THE DELINES

Februar 2022 Interview - Mit Willy Vlautin im Delines-Land

Als Willy Vlautin 2012 mit dem Album „Colfax“ das Projekt The Delines ins Leben rief, um damit seiner Vorliebe für soulträchtige Americana-Balladen auszuleben – und mehr noch, weil er dort seine Songs speziell auf die Fähigkeiten der Delines-Sängerin Amy Boone zuschneiden konnte und ergo nicht mehr als Frontman im Zentrum stand – gab es ja Willy's ursprüngliche Band Richmond Fontaine noch. Irgendwann wurde ihm dann die Mehrfachbelastung mit zwei Bandprojekten und seiner parallel laufenden Karriere als Autor von inzwischen sechs Romanen dann doch zu viel. 2016 beendete Vlautin das Kapitel Richmond Fontaine und betrachtet seither die Delines als sein hauptsächliches Musikvehikel. 2016 geriet Amy Boone allerdings in einen schweren Autounfall, von dem sie sich nur langsam erholen konnte, so dass das zweite Delines-Album „The Imperial“ erst 2019 erscheinen konnte (und Willy sein erstes Solo-Album „The Kill Switch“ zwischen schieben konnte). Dummerweise gerieten die Delines danach dann auch gleich in den Pandemie-Strudel, sodass das dritte Album „The Sea Drift“ erst jetzt erscheinen kann.

Ist „Sea Drift“ dann somit die Pandemie-Scheibe der Delines geworden?

„Also wir haben mit den Aufnahmen schon vor der Pandemie begonnen“, zögert Willy, „das ging ganz gut und dann kam die Pandemie und wir haben 5 oder 6 Monate lang Termine gecancelled und sind dann in dem Zeitfenster, in dem die Sache besser zu werden schien, zurück ins Studio gegangen, und haben den Rest der Aufnahmen rausgehauen, bis uns das Geld ausging. Was uns ausgebremst hatte, war die Tatsache, dass am Anfang niemand so recht wusste, was passierte und sich alle versteckten. Als wir dann wieder ins Studio gegangen sind, haben wir Masken getragen und uns vertraut, bis wir uns impfen lassen können. Aber wir sind ja sowieso eine langsame Band. Das liegt auch daran, dass Cory Gray, unser Trompeten-Spieler eine Weile brauchte, die Bläserarrangements zu schreiben.“

Als Backdrop für die Geschichten, die Willy auf „The Sea Drift“ erzählt, wählte er die Gegend an der Golfküste der USA. Zum einen, um den gemeinsamen Idolen von Willy und Amy Boone – Tony Joe White und Bobbie Gentry – eine Hommage angedeihen zu lassen und zum anderen, weil die Küstengegend im Süden der USA sich für ganz bestimmte Szenerien und Stimmungen bestens eignet. Das Interessante dabei ist, dass Willy in seinen Songs zwar jede Menge spezifischer Details, Namen und Beschreibungen einfügt – den Zuhörer aber meistens im Unklaren darüber lässt, was eigentlich gerade passiert.

Das Gesamtbild muss der Zuhörer sich also selbst zusammensuchen, oder?

„Ja - ich mache so etwas nämlich absichtlich“, erklärt Willy, „ich möchte, dass Du in der Mitte einer Situation landest – und nicht am Anfang oder Ende einer Geschichte. Nimm zum Beispiel den Song 'Little Earl'. 'Little Earl' ist ein Kind – und hat mit seinem Bruder einen Mini-Mart gestohlen und ist angeschossen worden. Das musst Du Dir aber selbst zusammenreimen. Der Bruder sitzt blutend auf der Rückbank, während 'Little Earl' auf einem Kissen hinter dem Steuer des Fluchtautos sitzt. Das ist übrigens bei 'Ode To Billy Joe' von Bobby Gentry auch so. Denn da sitzt die Familie beim Essen um einen Tisch und die Geschichte erschließt sich durch die Gespräche am Tisch.“

Die Frage ist, ob Willy selbst das Gesamtbild der Geschichte schon kennt – oder ob er auch wie ein Beobachter agiert, wenn er seine Songs schreibt?

„Beides würde ich sagen“, überlegt Willy, „bei 'Drowning in my Head' hatte ich zum Beispiel die Geschichte einer Frau im Kopf, die nach Hause kommt, wo viel Ärger auf sie wartet und sich dann ins Auto setzt und losfährt, weil sie sich fühlt, als würde sie ertrinken.. Ich überlege mir dann, welcher Soundtrack zu dieser Geschichte passen könnte und bringe dann beides zusammen. Und dann verändert sich das Ganze. Ich nehme Zeilen raus, ändere die Reihenfolge und verändere die Musik zwei oder dreifach. Vielleicht bastele ich sogar zu lange an meinen Songs rum – aber ich bastele auf jeden Fall lange an ihnen. 'Drowning' war erst eine große Ballade, dann eine kleine und schließlich eine Soul-Nummer. Generell gilt, wenn die Lyrics passen, dann ist der Song fertig. Anfangen tut es aber immer mit einer Geschichte und meine Frage: Welcher Soundtrack passte zu dieser Geschichte?“

Eine perfekte Interpretin für seine Songs fand Willy in der Sängerin Amy Boone, die zuvor bereits als Backing-Sängerin für Richmond Fontaine tätig war. Willy sagte, dass er glaube, dass Amy's Performance auf dem Sea-Drift-Album sehr selbstbewusst und stark ist – während sie sich subjektiv total gebrochen und resigniert anhört. Das ist allerdings kein Widerspruch, da es auf dem Album ja auch um gebrochene und resignierende Charaktere geht.

„Nun, die Delines proben ja sehr viel“, führt Willy aus, „als sie ins Studio kam, schien Amy sehr selbstsicher und sang sehr gut. Aber Du hast schon recht: Sie verkörpert diese Songs ja auch und interpretiert sie auf ihre ganz eigene Weise. Du hast also recht, denn sie klingt als habe sie eine Menge durchgemacht. Aber das ist ja der Grund, warum ich mich zu ihrer Stimme hingezogen fühlte und sie in meiner Band haben wollte – weil ich ihr nämlich glaube, was und wie sie singt. Es gibt da eine gewisse Lieblichkeit, aber auch Müdigkeit und Fatalismus mit einem Spritzer Optimismus in ihrer Stimme. Das macht sie für mich so interessant und das habe ich immer an ihr bewundert – auch schon, als es die Delines noch gar nicht gab und Amy und ihre Schwester noch in den Damnations waren.“

Das heißt wahrscheinlich, dass Willy die Songs dann genau auf diese Qualitäten in Amy's Stimme zuschneidet, oder?

„Ja, ich schreibe speziell für sie und ihre Stimme“, erklärt Willy, „dabei achte ich darauf, dass ich über Sachen schreibe, von denen ich denke, dass sie diese interessieren und hinter denen sie auch stehen könnte. Vieles entsteht auch aus unseren Unterhaltungen. Ich schreibe dann etwa einen Song aus ihrer Perspektive und dann hört sie sich das an und entscheidet dann, in welche Richtung es gehen soll.“

Willy arbeitet ja in einem eher konventionellen Setting, in dem ja so ziemlich alles, was machbar ist, schon mal ausprobiert werden kann.

Was ist für ihr denn die größte Herausforderung in einem solchen Setting als Songwriter bestehen zu können?

„Da hast Du wohl recht“, gesteht Willy, „ich habe immer mit traditionellen Formaten gearbeitet. Bei Richmond Fontaine war es Country und Folk, bei den Delines ist es eher Soul. Ich war immer interessiert an Songs mit Geschichten. Mein Ziel sind immer Emotionen und der Rahmen einer Geschichte. Meine Geschichten sollen den Zuhörer in sich hineinziehen. Ich möchte, dass der Zuhörer mit ins Delines-Land kommt. Wenn Du Amy's Stimme und die Musik der Band hörst, dann soll Dich das in eine andere Welt transportieren. Ich bin ja nun wirklich überhaupt kein revolutionärer Musiker, sondern eher ein Stilist in einem bestimmten Genre. Ich bin ein Geschichtenerzähler, der gerne das richtige Gefühlt trifft, das Dich als Zuhörer verschwinden lässt.“

Steve Earle hat ja ein Mal gesagt, dass der Unterschied zwischen einem Buch und einem Song für ihn der sei, dass man zu einem Buch nicht so gut tanzen könne.

Wie sieht das denn bei Willy Vlautin aus?

„Der ist gut“, meint Willy, „kennst Du Dave Alvin? Ich habe ihn mal gefragt, warum er denn keine Bücher schriebe – weil er doch gute Stories in seinen Songs hat. Was er sagte, war: Man sitzt drei Jahre in einem Raum und arbeitet und wenn man am Ende noch Freunde hat, springt vielleicht ein Abend zusammen dabei heraus – und danach sitzt man wieder für drei Jahre alleine in einem Raum. Man kann hingegen in einer mittelmäßigen Band sein und bekommst jeden Tag freie Drinks, gutes Essen, alle Frauen, die Du möchtest und am Ende noch 50 Bucks obendrein. Ich habe das schon verstanden, aber ich muss sagen, dass ich es mag, drei Jahre alleine vor mich hinzuarbeiten. Ich kann ja auch beides gleichermaßen jonglieren. Musik ist für mich mysteriöser als die Arbeit als Schriftsteller. Man weiß einfach nicht, warum die Menschen das Eine oder das Andere mögen. Man sitzt als Songwriter in seinem kleinen Ruderboot und hat einfach keine Ahnung, ob das, was man macht gut ist oder nicht. Einen Roman zu schreiben ist hingegen, wie Stein für Stein ein Haus zu bauen.“

Was hält denn die Zukunft wohl für Willy Vlautin und die Delines bereit?

„Ich würde gerne weiterhin schöne, große, Balladen schreiben, die vom Soul inspiriert sind“, verrät Willy, „schon als Teen, der versuchte ein Punkrocker zu sein, habe ich Balladen geschrieben. Mein Traum war eigentlich immer schon, in einer Band wie den Delines zu sein, für die ich Songs schreiben könnte, die dann aber jemand anderes singt. Ich möchte eigentlich nur weiter Songs für die Delines schreiben – vielleicht in verschiedenen Stilen, die aber zur Welt der Delines passen. Wenn Du im Plattenladen zur Delines-Abteilung gehst, solltest Du dort ca. 7 Scheiben finden, die sich alle ähnlich anfühlen, aber unterschiedlich klingen. Das ist mein Ziel. Ansonsten ist es so, dass ich ja langsam älter wäre. Wäre dem nicht so, gäbe es allerhand Bands in denen ich gerne dabei wäre und verschiedene Sachen, die ich ausprobieren würde. Aber ich liebe jetzt die Delines und werde so lange hart daran arbeiten, Songs für sie zu schreiben, bis mir die Räder abfallen.“

Words: Ullrich Maurer

Photo: Summer Luu

THE DELINES ON TOUR:

MORE INFORMATIONS:

» Website: https://www.thedelines.com/
» Bandcamp: https://thedelines.bandcamp.com/album/the-sea-drift-3
» Youtube: Video „Little Earl“
» Youtube: Video „Kid Codeine“
» Youtube: Video „Past The Shadow (live in the studio)“