WILLIAM FITZSIMMONS

Januar 2022 Interview - Eiertanz im Weltall

Auf seiner vorletzten LP, „Mission Bell“, sezierte William Fitzsimmons mit Gusto und ausführlich das Zerbrechen der Beziehung zu seiner damaligen Frau – die ihn mit seinem Tourdrummer betrogen hatte (worüber er sich bis heute in seinen Live-Shows lustig macht). Inzwischen ist der Mann, der zur Zeit in Jacksonville, Illinois residiert, zum dritten Mal liiert und hat sich mit Ehefrau #2 insofern arrangiert, als dass man sich über die Zuständigkeit für die gemeinsamen Kinder gütlich geeinigt hat. Ganz losgelassen hat ihn das Thema aber immer noch nicht. Die ersten Songs zu seinem letzten Album „Ready The Astronaut“ schrieb er etwas noch im damals gemeinsamen Haus mit Ehefrau #2 und natürlich gibt es auch auf dem neuen Album keine fröhlichen Pop-Songs. Thematisch beschäftigt sich William aber dieses Mal mit Themen wie Eskapismus und Mythologie – natürlich stets im Kontext zu seinem quirligen Innenleben, aber immerhin – und musikalisch wagte er es, wieder zurück in die Zukunft zu blicken und seine Songs mit elektronischen Hilfsmitteln und Instrumenten zu augmentieren. Parallel dazu arbeitete er an einer mit Klavier und Streichern arrangierten, organisch/akustischen Version dieses Materials, die er gerade eben unter dem Titel „No Promises: The Astronaut's Return“ veröffentlichte.

Dennoch sei die Frage erlaubt, was er jenen Menschen sagen würde, die „Ready The Astronaut“ alleine deswegen ablehnen, weil er hier mit elektronischen Mitteln agiert?

„Das ist eine gute Frage“, meint William, „ich würde denen sagen, dass ich eine alternative Version von der Scheibe gemacht habe. Denn ich bin nicht das Eine oder das Andere. Ich hatte eine Menge Spaß, das Album zu machen. Mein Produzent – der auch ein guter Freund ist – ist das Genie hinter dem Soundkonzept. Die Version, die ich und meine Freundin Abby gemacht haben, ist dann mehr der alte William Fitzsimmons. Aber es ist doch immer das Gleiche: Nimm zum Beispiel die elektronischen Alben von Sufjan Stevens – die sind für viele seiner Fans ja auch schwierig. Auch für mich, weil das nicht das ist, was ich von ihm hören möchte. Aber: Wenn man immer das macht, was von einem erwartet wird, dann bekommst Du als Fan immer dieselben Scheiben zu hören … hm - vielleicht wollen die Leute das ja auch?“

Williams Songwriting hat sich deswegen aber noch lange nicht geändert und Songs wie „You Let Me Down“ sind immer noch drei Akkorde und die Wahrheit – nur dass sie mit Synthies und nicht mit der akustischen Gitarre dargeboten werden.

Ist das auch Williams Empfinden?

„Ja, genau“, pflichtet William bei, „es ist dann immer dieser eigenartige Eiertanz, den Du als Musiker aufführst, wenn Du vorhast, Musik zu veröffentlichen. Es ist etwas Anderes, wenn Du zu Hause im Keller mit Freunden Musik machst, um Spaß zu haben. Wenn Du aber ein Publikum in Aussicht hast, dann überlegst Du Dir schon, was Deine Fans hören möchten. Mir sind solche Überlegungen schon wichtig. Es geht dabei aber gar nicht um einen Kompromiss. Wenn mir jemand sagt: 'Ich mag Deine alten Sachen auf der akustischen Gitarre', dann sage ich: 'Ja, die mag ich auch – aber ich möchte auch mal was anderes machen'. Man will ja schließlich auch nicht jeden Tag die gleiche Mahlzeit essen.“

Viele von Williams Kollegen denken aber eben nicht so, sondern bleiben bei ihrem eingeschlagenen Weg, oder?

„Na ja, erzwingen sollte man das ja auch nicht“, zögert William, „nimm zum Beispiel Mark Kozelek. Der macht seit 30 Jahren dieselbe LP und ich liebe das und es ist in Ordnung. Aber: Ich habe eben ein paar Synthesizer gefunden und Spaß damit und wollte das mal probieren. Deswegen schmeiße ich ja meine Gitarren nicht weg. Es geht mir darum, die eigene Palette zu reinigen und zu erweitern. Und dann noch etwas: Wir geben ja immer vor, etwas ganz Besonderes machen zu wollen. Aber diese Lieder und diese Melodien sind nichts Neues. Bach hat das ja schon alles gemacht. Manchmal, wenn wir Glück haben, entsteht etwas Eigenes. Ein gutes Beispiel ist Elliot Smith. Elliot war eigentlich nur ein Beatles-Fan. Er versuchte Beatles Musik zu machen und wollte dabei George Martin und John Lennon gleichzeitig sein – und dabei kam etwas ganz eigenes heraus – mit dem geflüsterte Gesang und den eigenen Harmonien.“

Und überhaupt: Williams erste LPs - „Until We Are Ghosts“ von 2005 und „Goodnight“ von 2006 bestanden doch auch schon aus einem Mix von elektronischen und akustischen Sounds? „100%ig richtig“, bestätigt William, „wir hatten damals schon dieselben Sachen zur Hand – es klang bloß nicht so gut.“

OK – kurz mal gefragt: Ist das Astronaut-Projekt irgendwie von der Pandemie beeinflusst?

„Nun, die Songs hatte ich schon vorher fertig, aber natürlich habe auch ich mit der Pandemie zu kämpfen gehabt. Ich habe kurz überlegt, Live-Streams zu machen. Es ist aber einfach nicht das selbe, einen Live-Stream zu schauen wie ein Konzert. Du singst da durch Dein I-Phone und musst mit Klatsch-Emojis statt echtem Applaus umgehen. Das funktioniert einfach nicht. Da ist es fast besser, ein YouTube-Video anzuschauen, weil da einfach auch die Qualität besser ist.“

Kommen wir mal zum Inhalt des Astronauten-Projektes: Wo kam dieses Thema denn eigentlich her? Geht es dabei vielleicht auch um ein wenig Isolation und Eskapismus?

„Das Wort 'Eskapismus' mag ich sehr“, meint William, „weil es das gut beschreibt. Einsamkeit und Isolation sind auch Themen. Ich habe während meiner ungefähr 19. Scheidung ein wenig über die griechische Mythologie gelesen – für die ich mich bis dahin nicht so sehr interessiert hatte. Die Geschichte von Ikarus und Dädalus fand ich aber echt cool. Irgend jemand hat darüber eine These unter dem Titel 'Essentialismus' geschrieben. Ich bin sicher, dass ich das versaue – aber es geht um die Idee der Hybris. Es gehe nicht darum, dass Ikarus zu hoch flog und dabei verbrannte, sondern um die Idee dass Ikarus etwas versucht, dass zu groß für ihn selbst ist; dabei in seinem Hinterkopf aber genau weiß, dass er verbrennen und abstürzen wird. Er weiß, dass er scheitern wird, versucht es aber trotzdem. Und als ich das gelesen hatte, dachte ich mir: 'Oha – das erklärt die letzten 20 Jahre'. Für mich war das offensichtlich. Die Idee, mich so weit wie möglich von allem zu Entfernen ergab sich aus dieser Erkenntnis. Da kam ich auf die Idee mit dem Raumanzug und den Astronauten – denn die sind ja nun wirklich weit weg von allem.“

Eine Prise „Major Tom“ war aber sicherlich auch dabei, oder?

„Sicherlich“, räum William ein, „auch 'Rocket Man' ist ja so ein Thema. Erfunden habe ich das mit Sicherheit nicht. Bowie hat das 1969 schon getan. Es geht halt um diese Idee von Distanz und Einsamkeit.“

Geht es dann auch darum, so eine Übersicht aus der Vogelperspektive zu bekommen?

„Nicht absichtlich, aber in der Therapie geht es ja um solche Sachen“, zögert der Mann, der sein Leben eben auch durch Therapien bewältigt, „in der Therapie arbeite ich wie mit einer Leinwand, auf der alle Aspekte berücksichtigt werden und spreche über diese Dinge. Meine Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen. Der Therapeut und ich schauen uns diese Dinge dann aus der Vogelperspektive an. Ich denke, ich habe einfach versucht, herauszufinden warum und wie ich die Dinge, die ich tue, immer wieder mache. Wie bei einer Drehtür. Dabei geht es gar nicht um die Musik, sondern um die Fehler, die ich immer wieder mache. Wie zum Beispiel meine Beziehungen zu wählen. Wenn ich die Wahl zwischen zwei Szenarien hatte, von denen das eine recht vielversprechend aussah, während das andere vollkommen unsicher aussah, habe ich mich bisher regelmäßig für die dümmere Sache entschieden. Davon hatte ich langsam genug. Ich bin jetzt 44 und will nicht etwa noch eine Scheidung durchleben. Aber ich musste mir dieser Szenarien bewusst werden.“

Der Wechsel einer Perspektive kann ja auch songwriterisch förderlich sein, oder?

„Oh ja, das denke ich schon“, überlegt William, „ich will sowas zumindest versuchen. Das ist auch der Grund, warum ich zu unterschiedlichen Instrumenten greife. In der Pandemie habe ich mich zum Beispiel gezwungen, mich jeden Tag eine Stunde ans Klavier zu setzen – einfach um besser zu werden, denn ich bin dieser Typ der auf der Party immer nur 'Let It Be' spielt, weil das alles ist, was ich kann. Das hat mir dann geholfen, weil ich so neue Ideen bekam. Nicht, dass ich jetzt wie John Legend klinge, aber es hat einige Dinge bezüglich meines Songwritings verändert. Perspektive ist wichtig. Das Thema ist aber immer schwierig für mich, weil ich immer so selbstbezogen bin und deswegen ständig traurige Songs schreibe. Man wird für ein solches Verhalten aber auch belohnt, weil die Leute das mögen und ihren Nutzen daraus ziehen können. Ich will mich aber auch nicht dauernd wiederholen und immer wieder meine dritte Scheibe in einer Variation machen. Ich denke, wenn es sich gut anfühlt, dann ist das Okay für mich.“

Hat William mit dem Astronauten-Projekt dann eine Art Zirkelschluss erreicht?

„Das ist eine gute Frage“, überlegt er, „ich weiß es aber gar nicht so genau. Ich wollte nicht wieder eine Beziehungsscheibe machen und denke, dass ich jetzt eine Scheibe gemacht habe, die ein wenig mehr bietet. Aber wer weiß: Der Mensch plant und Gott lacht.“

Was hat William denn noch so in petto?

„Ein Projekt, das ich schon lange mit mir herumtrage und mit dem ich meine Familie in den Wahnsinn zu treiben drohe, ist eine Sammlung von Coversongs. 'Salisbury Hill' von Peter Gabriel etwa oder Songs von REM, Sufjan Stevens oder Radiohead. Songs, die ich liebe. Die Freude, die ich an dieser Arbeit habe, ist unglaublich – weil mich das nun wirklich befreit. Ich brauche mich dabei ja auch nicht zu fragen, ob das nach William Fitzsimmons klingt oder nicht. Es ist wie eine Art Reset, die mir wieder klar machte, dass Musik Spaß macht. Und es ist eine Herausforderung, weil man sich in jemandes anderes Kopf hineinversetzen muss.“

Words: Ullrich Maurer

Photo: Daniel Dorsa

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» Youtube: Video "No Promises"