hat das erstaunlich gut orchestriert.“ Die besagten Beiträge stammen zum Beispiel von Buck Meek von Big Thief, Jess „Tenci“ Shoman aus Chicago, Eliza Niemi oder Pedal-Steel-Spezialist Aaron Goldstein.

Sind das alles Freunde von Lauren?

„Nein – aber das sind Leute, zu denen ich wirklich aufblicke“, gesteht Lauren, „Mit Buck hatte ich vorher nur über facetime Kontakt und Tenci habe ich tatsächlich vor kurzem in Chicago getroffen, nachdem wir uns zuvor während der Pandemie nur Briefe geschrieben hatten und so dann eine Freundschaft aufgebaut haben. Chris Cohen habe ich vor Jahren mal als Support für Andy Shauf gesehen. Und er hat an einem Weyes Blood-Album gearbeitet, welches ich sehr mag und mit Ohmme in Chicago hat er auch gearbeitet. Das sind halt einfach Leute, die ich mag. Ich habe dann alle einfach gefragt, ob sie mitmachen wollten und sie haben 'ja' gesagt.“

Lauren sagt, dass Sie über die Folk- und Bluegrass-Musik überhaupt erst an die Musik herangeführt worden ist. Gab es denn eine Ausbildung in dieser Reichtung?

„Ich habe mit meiner Mutter ein Mal dieses Bluegrass-Camp in British Columbia besucht“, erinnert sich Lauren, „da war ich aber erst 14 aber es gab da einen Lehrgang, wo man sich mit den Instrumenten beschäftigte und den Rest des Tages dann mit anderen musizierte. Ich würde also sagen, dass ich an die Musik auf eine sehr organische Weise herangeführt wurde. Im Prinzip habe ich das dann später, als ich älter wurde beibehalten.“

Folk und Country sind ja auch die besten Medien, um Geschichten zu erzählen, richtig?

„Ja“, bestätigt Lauren, „ich liebe diese Art, Songs zu schreiben weil es so zugänglich ist und für mich Sinn macht. Viele meiner Lieblings-Songwriter sind wahre Meister darin, mit wenigen Worten in drei Minuten eine Geschichte zu erzählen und dabei eine ganze Welt zu erschaffen. Wenn jemand so eine klare Vision von dem hat, was er in so kurzer Zeit sagen will, dann fühle ich mich davon unheimlich eingenommen und das ist insofern auch etwas, was ich versuche: In einem kleinen Zeitraum etwas Relevantes auszusagen – und wie Du sagst, eignet sich das Folk-Genre wirklich gut dafür, Geschichten zu erzählen.“

Was ist denn dabei die größte Herausforderung? Vielleicht die Songs auf das Wesentliche zu reduzieren?

„Als Songwriterin fühle ich, dass 'einfach' für mich am Besten ist“, meint Lauren, „in der Country Musik sind Songwriter(innen) wie Dolly Parton einfach so gut darin, eine Idee in eine Schlagzeile oder einen Refrain zu verdichten. Ich denke, wenn es Dir gelingt, etwas bis auf die Knochen zu reduzieren und ohne von Metaphern oder leeren Phrasen abgelenkt zu werden etwas aussagen kannst, dann erreichst Du Dein Ziel auf eine Weise die eben nicht zu erreichen wäre, wenn Du Dich eben hinter Bildern versteckst. Es ist also definitiv so, dass ich versuche, die Sache simpel zu halten – aber ich fühle, dass sich mein Songwriting allmählich verändert und versuche auch andere Formen des Songwritings.“

Sucht Lauren nach direkten musikalischen Referenzen – oder richtet sie sich eher nach den Bedürfnissen ihrer Inhalte oder der Musik?

„Also irgend etwas direkt möchte ich auf jeden Fall nicht referenzieren, wenn ich Musik mache, denn wenn ich versuchte, etwas zu machen, das nicht wie ich klingt, würde man das sofort als aufgesetzt und gewollt heraushören können“, zögert Lauren, „es ist aber natürlich unmöglich, nicht unterbewusst von etwas beeinflusst zu sein – etwa von Songwritern die ich mag, wie Gillian Welch, Karen Dalton oder Andrienne Lenker und so vielen anderen. Bewusst will ich aber nie wenn jemand anderes klingen. Ich fühle mich aber immer auch geehrt, wenn man mich mit jemand anderem vergleicht – auch wenn das für mich manchmal keinen Sinn ergibt. Es ist aber interessant, wenn Leute etwas in meiner Musik hören, was ich selber nicht höre.“

Lauren's Songs sind bislang ja allesamt sehr persönlich und beschäftigen sich oft mit den Beziehungen zu ihr nahestehenden Personen, wie z.B. ihre Mutter Dyan. Wenn Lauren sagt dass sich ihr Songwriting langsam verändere.

Beinhaltet das, dass künftig vielleicht auch mehr fiktionale Elemente in ihren Geschichten geben wird?

„Ach ich denke, was wir immer ein Mix bleiben“, gesteht sie, „es ist mir nicht möglich etwas anderes als meine gelebten Erfahrungen zu referenzieren – weil das das ist, was mir am nächsten ist und sich am aufrichtigsten anfühlt. Aber auch wenn ich über mein gelebten Leben schreibe, dann verändern sich so viele Sachen in der Erinnerung. Etwa wenn ich über eine Beziehung schreibe – und ich nur über meine Seite der Erfahrungen sprechen kann und niemals wissen kann, was die andere Person genau fühlt. Also würde ich gerne damit weiter experimentieren, aus verschiedenen Perspektiven zu schreiben – aber es wird mir immer alles nah und persönlich sein. Einen vollkommen anderen Charakter einzunehmen würde sich – denke ich – nicht richtig anfühlen.“

Wie sieht Lauren die LP „Leftovers“ denn selbst. Ist es tatsächlich die Sammlung von Erinnerungen im Songformat, die es zu sein scheint?

„Total“, bestätigt Lauren, „etwas auf künstlerische Art einzufangen, in Bernstein zu gießen und so etwas aus der Vergangenheit festzuhalten sind die Bilder, die ich selbst im Kopf hatte, als ich den Titel des Albums – Überbleibsel – wählte. Jedes Mal, wenn ich einen Song schreibe, reagiere ich auf den Moment, in dem ich mich gerade befinde. Wenn ich etwa traurig bin, schreibe ich mit diesem Gefühl. Wenn dieses Gefühl dann vergeht, habe ich es aber immer noch in dem Song eingefangen. Es ist dann das Dokument eines Momentes, zu dem man nicht mehr zurückkehren kann – den man aber durch den Song noch einmal anzapfen kann.“

Geht es dabei eher um die Geschichte oder das Gefühl?

„Beides“, meint Lauren, „aber ein guter Song muss in mir sowieso zuerst ein Gefühl auslösen. Wenn ich zum Beispiel an meine Lieblingssongs denke, dann sind die alle total unterschiedlich – aber im Kern geht es bei allen um das Gefühl. Das kann bedeuten, dass mich diese Songs physisch motivieren, herumzutanzen oder aber ich höre einen Schmerz in einer Stimme und verstehe, was diese Person fühlt. Sogar die beruhigende Wirkung von Instrumentalmusik kann ja ein menschliches Gefühl evozieren und dich aus dem reißen, was Du gerade machst.“

Gibt es in diesem Sinne auch einen spirituellen Aspekt in Lauren's Musik?

„Ich denke doch schon“, meint Lauren, „und zwar spirituell in dem Sinne, als das mich mein Songwriting mir selbst näher bringt. Es ist auch eine Art Ritual für mich, indem ich einen sehr bestimmten Ort alleine erforsche. Wenn ich also eine Idee formuliere versetze ich mich in diese beruhigende Zone, die auch sehr kathartisch für mich ist, wenn ich zum Beispiel über das Thema 'Verlust' schreibe.“

Hat Lauren denn einen Plan für die Zukunft?

„Auf jeden Fall will ich weiter Musik schreiben und ich möchte auch eine nachhaltige Karriere haben“, führt Lauren aus, „darüber hinaus habe ich ich natürlich auch persönliche Ziele. Ich meine, ich fange ja jetzt gerade erst richtig an. Ich möchte für Leute Support spielen, zu denen ich wirklich aufblicke. Und dann habe ich kleine Ziele – wie zum Beispiel in einem bestimmten Club in Montreal zu spielen. Mein großes Ziel ist es, weiter Musik zu machen, die sich nach mir anfühlt und in der sich meine persönliche Entwicklung widerspiegelt, indem sich dann auch die Musik verändert. Ich möchte auf keinen Fall das Selbe zwei mal machen und wachsen und besser werden und mir in meiner Stimme sicherer werden. Es braucht nämlich Zeit, sich mit seiner Gesangsstimme wohl zu fühlen. Das sind meine Ziele für die Zukunft.“

Words: Ullrich Maurer

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