LUCY KRUGER

Juni 2021 Interview - Großzügig und Substantiell

Die südafrikanische Songwriterin Lucy Kruger hat es nicht so mit konkreten Standortbestimmungen. Zwar zog sie vor zwei Jahren nach Berlin um sich dort der südafrikanischen Exil-Community (zu der z.B. Alice Phoebe Lou, Cherilyn McNeil von Dear Reader oder Meghan Wright von Shybits gehören) - und nicht zuletzt ihre Scheiben aufzunehmen – aber es zieht sie dann doch immer wieder zurück ins heimische Südafrika, wo sie ebenfalls an verschiedenen Musikprojekten engagiert ist. Und musikalisch möchte sich Lucy auch nicht so recht festlegen. Bei dem inzwischen auf Eis gelegten Projekt Medicine Boy, das sie bis letztes Jahr mit ihrem Kollegen Andre Léo betrieb ging es um dystopisch psychedelischen Dream-Noise während sie sich bei ihrem eigenen Projekt Lucy Kruger & The Lost Boys mehr für die Zwischentöne, das Unterbewusstsein und atmosphärische Faktoren interessiert. Lucy's letztes Album „Sleeping Tapes For Some Girls“ war dann gar eine intime Whisper-Dream-Folk-Angelegenheit, die Lucy ganz alleine realisierte. Auf dem neuen Werk „Transit Tapes (For Women Who Move Furniture Around)“ sind dann auch wieder Lost Boys zu hören – allerdings andere als auf Lucy's erstem Album „Summer's Not That Simple“. Mit ihrer neuen Partnerin, der niederländischen Gitarristin Liú Mottes, dem Drummer Martin und dem Bassisten Andreas betätigte sich Lucy jetzt wieder als Bandleaderin.

Nun ist das ja so, dass Lucy Kruger eine ganz eigene Vorstellung von Klangästhetik hat. Wie vermittelt sie diese denn an ihre Bandmitglieder?

„Ich denke, indem ich die Songs ja zuvor schon geschrieben habe, gibt es da schon etwas sehr Spezifisches, den Gitarrensound betreffend – obwohl ich gar nicht so genau weiß, was das ist“, überlegt Lucy, „das ist wie eine Art Handschrift für mich. Man kann sowas auch nicht verändern – selbst wenn man es versuchen wollte. Es ist also schwer zu vermitteln. Wir haben das dann so gemacht, dass die Band sich um mich herum versammelt hat und mich genau beobachtete. Das hat dann schon einen gewissen Einfluss gehabt. Ich arbeite sehr intuitiv und bin mir tatsächlich gar nicht klar darüber, was eigentlich passiert. Ich denke, die beste Art, zu einem Ergebnis zu kommen, ist einfach die, den Raum zu betreten und einfach mal zu sehen, was passiert.“

Das ist dann wohl der berühmte X-Faktor, oder?

„Da bin ich mir gar nicht so sicher“, zögert Lucy, „es ist eher so, als unterhielte sich eine Gruppe von Leuten in einem Raum. Vielleicht bin ich dann diejenige, die dieses Gespräch dann leitet.“

Lucys Musik entsteht ja sowieso mehr aus dem Gefühl heraus, als über die technischen Aspekte, oder?

„Ja sicherlich“, bestätigt sie, „es ist aber auch so, dass die technischen Aspekte schon wichtig sind – vor allem, wenn man mit einem Drummer zusammenarbeitet. Man muss dann nämlich auch eine bestimmte Beziehung zueinander haben und das ist bei meinem Drummer Martin defintiv der Fall. Aber im Allgemeinen muss die ganze Sache absolut vom Gefühl bestimmt werden.“

Was zeichnet einen guten Song für Lucy denn aus? Alleine um die Musik kann es ihr ja nicht gehen, oder?

„Das mag sich jetzt zu allgemein anhören – aber es geht da schon um ein Gefühl“, erklärt Lucy, „ein Song braucht einen Mittelpunkt. Dieser Mittelpunkt kann natürlich von verschiedenen Faktoren beeinflusst sein – etwa textlich oder musikalisch. Es muss auch ein Gefühl der Großzügigkeit da sein und es muss etwas Substantielles geteilt werden. Es ist nicht ganz einfach in Worte zu fassen.“

Zumindest auf einer „nicht physischen“ Ebene scheint Lucy mit ihren Songs ihr Leben zu verarbeiten. Gab es eigentlich einen bestimmten Auslöser, der Lucy anregte. Musikerin werden zu wollen?

„Das war für mich auf eine gewisse Weise eine natürliche Entwicklung“, berichtet Lucy, „Ich habe es immer schon geliebt, Musik zu machen seit ich jung war. In dem Sinne, dass ich immer schon gerne gesungen habe. Ich dachte auch, dass ich beruflich singen wollte – aber als Teenagerin war ich dann eher an meinen eigenen Gedanken und Gefühlen interessiert und dann wollte ich auch etwas Eigenes ausdrücken. Und selber Songs zu schreiben ist eine schöne Art, genau das schon in sehr jungem Alter machen zu können, weil man das von zu Hause aus seinem Schlafzimmer heraus machen kann. Das war dann am Ende eine ganz natürliche Entwicklung für mich.“

Würde sich Lucy denn selbst als spirituelle Person sehen?

„Ich zögere da in gewisser Weise 'ja' zu sagen“, hält Lucy inne, „und zwar weil ich gar nicht so recht weiß, was diese Wort genau bedeutet. Ich finde es heutzutage schwierig, das zu definieren. Ich bin schon irgendwie neugierig darauf, herauszufinden, wie wir im Inneren jenseits der physischen Welt funktionieren. Wenn das in diesem Sinne spirituell ist, dann würde ich 'ja' sagen. Es darf dann aber nicht allzu religiös werden.“

Und was inspiriert Lucy auf der musikalischen Ebene?

„Ich lasse mich definitiv von anderer Musik inspirieren“, erläutert Lucy, „es gibt Menschen, die sich sehr bewusst von Dingen leiten lassen, die sie musikalisch inspirieren – und man kann dabei sicher viel lernen. Ich hingegen höre mir einfach Sachen an, die mir gefallen und ich denke, dass diese Sachen dann ganz natürlich das, was ich tue beeinflussen. Das schleicht sich dann in meine Art zu spielen und zu schreiben ein.“

Was ist dabei denn die Herausforderung?

„Ich bin mir nicht sicher. Ich würde gerne öfter mit anderen zusammen schreiben. Es ist manchmal schwierig ,auf mich selbst zu vertrauen. Ich würde gerne der Musik mehr Aufmerksamkeit widmen – was mir aber gar nicht so leicht fällt. Und ich möchte das gerne mit anderen machen. Das ist aber momentan wegen der Pandemie-Situation und auch aus finanziellen Gründen schwierig. Meine Arbeit mit Medicine Boy war ein gutes Beispiel in dieser Richtung – einfach weil wir zu zweit mehr Zeit hatten, Dinge auszuprobieren. Man kann dann die Konversation deutlich weiter führen.“

Der eigenartige Zusatz im Titel des neuen Albums („For Women Who Move Furniture Around“) basiert auf einer Geschichte, auf die Lucy durch eine Dokumentation gestoßen war. Dort berichtete ein irritierter Mann, dass seine Frau ständig die Möbel verrücke, wenn er längere Zeit nicht zu Hause war, so dass alles ungewohnt aussah, wenn er zurückkehrte. Diese Idee ist ja auch irgendwie faszinierend – besonders wenn man den Grund für das Bedürfnis, die Möbel zu bewegen, nicht kennt.

Ist dieser Gedankengang vielleicht auch deswegen für Lucy so interessant, weil sie selbst ja viel herumreist und dann auch immer wieder an Orte zurückkehrt, die sich während ihrer Abwesenheit leicht verändert haben?

„Ja, das ist schon ganz schön seltsam“, räumt sie ein, „ich komme aber langsam besser damit zurecht. Und zwar deswegen, weil mit der Zeit unterschiedliche Dinge den Fokus ausmachen. Wenn ich in Südafrika bin, bin ich ja von Familien und Freunden umgeben. Da ich hier aber auch aufgewachsen bin, werfen sich viele Fragen bezüglich der Zugehörigkeit und seines Platzes in der Gesellschaft auf, wenn man sich von dem vertrauten Ort entfernt. Dann fühlt sich nämlich gleich alles ganz anders an.“

Wenn diese Scheibe jetzt eine Transitions-Scheibe ist – wie stellt sich Lucy denn ihre Zukunft vor?

„Ich hoffe einfach, das Ganze führt irgendwohin“, meint Lucy, „das ist die generelle Idee. Ich arbeite jedenfalls gerade an etwas, was dann hoffentlich auch zu etwas führen wird. Ich möchte auf jeden Fall auch weiterhin versuchen, sehr bewusst neugierig auf die Beziehungen zwischen meinem Handwerk und meinen Erfahrungen in der Welt sein. Und mutig genug sein, um zu sehen, wo das hinführt. Und wenn ich 'mutig' sage, dann meine ich das auch in einem spielerischen Sinne – was bedeutet, dass man zwar viel, aber nicht zu viel über alles nachdenken sollte, und dabei nicht am Ende gar die falschen Dinge zu wichtig nimmt. Ich möchte mich auch weiterhin stark engagieren.“

Words: Ullrich Maurer
Photo: Lucy Hazard

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» Youtube: Video: „A Stranger's Chest“
» Youtube: Video: „Evening Train“