LOTTA ST JOAN

Februar 2021 Interview - Die unverblümte Wahrheit

„Hands“, das Solo-Debüt-Album von Lotta St Joan, ist eine perfekt inszenierte Fingerübung in Sachen klassischer Folk-Ästhetik, songwriterischer Ökonomie, performerischer Empathie und inszenatorischer Reduktion auf das Wesentliche. Nun gut – es wird hier sicher nichts neu erfunden, aber darum geht es ja auch gar nicht. Stattdessen ist „Hands“ eine Art Blaupause für ein Genre, das in unseren Breiten sicher nur ein Nischendasein für Connaisseure fristet, sich in den USA oder Großbritannien aber schon alleine der Tradition wegen, einer großen Beliebtheit erfreut. Nur: „Hands“ kommt eben nicht aus den USA oder aus Großbritannien, sondern aus Berlin. Wenn man dann noch weiß, dass die klassisch ausgebildete Lotta eigentlich Carlotta heißt und bevor sie dieses Solo-Projekt lostrat, Erfahrungen als Straßenmusikerin sowie als Mitglied der Bluegrass-Truppe „The Curtis Tembeck Outlaw Party“ und nicht zuletzt mit ihrem eigenen Bandprojekt „bllanks“ sammelte (und damit eigentlich einen deutlich poppigeren Ansatz verfolgte als mit „Hands“) drängt sich als erste Frage an Carlotta eigentlich auf, was sie denn bewogen haben mochte, sich das Folk-Genre als Metier für ihr Solo-Projekt auszusuchen.

„Also aus der Folk-Richtung komme ich ja eh schon immer ein bisschen“, berichtet Lotta, „ich hatte ja in einer Country-Band gespielt. Erst das 'bllanks'-Projekt hat sich in die Pop-Richtung entwickelt. Nachdem ich eine Weile Musik gemacht hatte, hatte ich das Gefühl, dass ich mal etwas machen wollte, bei dem ich näher am Text dran bin. Ich habe zudem Musik und Englisch auf Lehramt studiert. Meine Bandkollegen sind dann alle in Richtung Job gegangen und ich stand dann irgendwann alleine da und wollte, dass es irgendwie weiter geht. Ich hab dann gedacht, bevor ich jetzt jemand anderen suche, mache ich es lieber selbst und habe es selbst in die Hand genommen. Das Band-Projekt ist jetzt erst mal ad acta gelegt.“

Das heißt also, dass die Entscheidung, das Ganze als Folk-Projekt anzulegen, hat also direkt damit zu tun, dass Lotta jetzt alles alleine macht? „Das war damals eigentlich keine bewusste Entscheidung, sondern das kam irgendwie so. Die Lieder mit 'bllanks' habe ich vorher großteils auch alleine auf der Gitarre geschrieben. Die haben wir dann halt zusammen arrangiert, wodurch es poppiger wurde. Der Kern der Musik war eigentlich auch Singer/Songwriter-Folk. Ich habe mich im Folgenden dann auch mehr mit Folk-Künstlern wie Leonard Cohen und Joni Mitchell und den ganzen Helden beschäftigt. Das hat wahrscheinlich auch mit da rein gespielt. Ich würde sagen, dass die Folk-Musik mein ganzes Leben geprägt hat. 'bllanks' war da eher ein Ausreißer.“

Die Folk-Musik ist ja auch das geeignete Mittel, Inhalte zu vermitteln. Wahrscheinlich geht es auch darum, oder? „Absolut“, bestätigt Lotta, „ich hatte bei 'bllanks' immer das Gefühl, dass erst die Musik und dann der Text kam. Ich wollte das dieses Mal anders herum gemacht, weil mir der Inhalt viel wichtiger war, als catchy Popsongs zu schreiben.“ Um so vorgehen zu können, muss man als Songwriter ja etwas zu sagen haben. Was war das denn im Falle von Lotta St Joan? „Die Texte wurden sicherlich ausgelöst, durch eine Trennung durch die ich damals gegangen war“, gesteht Lotta, „und ich wollte dann auch ein Album machen, was für mich selber eine heilende Wirkung hat. Ich wollte die Gefühlszustände in denen ich damals war – dieses Zweifelnde und Nachdenkliche – ehrlich erzählen und dann aber auch mit einem guten Gefühl da rausgehen.“ Und hat das funktioniert? „Ja, für mich hat das jedenfalls funktioniert“, lacht Lotta, „es haben mich aber auch schon ein paar Menschen angesprochen, dass das auch für sie eine kathartische Wirkung habe und das finde ich natürlich schön und so war es ja auch gedacht.“

Handelt es sich bei „Hands“ eigentlich um ein Lockdown-Projekt? „Lockdown-Projekt würde ich nicht sagen“, überlegt Lotta, „obwohl rückblickend betrachtet kann man das natürlich annehmen, weil ich die Zeit dafür hatte – aber das Album war sowieso geplant. Ich war ja vorher hauptsächlich mit meiner Band 'bllanks' beschäftigt und hatte das Gefühl, dass das irgendwie nicht so recht weiter ging und hatte deshalb beschlossen ein Solo-Album zu machen. Der Lockdown hat mir dann ein bisschen die Entscheidung abgenommen, wie das Ganze passieren würde. Ich habe nämlich lange überlegt, ob ich ins Studio gehen oder wie ich das machen wollte und durch den Lockdown war dann klar, dass es bei mir zu Hause machen wollte, weil ich ja auch die Zeit und Ruhe dafür hatte. Der Lockdown hat also ein bisschen mit reingespielt – aber das war nicht geplant.“

Gibt es eigentlich konkrete musikalische Inspirationen an denen sich Lotta St Joan orientiert? „Laura Marling ist auf jeden Fall die Person, die mich schon seit Jahren diesbezüglich begleitet“, räumt Lotta ein, „da würde ich sagen, dass das meine Nummer 1 ist, was mein musikalisches Vorbild betrifft.“ Das ist deswegen interessant, weil Laura Marling ja eine Entwicklung genommen hat, die sie von den Folk-Roots über ekletische Rock-Musik und strukturelle Experimente in letzter Zeit wieder hin zur Reduktion auf das Wesentliche geführt hat. „Ja, das stimmt“, pflichtet Lotta bei, „ich war natürlich super-happy als sie letztes Jahr mit ihrem Album 'Song For Our Daughter' rauskam, weil sie damit irgendwie wieder zu ihren Anfängen zurückgegangen ist. Wie Du sagst hat sie ja zwischendurch alles mögliche versucht. Sie war ja auch zwischendurch in den USA und ich glaube, das hat auch ein wenig reingespielt. Ihr Bandprojekt Lump habe ich dann auch mitgenommen und fand das auch interessant - aber ich bin schon sehr froh über den Sound, den sie jetzt wieder hat.“

Es ist ja eigentlich auch schwieriger, einfache als komplexe Songs mit vielen Zutaten zu schreiben. Ist das auch ein wenig der Anspruch, den Lotta St Joan hat? „Ja, mir war es bei diesem Album schon wichtig, dass es um gutes Songwriting ging und nicht um Effekthascherei mit 20 Stimmen und geilen Gitarrensoli. Ich wollte alles sehr einfach halten und nicht von der eigentlichen Geschichte ablenken. Mich beeindruckt in der Regel auch eher ein einfaches Lied mit Gitarre und Gesang, was mich dann berührt, als ein Riesen-Arrangement. Ich dachte auch, dass das ein guter Anfang für mich wäre – und dann kann man ja später immer noch sehen, was sich daraus entwickelt.“

Dass Lotta auf Englisch singt, hat vermutlich ja damit zu tun, dass sie das auch studiert hat, oder? „Ich denke am Anfang war das eher so ein bisschen so, dass es mir leichter fiel, über intime Dinge zu singen, wenn es nicht in der Muttersprache ist“, überlegt Lotta, „weil dann auch eine ganz natürlich Distanz entsteht. Und ich komme ja auch aus Süddeutschland und habe so ein bisschen einen Dialekt, wie Du vielleicht hörst. Da war es nie eine Option für mich auf Deutsch zu singen.“

Im Booklet der CD finden sich aber doch Haikus auf Deutsch? „Die sind von meiner Mutter“, erläutert Lotta, „ich habe mir überlegt, ob ich das machen soll – weil die Texte ja schon sehr persönlich sind und ich von Dingen singe, die die Mutter nicht unbedingt wissen will. Aber ich bin dann das Risiko eingegangen und bin jetzt total froh. Ich habe auch noch einen Freund, der das gerade ins Englische übersetzt und es gibt ja auch irgendwie einen Überblick über meine Herkunft. Es erleichtert vielleicht ein bisschen den Zugang.“

Was ist für Lotta denn das Wichtigste als Songwriterin? „Ich muss nachher das Gefühl haben, dass ich etwas Wahres gesagt habe, wenn ich einen Song geschrieben habe“, überlegt Lotta, „die unverblümte Wahrheit ist mir am Wichtigsten. Ich fange mit dem Song-Schreiben oft so an, dass ich einen Satz aufschreibe, der für mich wahr ist. Da kann es dann natürlich schnell mal passieren, dass man noch hier und da etwas hinzufügt, damit es passt. Das darf aber nicht sein. Jedes Wort muss einfach wahr sein. Und wenn mir das gelingt, dann freue ich mich natürlich.“

Und was kann sonst noch als Herausforderung als Musikerin wie Lotta St Joan sein? „Dass man so viel gleichzeitig managen muss“, führt Lotta aus, „ich würde gar nicht mal sagen, dass das Song-Schreiben meine größte Herausforderung ist, sondern alle Entscheidungen darum herum treffen zu müssen. Zum Beispiel: Wo nehme ich das auf? Mache ich ein Album oder eine EP? Wie kann ich die Sache promoten? Das sind die Aufgaben, die man ja heute leider auch noch hat und die mich oft überfordern.“ Und dann kommen ja noch die heutzutage immer wichtiger werdenden Formatfragen hinzu. „Genau“, bestätigt Lotta, „eigentlich hatte ich vor, das Ganze gleich als Album rauszubringen und nicht, wie das heutzutage üblich ist, erst eine Single und dann noch eine. Das hat sich für mich total unnatürlich angefühlt, denn ich habe das Ganze ja auch als Album geschrieben.“

Wie ist das Album denn angelegt? Es scheint so, als sei es ein musikalisches Tagebuch in Form eines Liederzirkels angelegt? Schließlich kommen ja bestimmte Themen in den Texten immer mal wieder vor. „Ja, das ist so angelegt“, bestätigt Lotta, „ein paar Themen kommen immer mal wieder vor und die Anordnung der Songs war gut durchdacht. Mir war es wichtig dass auf jeden Fall ein Bogen da ist – in der Mitte kommt der Tiefpunkt und dann geht es wieder bergauf. Es ist wie eine kleine Reise aus der man dann rausgeht – und ich freue mich, dass es manche auch tatsächlich so gehört haben. Ich habe das ja auch mal selbst als musikalisches Tagebuch bezeichnet. Am Ende habe ich dann gemerkt, dass ich selber so eine Art Reise bzw. Therapie mitgemacht habe – und deswegen war es natürlich auch sinnvoll, es genauso anzuordnen, die man dann so nachempfinden kann.“

Die Songs sind ja alle ziemlich melancholisch. Wird es denn auch mal etwas Lebensbejahenderes aus der Feder von Lotta St John geben? „Also ich würde mir das wünschen und ich habe es auch schon probiert“, berichtet Lotta, „aber ich schreibe ha schon lange Songs und ich habe auch aus meinem Umfeld schon gehört dass ich mal etwas Lebensbejahenderes schreiben soll. Ich habe mir das dann schon zu Herzen genommen und versucht es auch zu tun – aber es kommt überhaupt nichts organisches dabei für mich heraus – und das ist dann auch nicht gut. Ich würde mich freuen, wenn es mal klappt – aber bisher war es nicht so.“

Hat Lotta denn schon darüber nachgedacht, worüber sie dann als Nächstes singen möchte? „Ich möchte gar nicht unbedingt so viel planen“, gesteht sie, „ich habe – wie so viele andere auch – in den letzten Monaten Probleme gehabt, Inspirationen zu finden und schreibe gerade relativ wenig – weswegen ich noch gar nicht sagen kann, wie es weiter geht. Der erste Lockdown war ja noch hilfreich, weil man da mal Zeit hatte, sich auf sich selbst zu konzentrieren – aber irgendwann geht man sich dann ja auch selber auf den Nerv und möchte dann auch nicht mehr über sich selber schreiben – oder die Jammereien, die man gerade so hat. Und jetzt kommt halt relativ wenig von außen – und dann steht man erst mal da.“

Was möchte Lotta St Joan denn mit ihrer Musik erreichen? „Was möchte ich erreichen?“ fragt sie sich selbst, „also es ist ein großer Wunsch von mir, dass ich so viel wie möglich spielen kann. Womöglich auch auf größeren Bühnen, damit ich davon leben kann. Mein Leben ist jedenfalls darauf ausgerichtet, dass ich jederzeit loslegen könnte. Das ist natürlich ein bisschen unglücklich verlaufen und ich habe mir das auch etwas anders vorgestellt. Ich sitze jetzt also hier und warte darauf, dass es losgehen kann.“

OK – letzte Frage: Warum wählte Lotta denn den Künstlernamen St Joan? „Ja, in erster Linie, weil er mir gefällt und ich Joan Baez sehr gern mag“, erklärt Lotta, „außerdem hat mich die Geschichte um Jeanne d'Arc (Joan of Arc) fasziniert. Das Thema Feuer und brennen findet sich oft in meinen Texten wieder und daher hat sich das als Name richtig angefühlt. Und wer will nicht heilig sein?“ Ja schon – aber dafür muss man doch ein paar Jahrhunderte tot sein? „Das sollte man ändern“, erklärt Lotta St Joan.

Words: Ullrich Maurer
Photo: Timo Stein


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