SLOW LEAVES

September 2021 Interview - Zwischen Privileg und Plan B

„Enough About Me“ hieß das 2017er Album des Kanadischen Songwriters Grant Davidson und seinem Band-Projekt Slow Leaves. Damals war das noch ironisch gemeint, da gerade Grant Davidson zu jenem Typus von Liedermachern gehört, der in der musikalischen Selbstbespiegelung seine Berufung gefunden hat und in seinen Songs vorzugsweise über sich selbst – oder doch zumindest aus der eigenen Warte – sprechen möchte. Im Prinzip geht er auf dem neuen Werk „Holiday“ sogar noch einen Schritt weiter und spielte sogar alle Instrumente selbst in seinem Heimstudio ein - und bezog sich somit eigentlich noch mehr auf sich selbst. Freilich war daran dann eher die Pandemie und nicht etwa ein ausgeklügeltes philosophisches Konzept schuld, wie uns Grant berichtet.

„Ja, hier in Winnipeg läuft das alles sehr langsam mit der Pandemie“, berichtet Grant, „ich glaube, das ist nicht anders als bei euch. Es sind die meisten Sachen zwar irgendwie offen – aber mit limitierten Kapazitäten. Ergo verbringe ich eine Menge Zeit zu Hause. 'Holiday' ist somit mein Lockdown-Projekt geworden. Ich arbeite zwar immer an irgend etwas – aber mit dem Lockdown gab es ja nun außer der Musik wirklich überhaupt nichts anderes zu tun. Es fiel mir also leicht, mir um nichts anderes Gedanken zu machen und mich auf die Musik und das Aufnehmen zu konzentrieren. Das war eigentlich sogar ganz schön. Es ist auch der Grund dafür, warum ich die Scheibe ganz alleine gemacht habe. Ich arbeite ganz gerne so – hatte jetzt aber auch eine gute Ausrede, die anderen Musiker nicht anzurufen.“

Das Interessante die musikalische Seite betreffend ist dabei die Tatsache, dass Grant die Songs auf eine ganz andere Weise mit Details angereichert hat, als es der Fall gewesen wäre, wenn er sie mit anderen Musikern eingespielt hätte.

Oder sieht er das vielleicht anders?

„Ja und nein“, zögert Grant, „ich arbeite gerne so, dass ich die Songs alleine vorproduziere um so auf die entsprechende Ideen zu kommen. Erst wenn eine Tour ansteht oder wir ins Studio gehe hole ich die Jungs dazu und die bringen dann ihre eigenen Ideen ins Spiel. Und sie sind auch besser an ihren jeweiligen Instrumenten – sodass das Ganze am Ende für gewöhnlich schon besser klingt. Ich liebe es aber, an der Produktion zu feilen. Indem ich die Sachen nun aber alle allein einspielen wollte – und auch erstmalig die Stücke selbst abgemischt habe – bin ich vorher noch nie mit einem so feinen Kamm an die Sache herangegangen – wenn Du weißt, was ich meine. Es gibt da natürlich Vor- und Nachteile an diesem Prozess, denn manchmal ist man so nah dran, dass man die Übersicht über das Ganze verliert. Aber insgesamt hat es mir gefallen.“

Gerade das Mischen sollte man aber doch besser anderen überlassen, oder?

„Da stimme ich Dir zu“, pflichtet Grant bei, „zumal ich ja kein Experte auf diesem Gebiet bin. Ich fühlte mich aber auch angezogen von der Idee, mir das alles ein Mal zu erarbeiten und ich fand das dann auch ziemlich befriedigend. Die grundlegende Sache ist aber wohl eher die, dass ich gerne die Kontrolle über solche Sachen behalte. Da opfere ich dann manchmal ein wenig von der Qualität um mir dann sagen zu können, dass ich es selbst gemacht habe. Und wenn etwas nicht gelingt, dann bin ich ja auch der Einzige, über den ich frustriert sein kann.“

„Holiday“ heißt das Album laut eigener Aussage übrigens deswegen, weil sich Grant ein Mal eine Auszeit von sich selbst nehmen wollte und sich inhaltlich weniger auf sein Innenleben konzentrieren wollte, als er das bislang tat. Nun singt Grant ja aber doch eher aus der eigenen Perspektive.

Ging es ihm dieses Mal darum, diese Perspektive zu wechseln?

„Mit diesem Plan bin ich die Sache gewiss nicht angegangen“, zögert er, „ich singe nach wie vor ziemlich aus meiner Sichtweise. Es ist nur so, dass die Ideen mehr stream-of-consciousness aus mir herauskamen. Für die neuen Songs habe ich mir bereits über das Sounddesign und die Produktion Gedanken gemacht, bevor ich die Texte geschrieben hatte. Ich hatte teilweise schon den ganzen Song fertig, bevor ich auch nur ein Wort geschrieben hatte. So etwas habe ich zuvor noch nicht gemacht, denn bislang habe ich mich immer mit der Gitarre hingesetzt und Musik und Text zugleich erarbeitet.“ Die Umkehr dieses Prinzips hat dann aber auch zu anderen musikalischen Lösungen geführt. „Ja, denn jetzt habe ich die Texte ja zu einem Groove hinzugefügt, den ich bereits erschaffen hatte“, bestätigt Grant dieses, „aber wenn ich jetzt auf die Songs zurückblicke, fiel mir dann auf, dass diese sich immer noch auf das, was ich gerade durchmachte bezogen – allerdings auf eine abstraktere und weniger bewusste Art und Weise.“ Was ist denn mit anderen Charakteren?

„Bei mir kommt immer alles aus meinem Empfinden heraus“, räumt Grant ein, „ich denke aber auch, dass Musiker, die mir unterschiedlichen Charakteren arbeiten, ihre eigenen Empfindungen durch jemand anderen kanalisieren. Es geht ja um die Repräsentation Deiner eigenen Weltsicht, richtig? Ich mag diesen Stil auch – aber das passt nicht zu dem, was ich gerne selbst als Erfahrung beim Schreiben mitnehmen möchte.“

Was ist denn der Grund für diese Philosophie?

„Nun ich denke, dass ich mir selbst immer noch irgendwie ein Rätsel bin“, überlegt Grant, „nicht, dass ich mich für außergewöhnlich halte, aber Menschen sind halt nun mal kompliziert. Mein Fokus liegt wirklich darauf, durch meine Songs kleine Stücke aus mir herausschnitzen kann, die ich – zumindest temporär – dann konkret definieren kann. Es hilft mir, mich mehr zu verstehen. Ich will da nicht wie ein Klischee klingen, aber ich denke schon, dass ich durch diesen Prozess ein besserer Mensch werden kann – eben weil ich ständig mehr über mich erfahre.“

Da hat Grant als kreativer Musiker ganz andere Möglichkeiten, sein Leben aufbereiten zu können, als das „Normalbürger“ haben, denen diese Möglichkeit eben nicht zur Verfügung steht.

Fühlt er sich als Künstler nicht sogar privilegiert?

„Das ist eine großartige Frage, weil ich über solche Sachen dauernd nachdenke“, meint Grant, „'Privileg' ist vielleicht nicht das richtige Wort – aber ich denke, es ist schon ein Geschenk, wenn man die Möglichkeit hat, durch seine Kreativität Dinge ausdrücken zu können, die für die meisten Leute schwer zu artikulieren sind. Ich zögere deswegen, es 'Privileg' zu nennen, weil diese Sache zugleich die Quelle des größten Stresses in meinem Leben ist: Den Wunsch eine kreative, künstlerische Person zu sein mit dem dazu gehörigen Lebensstil in Einklang zu bringen. In gewisser Weise ist das ein schwieriger Weg, weil man sich andauernd der Welt in seiner rausten und ungeschliffensten Weise präsentieren muss. Es ist irgendwie ein Kreislauf, der darin besteht, sich selbst niederzumachen und wieder aufzubauen. Immer und immer wieder. Ändern würde ich das trotzdem nicht, da ich nun mal so bin, wie ich bin und das auch auf eine gewisse Art mag. Man nimmt das Gute halt mit dem Schlechten.“

Na ja – man kann sich das ja nicht aussuchen.

„Ja“, bestätigt Grant, „aber trotzdem beneide ich manchmal Menschen, die ein einfacheres Leben führen, weil ich zu denen gehöre, die alles gerne zu Tode analysieren und deswegen so gut wie nie in den Tag hineinleben kann, weil ich alles immer über aber alles nachdenken muss.“

Ein Song auf „Holiday“, der vollkommen aus dem Rahmen fällt ist der letzte Track „Boredom“ - ein simples Piano-Stück, über dem Grant dann eine Art Gedicht rezitiert.

Woher kommt denn die Inspriation für „Boredom“?

„Ich weiß gar nicht“, zögert Grant, „ich schreibe ja dauernd irgend etwas – nicht nur Songs. Ich mag es einfach, meine Gedanken auf diese Weise mit Leben zu erfüllen – auch mit Gedichten. Ich habe mir schon mal überlegt, dass es einen auf gewisse Weise limitieren kann, wenn man seine Gedanken immer nur in Songs ausdrückt, weil man auf die Struktur des Songs, den Reim oder das Versmaß achten muss. Und wenn man in die Texte zuviel reinpackt, dann verlieren sich diese in der Musik. Ich fand die Idee, Stücke wie 'Boredom' zu machen immer schon interessant, weil das den Inhalt in den Vordergrund stellt und die Musik dann nur so eine Art emotionalen Rahmen bildet. Vielleicht mache ich sowas sogar nochmal. Ich mag Mark Kozelek – der verwendet diese Art von Sprechgesang auch schon mal ganz gerne.“

Was ist die größte Herausforderung für einen Songwriter, der in einem konventionellen Genre arbeitet, wie Grant?

„Die größte Herausforderung ist mit Sicherheit, überhaupt gehört zu werden“, erklärt er, „denn es gibt so viele fantastische Musiker da draußen und es ist schwer die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – worin ich nicht besonders gut bin. Und was die Ideen betrifft, so hatte ich bislang noch nicht das Problem, dass mir nichts eingefallen wäre. Ich muss ja immer noch so viel herausarbeiten, dass ich denke, dass ich da noch eine Menge Arbeit zu tun habe.“

Grant ist ja das, was man als Vollzeit-Musiker bezeichnen könnte. Gibt es denn für ihn überhaupt einen Plan B?

„Ich denke immer über einen Plan B nach“, gesteht er, „das ist Teil des Geschäftes. Man muss immer hinterfragen, ob man das richtige tut und ob es das alles wert ist. Ich habe eine Frau und einen Sohn und es muss ja alles am Laufen gehalten werden. Am Ende ist es aber doch so, dass das Schreiben – seien es Songs oder Gedichte oder was auch immer – etwas ist, was ich einfach tun muss. Denn ansonsten fresse ich mich von innen her auf. Und dann ist das ja auch so, dass ich ein besserer Ehemann/Vater/Mensch bin, wenn ich an diesen kreativen Dingen arbeite. Das ist sicher kein perfektes Szenario – aber für mich ist es sicherlich der beste Weg vorwärts für mich. Vielleicht bewerte ich das alles irgendwann neu und ändere meine Richtung – aber gegenwärtig möchte ich einfach weiterhin einfach Dinge erschaffen.“

Words: Ullrich Maurer

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