MASHA QRELLA

September 2021 Interview - Gewohnt ungewohnt

Eigentlich war Masha Qrella ja immer schon für allerlei Überraschungen gut. Sei es, dass die Berliner Musikerin sich mit ihren Bandprojekten Contriva, Mina oder NMFarmer in instrumentaler Postrock-Seligkeit erging, sei es, dass sie sich mit ihren Solo-Alben in eine deutlich Song-orientiertere Richtung entwickelte, sei es dass sie mit ihren Theater-Arbeiten und Hörspiel-Projekten auch andere Kultursphären streifte und sei es, dass ihre Arbeiten für Film und Fernsehen gar dazu führten, dass ihre Musik in der US-Fernsehserie „Greys's Anatomy“ zu hören ist. Da wunderte es (uns) dann schon gar nicht mehr, dass sie 2019 mit der EP „Day After Day“ und erst recht mit dem neuen Album „Woanders“ schon wieder konzeptionelles Neuland betrat und nicht nur erstmals auf Deutsch sprach/sang sondern dabei obendrein auf vorhandenes Material zurückgriff. So vertonte sie für das über 12–minütige Stück „Arthur“ auf der EP ein Gedicht von Heiner Müller und einen Text von Einar Schleef – und griff für die komplett auf Deutsch eingesungene Scheibe „Woanders“ auf Texte des bereits verstorbenen Autoren Thomas Brasch zurück, den Masha erst posthum für sich entdeckte. Das sind ja nun deutlich mehr Facetten als viele ihrer Kolleg(innen) zu bieten haben. Das merkwürdige ist dabei eigentlich nur, dass Masha davon so gar nicht affektiert scheint. So als seien solche Wandlungsfähigkeit und Vielseitigkeit ganz normal.

„Na ja, das ist ja vielleicht einfach das, was ich kann“, meint Masha, „das ist ja etwas, was sich über die Jahre immer weiterentwickelt hat und irgendwann hängt man natürlich auch in der Falle fest. Und dann muss man halt machen, was man kann. Aber sagen wir mal so: Ich könnte auch ohne Musik leben. Ich mache das total gerne und ich genieße auch Probenphasen und Begegnungen über die Musik. Aber eigentlich geht es mir um diese Begegnungen – und die kann ich auch gerne woanders haben.“

Nun gut – so kann man das natürlich sehen. Kommen wir aber mal zum Album „Woanders“. Wie gesagt benutzt Masha hier ja vorhandenes Material, zu dem sie dann Musik schrieb. Das war ein ganz ähnlicher Ansatz, wie ihn auch Dota Kehr für ihr Projekt mit Gedichten von Masha Kalèko gemacht hatte. Und diese sagte, dass das für sie – die ansonsten ja immer nur auf ihre eigenen Texte reduziert wird – eine regelrechte Befreiung gewesen sei.

Wie sieht Masha (Qrella natürlich) denn die Sache mit den fremden Texten?

„Na ja – ich habe das ja nicht wirklich vorgehabt“, räumt Masha ein, „es war bei mir so, dass ich auf Thomas Brasch gestoßen bin und und dann alle möglichen seiner Texte gelesen hatte, bevor ich dann auf diese Geschichte aufmerksam wurde – und diese sich dann so festgenistet haben. Die haben mich ja überhaupt nicht mehr losgelassen. Das war dann ein längerer Prozess über mehrere Jahre und dann habe ich sogar das Gefühl gehabt, dass das meine Texte sind – obwohl ich natürlich wusste, dass es nicht meine sind. Aber ich habe dann irgendwann gar keinen Abstand mehr dazu gehabt. Ich hatte also nicht das Problem, dass ich mir darüber Gedanken machen musste, dass ich jetzt mit fremden Texten arbeite, sondern vielmehr sogar dass, dass ich diese zu nah an mich rangelassen habe.“

Was hat Masha denn an den Gedichten von Thomas Brasch so fasziniert?

„Ich fand, dass er total interessante Figuren in seinen Texten hatte“, berichtet Masha, „ich habe dann angefangen darüber zu recherchieren. Und dann ist mir natürlich Thomas Brasch durch seine ganze Erscheinung und diese Vehemenz oder Präzision seiner Aussagen aufgefallen.“

In der Bio steht ja, dass Masha eine Übereinstimmung der Geschichten aus Braschs Gedichten und ihren eigenen Erfahrungen feststellte. Ist das richtig?

„Schon“, meint Masha, „deswegen sind die Sachen auch so hängen geblieben. Ich war so ein bisschen erschüttert von der Aktualität seiner Texte für mich und habe viele Bilder gesehen, die sich auch in meinem Leben fanden. Darin habe ich mich ein wenig verloren. Ansonsten bin ich nämlich gar nicht so ein Lyrik-affiner Mensch.“

Sind denn durch die Texte dann auch musikalische Ideen entstanden?

Es gibt ja ja zu,m Beispiel den Song „Geister“, in dem es heißt „Wie soll ich Dir das beschreiben? Ich kann nicht tanzen. Ich warte nur in einem Saal aus Stille.“ Und das ist dann ausgerechnet ein flotter Club-Track geworden (der bei Masha's Konzerten zu einem verlässlichen Höhepunkt wird).

„Ich habe schon musikalisch Ideen bekommen“, überlegt Masha, „beziehungsweise ging es mir eigentlich darum, herauszufinden, was die Texte bei mir auslösen und triggern. Dadurch, dass ich das durch die Musik am Besten verstehe und ich auch am Ehesten verschiedene Facetten aufmachen kann, ist die Musik für mich wie ein Tool mit dem ich den Inhalt der Texte entschlüsselt habe. 'Geister' hat zum Beispiel ein sehr starkes Bild in mir ausgelöst. Ich habe mich in einen Club in den 90er Jahren zurückgebeamt gesehen. Da war ich ja noch ganz jung – klein sozusagen. Da war ich zwar überall schon mit dabei, aber ich habe das immer wie von außen beobachtet. So stand ich im Club halt eher an der Bar anstatt zu tanzen. Ich habe den Thrill nicht wirklich kapiert und es war mir auch fremd – gleichwohl auch irgendwo faszinierend.“

Auf „Woanders“ sind ja auch musikalisch einige Sachen drauf, die Masha zuvor noch nicht gemacht hatte. Ist das eine Möglichkeit, sich neue musikalische Optionen zu erschließen?

„Ganz bestimmt meint“, Masha, „das hat aber vor allen Dingen damit zu tun, dass das ursprünglich gar nicht als Album geplant war, sondern für eine Aufführung als Theaterproduktion in der Art eines emotionalen Textraums ohne zeitliche Zuordnung. Deswegen war es halt notwendig, musikalische Erwägungen in dramaturgischer Hinsicht abzugleichen. Ich wollte die Leute berühren, mit denen ich da zusammengearbeitet hatte – und denen war ganz egal, welcher musikalische Stil das war – Hauptsache die Texte waren drin.“

Plant Masha eigentlich Theater- und Filmmusiken als solche?

„Die meisten als Source-Musik verwendeten Stücke sind zufällig ausgewählt worden“, führt Masha aus, „es gibt aber auch ein paar Sachen, wo ich einen Score geschrieben habe und mache das jetzt auch immer mehr. Das ist aber nichts, woher ich komme.“

Hat die Beschäftigung mit Deutsch-sprachigen Texten denn das Bedürfnis in Masha ausgelöst, selber Texte auf Deutsch zu schreiben?

„Das weiß ich jetzt noch nicht“, zögert Masha, „ich bin ja mit Mina und Contriva viel unterwegs gewesen und Europa-weit getourt. Und ich hatte immer das Gefühl, dass ich alle Leute ja auch erreichen müsste. Für mich war das in der Zeit, in der ich viel auf Englisch geredet habe. Es kamen ja auch viele Leute nach Berlin, die kein Deutsch konnten. Deswegen wäre das ein Rückzug in einen privaten Raum gewesen, auf Deutsch zu singen. Das hat sich ein bisschen geändert. Ich empfinde es auch nicht mehr so. Aber damals war das so – es ging halt um die Kommunikation. Es gibt noch einen anderen Aspekt: Ich finde den Umgang mit einer fremden Sprache, die nicht die eigene ist, ein wenig anarchischer. Ich mag das auch, wenn Leute auf Deutsch schreiben, die nicht Deutsch sind. Ich kann dem viel abgewinnen, weil das auch ein wenig den kontrollierten Bereich der eigenen Sprache verlässt. Und was ich auch mag, ist Bilder in einer fremden Sprache zu erfinden, die man einfach so behauptet.“

Okay: Kommen wir mal zu der Standard-Frage: Wonach sucht Masha denn, wenn sie Musik macht und Songs schreibt.

„Weiß ich gar nicht“, meint sie sehr, sehr leise, „eigentlich kann ich das so nicht beantworten, weil ich auch nicht so ein Song-Faschist bin. Ich mag schon auch gute Songs – aber prinzipiell suche ich immer nach etwas, das rüberkommt, was erzählt werden muss. Eine kühne Dringlichkeit, die aber nie erklärt, warum es jetzt gerade diesen Track gibt.“

Wie geht es weiter mit Masha Qrella?

„Zunächst mal geht es endlich wieder auf Tour – und wir spielen überraschenderweise. Damit hatte ich ja gar nicht mehr so doll gerechnet“, erklärt Masha, „dann haben wir vor das Stück 'Woanders' nach Istanbul zu bringen und haben dafür die Texte übersetzen lassen. Das ist irre zu sehen, wie Texte auch dort greifen – in dieser politischen Situation. Die Texte sind schon politisch – aber sie sind universell und damit in gewisser Weise größer als unsere Biographien. Das ist halt Poesie und Kunst. Danach habe ich tatsächlich einen Auftrag für eine Filmmusik, die ich im Herbst machen werde. Das ist ein Fernsehfilm für den HR von Barbara Neul, der gleichen Regissuerin, die auch den Kinofilm „Töchter“ gedreht hat – für den ich ja auch die Musik gemacht habe.“

Words: Ullrich Maurer
Photo: Ullrich Maurer

» Website: http://mashaqrella.de/
» Youtube: Video „Geister“
» Youtube: Video: „Märchen“
» Youtube: Video: „Blaudunkel“