THE WEATHER STATION

Februar 2021 Interview - Mal sehen, was passiert

Um es gleich ganz deutlich zu machen: Tamara Lindeman – ihres Zeichens seit 2006 Vorsitzende und Personifikation ihres Bandprojektes The Weather Station - ist nur insofern verlässlich, als dass sie auf ihren Tonträgern (und natürlich auch auf der Bühne) als Musikerin und Songwritern jeweils die beste Version ihrer Selbst repräsentiert und dabei relativ wenige Kompromisse eingeht. Überhaupt nicht verlässlich ist die Kanadierin hingegen in Bezug auf den musikalischen Stil. Begann sie ihre Laufbahn nämlich zunächst auf Basis klassischer Folk-Roots, so entwickelte sie im Laufe der Zeit zunehmend eigenständigere Methoden, ihre poetischen Reflektionen, ihren einfühlsamen Gesang und ihre komplexen, aber subtil verwobenen Kompositionen in geeigneter Manier zusammenzuführen. Bislang fiel das aber gar nicht so sehr auf: Ihr zweites Album, „All Of It Is Mine“, entstand sogar in Zusammenarbeit mit Retro-Fachmann Daniel Romano und noch ihr letztes, selbst betiteltes Album, wurde bei den kanadischen Juno-Awards in der Kategorie „Contemporary Roots Album Of The Year“ nominiert – obwohl es hier schon lange nicht mehr um Folk-Emulationen ging. Wie konsequent und wagemutig Tamara ihren eigenen Weg beschreitet, wird hingegen erst auf dem nun vorliegenden, fünften Album „Ignorance“ so richtig deutlich. Hier blieb sich Tamara nämlich lediglich in Bezug auf die atmosphärische Gemengelage und ihren Gesangsstil treu – drückte ansonsten aber energisch auf den „Reset-Knopf“: Alle Songs entstanden nämlich auf dem Klavier (und nicht wie gewohnt auf der Gitarre) und erstmals gibt es in Tamara's Sound-Universum Raum für geradlinige, unerbittlich konsequente Rhythmen – während sie sich zugleich aber auf eine fast schon konventionelle Weise der Pop-Ästhetik gegenüber öffnete. Und sogar für jazzige Bläser-Vignetten bleibt Platz im Sound-Design.

Der vielleicht interessanteste Aspekt des neuen Albums ist aber vielmehr der, dass – obwohl musikalisch sozusagen kein Ton auf dem anderen geblieben ist – sich Tamara als Songwriterin durchaus treu geblieben ist. Abgesehen von den Arrangements hören sich die neuen Songs gar nicht so anders an, als früher – und sogar ihre Art zu singen hat sich nicht wesentlich verändert. „Ja, das hängt schlicht damit zusammen, dass ich mich so sehr gar nicht verändern kann“, lächelt Tamara, „während ich also durch die ganzen formalen und stilistischen Transformationen gehe, bleibe ich im Grunde ja dennoch ich selbst.“

Wie hat sich das denn auf die Produktion ausgewirkt? „Was ich mir schon vorher überlegt hatte, als ich die klanglichen Aspekte des Albums plante, war die Tatsache, dass ich viel Raum für meine Stimme lassen wollte“, erklärt Tamara, „das hängt damit zusammen, dass ich auf dem letzten Album versucht hatte, etwas besonders Starkes zu schaffen. Ich hatte aber nicht die musikalische Fachsprache um meinen Musikern erklären zu können, was sie auf ihren Instrumenten spielen sollten. Ich habe also stattdessen versucht, das alleine über meinen Gesang zu vermitteln und bin diesbezüglich auch in gewisser Weise erfolgreich gewesen – aber auf diesem Album hatte ich den Traum, meine Stimme nicht zu etwas verbiegen zu müssen, was sie nicht ist.“ Wie ist das denn zu verstehen? „Nun, bislang war das so, dass meine Produktionspartner darauf achteten, dass ich im Zentrum des Geschehens stehe. Auf meinem letzten Album – bei dem ich die Zügel selbst in die Hand hatte – wollte ich aber laute, druckvolle Musik machen. Da war es dann schwierig, meinen Gesang mit der Musik zu vereinbaren.“

Und das ist auf der neuen Scheibe dann ja vermutlich auch besser gelungen, weil auf Keyboards basierende Arrangements ja automatisch schon mehr Raum für die Stimme bieten, richtig? „Ja – denn meine Stimme sollte so sanft klingen, wie sie es normalerweise tut“, führt Tamara aus, „es war dann aber trotzdem ganz schön viel Arbeit, in Zusammenarbeit mit dem Tontechniker genügend Freiräume für dieses Vorhaben in den Arrangements zu eröffnen.“

Und das war mit einem Klavier dann einfacher? „Nun, ein Klavier ist ja schon ein großes Instrument, was auch klanglich viel Raum einnimmt“, überlegt Tamara, „ich denke aber, dass ich mit den Gitarren gerade einfach an einem toten Punkt angekommen bin. Es gibt schon Gitarrensounds auf dem Album – aber sie sind eher versteckt. Gitarren sind ja nun auch so gebräuchlich, dass es extrem schwierig ist, hier noch Klänge herauszukitzeln, die sich irgendwie erfrischend anfühlen. Ich habe mich einfach mal ein wenig davon entfernt.“

Was uns zu der Frage bringt, für wen Tamara heutzutage ihre Musik eigentlich macht? Nehmen wir nur mal das stilistischen Format der neuen Scheibe – das mache „alte Fans“ sicherlich dazu bewegen wird, das Ganze nach dem Motto „früher war alles besser“ erst mal ästhetisch abzulehnen. „Das ist eine sehr gute Frage“, zögert Tamara, „ich glaube, da habe ich noch nie besonders drüber nachgedacht. Manchmal, wenn ich mich besonders intensiv in einen Mix reinhänge, damit er für mich und meine Ohren gut klingt, dann muss ich mich schon bewusst daran erinnern, dass ich ganz spezifische Ansprüche habe, die nicht für jedermann gelten werden. Vielleicht sollte ich mich also gar nicht so sehr an mir selbst orientieren - weil ich ja nur eine Person bin und auch meine eigenen Scheiben nicht kaufen werde.“

Einige der neuen Songs sind ja auch wesentlich poppiger als man das von Tamara bislang gewohnt war. Was inspirierte Tamara denn hierzu? „Das war die klassische Popmusik der 80er Jahre, mit der ich aufgewachsen bin – einfach weil diese so gut klang und produziert wurde“, verrät sie, „mein Repertoire reicht an so etwas natürlich nicht heran – aber mein Interesse an der Popmusik war definitiv geweckt. Ich wollte da schon das eine oder andere klauen und in meine eigene kleine Welt überführen. Ich wollte einfach mal sehen, was passieren würde.“

Um welche Art der Ignoranz geht es Tamara denn inhaltlich auf dem neuen Album? Dem Vernehmen nach, ist sie über die Beobachtung des Prozesses der Umweltzerstörung auf das Thema gekommen. „Ich habe eigentlich immer Schwierigkeiten, Titel für meine Alben zu finden“, zögert Tamara, „als ich die Songs aber geschrieben hatte, stellte ich im Nachhinein fest, dass sich viele Titel mit dem Thema Ignoranz beschäftigen. Es geht auf dem Album also um alle möglichen Arten der Ignoranz und damit verbundene Konflikte – hauptsächlich aber um die Art von Ignoranz, gar nicht wissen zu wollen, was tatsächlich gerade relevant ist. Die andere Seite der Medaille ist nämlich die, dass ich viel über den Aspekt gemeinsamer oder sozialer Trauer und über Sorgen, wie wir alle haben, nachgedacht habe. Ich viel darüber nachgedacht, dass so viele Dinge, die wir gemeinsam so schätzen, auseinanderzufallen drohen und wollte diese Dinge aktiv und offen ansprechen.“

Und wie funktioniert das? „Nun, wenn man über Trauer nachdenkt, dann tut man das ja gemeinhin für sich selbst – so als sei man der einzige Betroffene“, erklärt Tamara, „ich habe mir dann aber überlegt, ob nicht auch andere das selbe fühlen wie ich selbst – und diese Menschen wollte ich dann ansprechen. Ich war mir aber zuweilen gar nicht immer so sicher, ob ich nicht vielleicht über mein Leben schrieb - oder aber eben diese anderen Gedanken schrieb. Ich denke aber, dass gerade diese verwischten Zusammenhänge die Songs stärken.“

Auf jeden Fall machen sie die Songs besonders eindringlich, emotional nachvollziehbar und bieten gleichzeitig Raum für eigene Interpretationen. Das war zwar im Fall Weather Station eigentlich immer schon so – auf dieser neuen Scheibe ist das aber besonders prägnant, weil hier noch die wagemutige und ungewohnt eklektische musikalische Umsetzung hinzukommt. Wer sich dafür interessiert, wie sich die Sache im Live-Ambiente anhört, der ist natürlich bis auf weiteres auf Stream-Events angewiesen. Immerhin wird Tamara diese im vollständigen Band-Ambiente und mit einer professionell Film-Produktion präsentieren.

Words: Ullrich Maurer

Photo: Daniel Dorsa

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