DAN MANGAN

Dezember 2022 Interview - Wie auf der Achterbahn

Seit nunmehr auch schon wieder 20 Jahren ist der kanadische Songwriter Dan Mangan im Geschäft. Dabei hat es der sympathische Kumpeltyp aus Vancouver nicht nur geschafft, eine bemerkenswerte musikalische Entwicklung hinzulegen, sondern damit auch noch Erfolg zu haben. So begann Mangan 2003 als hoffnungsvoller Songschmied mit einer Handvoll Songs im Folk- und Folkpop-Stil und gehört heutzutage zu den angesehensten Vertretern seiner Zunft, der auf jeder seiner inzwischen sieben Studioalben jeweils einen entscheidenden Schritt nach vorne gemacht – und sich damit eine stetig wachsende, treue Anhängerschaft erschlossen - hat. Mehr noch: Gleich zwei Mal wurde er mit dem kanadischen Grammy-Äquivalent – dem Juno-Award – ausgezeichnet, gründete eine Familie und hat sich ein zweites Standbein als Komponist für Film- und TV-Produktionen entschlossen (zuletzt als Komponist für den Film „Hector And The Search For Happiness“). Vielleicht liegt es an dieser Vielseitigkeit und Dan's Beharrlichkeit, dass das aktuelle, erneut von Produzent Drew Brown produzierte Album „Being Somewhere“ so leichtfüßig, selbstsicher und trotz ambitionierter produktionstechnischer Experimente mit gelassener Heiterkeit so schlüssig und ungezwungen daherkommt. Obwohl es doch sicherlich von der Pandemie beeinträchtigt wurde, oder?

„Doch – zumindest der Prozess selbst wurde durch die Pandemie beeinträchtigt“, pflichtet Dan bei, „ich habe zweieinhalb Jahren über die Ferne daran gearbeitet. Ich habe in meinem Kellerstudio den Gesang aufgenommen und habe das zu meinem Produzenten Drew Brown in Chicago geschickt, und der hat das dann zu Musikern in Los Angeles und London geschickt. Und natürlich wurden die Songs ja auch in der Pandemie geschrieben.“

Was motiviert einen Dan Mangan denn heutzutage, mit der Musik weiterzumachen?

„Also das ist ein wenig komisch“, räumt er ein, „denn ein Album zu machen ist so viel Arbeit, dass man sich schon fragt, wie man denn jemals wieder die Energie aufbringen sollte, ein neues Album zu machen. Und dann fallen Dir auf magische Weise neue Songs ein und dann will man die auch gleich wieder aufnehmen. Und wenn man dann mit einem neuen Album fertig ist, dann ist man so begeistert, dass man dann unbedingt das beste daraus machen will. Das ist ein bisschen wie eine Achterbahnfahrt.“

Wie sieht Dan denn seine musikalische Entwicklung? Es fällt ja schon auf, dass er sich schon seit langem von seinen Folk-Roots gelöst hat und heutzutage mit jedem weiteren Album klangliches Neuland betritt.

„Da gibt es zwei Seiten“, überlegt Dan, „seit ich älter und sicherer geworden bin, ist mir klar geworden, dass das Songwriting sehr prägnant sein muss. Jede Silbe zählt – und Du darfst Dir keine Wegwerf-Zeilen erlauben. Und dann ist die Form auch wichtig. Die Songs müssen ebenso prägnant sein und dürfen nicht länger als notwendig sein. Und wenn es dann an die Produktion geht, dann denke ich, dass die Produktion so wagemutig und explorativ wie möglich sein sollte. Im besten Falle hast Du dann zwei Volltreffer in einem: Ein großartiger Song und eine durchdachte und intelligente Produktion. Einfacher wäre es natürlich, einfach jeden Song so zu dokumentieren, wie es üblicherweise in einem Bandkontext gemacht wird. Drew Brown hat es sich aber zur Aufgabe gemacht, mich aus meinem Songwriter-Ghetto zu ziehen. Das Songwriter-Ghetto ist dabei diese Ecke, in die sich Songwriter selber stellen, indem sie immer wieder alles auf die gleiche Art machen.“

Fühlt sich Dan denn als Songwriter in einer Falle?

„Das mag mal so gewesen sein“, überlegt er, „aber eigentlich habe ich mich immer gegen diese Box gewehrt. Als ich anfing mit der Musik habe ich ja ziemlich folkige Musik gemacht. Das war aber zu einer Zeit, bevor Mumford & Sons oder die Lumineers existierten. Das Pop-Folk-Revival hatte noch nicht stattgefunden – und als es dann stattfand, habe ich mich mehr und mehr dagegengestemmt. Zwar beklage ich mich manchmal darüber, dass ich nicht populärer bin, aber zur gleichen Zeit rebelliere ich auch gegen alles, was gerade populär ist.“

Es schien lange Zeit ja so, als suche Dan Mangan nach einem eigenen musikalischen Stil. Mittlerweile kann man sich da aber gar nicht mehr so sicher sein, ob er ein bestimmtes Ziel anstrebt – oder ob er einfach Spaß daran hat, immer neue Sachen auszuprobieren. Wie sieht er das denn selber so?

„Also was ich am neuen Album am meisten mag, ist dass es nicht wie irgend ein anderes Album klingt, das ich kenne. Das ist mir sehr wichtig. Es klingt aber auch so, als hätte es entweder letzte Woche oder vor zwanzig Jahren gemacht worden sein. Ich hoffe, das bedeutet, dass es auch in 20 Jahren noch gut klingt. Vieles, was heutzutage aktuell klingt, wird in 9 Monaten veraltet klingen – und so etwas will ich nicht. Meine ältere Musik hört sich für mich teilweise schon veraltet an. Was ich also heute will, ist Musik zu machen, die zeitlos ist.“

Und was interessiert Dan auf der musikalischen Seite daran?

„Dazu kann ich nur sagen, dass Radiohead meine Lieblingsband ist“, schmunzelt Dan, „Drew Brown hat ja mit Radiohead und Beck und solchen Leuten gearbeitet – und die schreiben alle tolle Songs – aber sie produzieren sie nicht wie andere. Meine Entscheidung mit Drew zusammenzuarbeiten, rührt daher, dass ich diesen Ansatz sehr schätze.“

Und was zeichnet dabei einen guten Song für Dan aus?

„Ein guter Song sollte verdeckte Wahrheiten offenlegen“, meint Dan, „wenn Du irgendetwas künstlerisches erschaffst, dann sendest Du ja ein Rauchzeichen aus mit dem Du ausdrückst, wie Du Dich fühlst. Wenn andere dann sagen, dass sie sich ähnlich fühlen, dann kommen beide Seiten zusammen und fühlen sich weniger existenzialistisch alleine. Was Songs also machen sollten, ist die Wahrheit der Existenz beschreiben und in dem sie das tun entsteht eine Verbindung zwischen dem Hörer und dem Sender. Was wollen wir alle schließlich mehr als uns verstanden zu fühlen? Es gibt zwei Arten von Songwritern: Profis die ihr Handwerk verstehen, die tausende von Songs gehört haben, die alle Akkordfolgen kennen, die einen scharfen Sinn für Melodien haben, die Phrasen in geistreiche Wortspiele umwandeln können. Und dann sind da die Leute, die nicht schlafen können, wenn Sie nicht etwas loswerden können, was sie bedrückt. Das Beste ist, wenn beides zusammenkommt und sich überlappt. An diesem Punkt bin ich heute. Ich versuche, etwas zu artikulieren, das sich nuanciert, aufrichtig und pur anfühlt – aber in den historischen Kontext guter Songs passt.“

Dabei erzählt Dan auch sehr persönliche Geschichten. Den Song „In Your Corner“ schrieb er zum Beispiel über den schottischen Songwriter Scott Hutchinson, der durch Freitod aus dem Leben schied.

„Ja ich habe ihn selbst nur einmal auf dem Glastonbury Festival getroffen“, erinnert sich Dan, „aber ich kannte ihn über viele Kontakte aus meinem Freundeskreis wie zum Beispiel Broken Social Scene. Als er starb war ist stärker betroffen, als ich erwartet hätte. Das hatte mich sehr mitgenommen, denn er war ungefähr in meinem Alter und er hat vielen Menschen viel Freude bereitet, konnte das aber nicht erkennen. Er hatte einen Song namens 'The Woodpile' in dem er singt: 'Will You Come Back To My Corner?' Mein Song ist eine Art Antwort auf diesen Song von Scott und drückt die Dinge aus, von denen ich wünschte, dass ich sie ihm hätte sagen können.“

In der aktuellen Bio von Dan heißt es, dass er die neue Scheibe „Being Somewhere“ als eine Art musikalisches Trostpflaster konzipiert habe. Stimmt das?

„Ja“, bestätigt er, „kennst Du den Film 'Stand By Me' aus den 80ern? Da gibt es diese beiden Charaktere – Gordie & Chris Chambers, der von River Phoenix gespielt wurde – und jedes Mal, wenn es einen rührenden Moment in dem Film gibt, legt Chris seinen Arm um Gordie's Hals. Ich fand, dass das Album dieses Gefühl tonal und textlich widerspiegeln sollte. Wie eine Art von verwandter Seele, die Dich versteht und zu Dir steht. Ich finde, es ist eine sehr zarte, ernste, emotionale, direkte Scheibe. Obwohl die Songs auf der musikalischen Seite sehr experimentell angelegt sind, ist der inhaltliche Gehalt sehr direkt. Das ist eine interessante Gegenüberstellung, wie ich finde.“

Der Titel des Albums „Being Somewhere“ könnte ja von verschiedenen Perspektiven aus beleuchtet werden. Was bedeutet er denn für Dan Mangan selbst?

„Der Titel bedeutet für mich einfach, wie es sich manchmal anfühlt, wenn man einfach nur existiert“, führt er aus, „das bedeutet dass man zugleich gegenwärtig wie auch distanziert sein kann. Damit meine ich: Hier zu sein, während Deine Gedanken eine Millionen Meilen entfernt sind. Das Foto auf dem Cover spiegelt das ganz gut wieder. Es ist eine Nahaufnahme von meinem Gesicht aber meine Augen zeigen deutlich, dass ich gerade mit meinen Gedanken ganz woanders bin. Außerdem ist der Titel noch eine kleine Hommage an den Film 'Being There' mit Peter Sellers – der zu meinen Lieblingsfilmen aller Zeiten gehört.“

Und wo finden sich die aktuellen Krisenszenarien in diesem Konzept wieder?

„Man könnte die Scheibe in drei Kapitel runterbrechen“, erläutert Dan, „die ersten vier spiegeln wieder, an welchem Punkt wir als Gesellschaft gerade stehen, die nächsten drei handeln davon, wie ich mich gerade fühle und die restlichen fragen dann danach, wie ich Dir als Zuhörer helfen könnte, Dich besser zu fühlen – wobei der neunte Track 'No Tragedy Please' dann die Schlussfolgerung ist: Wie der Schmerz des Verlustes gleichzusetzen ist mit dem Ende der Liebe. Und die unauflösbare Verbindung zwischen diesen beiden Erkenntnissen ist schließlich der Grund dafür, warum das Leben als solches von Natur aus poetisch ist. Schmerz entspricht Liebe – Du kannst nicht das eine ohne das andere haben.“

Dem sollten wir jetzt besser nichts mehr hinzufügen – denn einen schöneren Schlusssatz könnten wir uns ja sowieso nicht ausdenken.

Words & Photo: Ullrich Maurer

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