BAP / WOLFGANG NIEDECKEN

April 2024 Interview

Zwischen Gestern und Morgen

Es muss ja bei einer Zeitreise ja nicht immer gleich in die Zukunft gehen. So etwas ähnliches hat sich wohl auch Wolfgang Niedecken gedacht, als er feststellte, dass Fans bei den BAP-Konzerten auf der pandemiebedingt verschobenen Tour zum letzten Album „Alles fliesst“ nicht bei den neuen Stücken – auf die Wolfgang besonders stolz ist – sondern bei den alten Gassenhauern aus der Anfangszeit von BAP immer am emotionalsten reagierten und in frenetische Begeisterungsstürme ausbrachen. Aus dieser Beobachtung erwuchs dann die Idee, als nächstes kein Album mit neuen Stücken anzugehen, sondern stattdessen den Fans mit einer besonderen Zeitreise in die Jahre zwischen 1981 und 1983 (in denen die Alben „Für uszeschnigge“ und „Von drinne noh drusse“ erschienen) ein Geschenk in Form einer Live-Scheibe zu machen, auf der dann nur Stücke versammelt sind, die „40 Jahre oder älter“ sein sollten.

Dabei gab es dann für die Musiker selbst auch die Möglichkeit, die alten Nummern selber neu zu entdecken – und auch schmerzlich vermisste (Erinnerungs-)Lücken zu schließen, denn die beiden genannten LPs sollten vollständig gespielt werden – ergänzt um einige Coverversionen und Songs der allerersten beiden BAP-LPs „Rockt andere kölsche Leeder“. Dabei sollten insbesondere auch Stücke wie „Fuhl am Strand“ bedacht werden, die bislang überhaupt nicht im BAP-Live-Programm vertreten waren. Als geeigneten Ort für die Aufzeichnung der an vier Abenden stattfindenden Konzerte wählte Wolfgang Niedecken mit Bedacht den Ort, wo die Laufbahn von BAP vor ca. 40 Jahren so richtig in Schwung kam: Die altehrwürdigen Kölner Sartory Säle.

Wie entwickelte sich das Projekt dann von der ersten Idee zum nun vorliegenden Live-Album?

Die Überlegung ging durch die verschiedensten Aggregat-Zustände. Ich habe mir dann auch überlegt, wie wir das überhaupt machen könnten und bin dann irgendwann auf die Idee gekommen, ein Live-Album in den Sartory-Sälen aufzunehmen, wo wir damals – Anfang der 80er - die meisten Auftritte gespielt haben. Der Titel des Albums „Zeitreise Live im Sartory“ hat sich dann dadurch ergeben. Ursprünglich hatte ich noch vor, die Jahreszahlen 81-82-83 mit an den Titel zu hängen – aber das muss nicht sein – die komplizieren das Ganze dann zu sehr und dann wäre der Titel auch zu lang geworden. Das habe ich erst gemerkt, als wir am Cover-Artwork gearbeitet haben. Ich habe das dann hin und her geschoben, aber es hat einfach nicht gepasst. Das Coverfoto haben wir am Hintereingang vom Sartory aufgenommen. Da hängt eine große Leuchtreklame aus den Fünfzigern, die in der Regel nicht an ist. Wir haben die einschalten lassen und zufällig steht da unser Truck vor. Unser Grafiker hat es geschafft, dass der Titel dann aussah, als sei er auf die Wand über dem Sartory-Schild projiziert worden. Da hätten die Zahlen dann auch wirklich nicht mehr hingepasst.

Der Grund dafür, dass die Fans insbesondere bei älteren Songs immer so glücklich reagieren, wenn diese gespielt werden, ist ja der, dass mit diesen Songs dann immer bestimmte Erinnerungen verbunden sind. Wenn man es sich richtig überlegt, sind Songs ja die einzige Möglichkeit, Erinnerungen festzuhalten.

Wie stehst Du heute selbst zu den älteren Songs?

Also ich habe mich am meisten gefreut über die Songs, die wir ewig schon nicht mehr gespielt hatten. Die kann man dann ja auch neu entdecken – und das ist natürlich auch sehr emotional mit den ganzen Erinnerungen, die da hochkommen. Teilweise kommen die, wenn man so etwas vorbereitet – manchmal aber auch erst auf der Bühne. Nimm zum Beispiel den Song „Fuhl am Strand“. Den hatten wir früher so gut wie nie gespielt. Ich hatte sogar gedacht, wir hätten ihn tatsächlich nie live gespielt – bis mir letztens einer nachgewiesen hat, dass wir ihn in Bonn in den Rheinterassen mal gespielt haben. Das ist oft so, als treffe man alte Freunde wieder. Mir macht das großen Spaß. Darüber freue ich mich bei der Tour auch am meisten, solche Stücke zu spielen. Ich habe zum Beispiel gar nicht gewusst, was „Fuhl am Strand für ein tolles Lied ist.“ Das ist mir dann auch sehr nahe gegangen. Ich muss übrigens höllisch aufpassen, denn der Strophenanfang geht immer an einer Stelle los, wo man nicht damit rechnet. Ich muss immer die Welle erwischen und gegen den Strom einsetzen. Denn die Wellen am Strand waren damals die Idee, die ich musikalisch im Sinn hatte. „Fuhl am Strand“ war auch der Song, von dem die meisten Fans die Entstehungsgeschichte wissen wollten. Es gibt ja viele BAP-Lieder, die mit dem Strand zu tun haben – was kein Wunder ist, denn ich habe damals viele Sachen am Strand geschrieben.

In der Phase zwischen 81 und 82 gelangten BAP ja auch für ihre Support-Shows für die Rolling Stones zu Ruhm und Ehren.

Wie findest Du denn das neue Stones-Album „Hackney Diamonds“?

Sehr gut – sehr gut produziert. Es gehen den Stones aber leider die Themen aus. Aber als 80 jähriger hast Du halt nicht mehr so viele poptaugliche Themen. Entweder Du singst dann über das, was 80-jährige interessiert – oder Du singst immer noch über die Probleme, die der arme, arme Mick mit den bösen Frauen hat. Aber das ist natürlich auch irgendwie auch ironisch gemeint. Ich finde, dass die das toll gelöst haben – toll produziert, großartige Riffs und wirklich gut gemacht.

Und sogar zwei Stücke, bei denen Charlie Watts noch am Drumkit saß sind dabei – und die klingen vielleicht sogar am besten.

Ich finde aber auch, dass die Stones mit Steve Jordan einen hervorragenden Ersatz-Drummer haben. Keith hat dem damals schon bei den Expensive Whinos gesagt, dass er ungefähr so schnörkellos wie Charlie spielen und sich an ihm orientieren solle. Wenn Du diese Art von Riffs umspielen sollst, dann darfst Du nicht spielen, wie Stewart Copeland das bei The Police gemacht hat oder Mitch Mitchell bei Hendrix. Sowas darf man bei den Stones einfach nicht machen.

Wolfgang Niedeckens Texte waren ja auch immer Kinder ihrer jeweiligen Zeit. Inwieweit hat sich deren Inhalt denn für Wolfgang selbst geändert? Nehmen wir nur mal den Track „Nit für Kooche“ („Nicht für Kuchen“) mit dem er in den 80ern seine Abneigung für die damaligen Kölner Karnevals-Traditionen zum Ausdruck brachte. Das Stück beginnt in der aktuellen Version auf dem „Zeitreise“-Album nun aber sogar live als zünftige Karnevals-Schunkel-Kamelle, während er in den 80ern nur „Nit für Kooche II“ gespielt wurde. Es ist ja mittlerweile bekannt, dass Wolfgang im Laufe der Jahre sozusagen „karnevals-milde“ geworden ist.

Wie siehst Du die Sache mit dem Karneval denn heute?

Ja genau – ich denke der größte positive Bruch im Karneval kam für mich mit der Stunksitzung. Die haben gezeigt, wie es auch geht und viel in dieser Hinsicht geleistet. Es hat sich seither im Karneval viel geändert und da ist viel aus der Szene reingekommen. Das hat sich auch gegenseitig befruchtet. Was allerdings schade ist, ist dass beim Karneval leider immer mehr der Dialekt verloren geht, weil die Leute nicht mehr Kölsch sprechen können. Ich habe neulich zufällig in eine Karnevalssitzung reingezappt und musste festlegen, dass mittlerweile alles auf Hochdeutsch lief. Aber das ist der Lauf der Zeit – Du kannst ja jetzt auch nicht sagen, dass Karneval eine Veranstaltung sein muss, auf der zwanghaft Kölsch geredet werden muss – das bringt ja nun auch nichts.

Wenn „Nit für Kooche“ also heute sicherlich nicht mehr die Feindbildprojektion ist, die es in den 80er Jahren ein Mal gewesen ist, so ist das mit dem Song „Kristallnaach“ leider ganz anders, denn die Feinde von Rechts sind heutzutage ja leider nicht nur bloß noch da und älter geworden, sondern mehr und jünger geworden.

Ist es nicht sogar tragisch, dass „Kristallnaach“ nie seine Relevanz verloren hat?

Ja, das wäre wirklich schön, wenn das Stück mal inaktuell würde. Das ist leider ein weltweites Phänomen. Man muss ja drauf gefasst sein, dass wir im Dezember zwei Weltmächte – Russland und die USA – haben, die von Irren regiert werden. Diese Aussicht ist nicht so besonders toll, aber der Populismus ist seit Jahren überall auf dem Vormarsch. Ich kann mit das nur dadurch erklären, dass die Leute sich heute nicht mehr wirklich politisch bilden. Das liegt auch an diesem Häppchen- und Überschriften-Journalismus und daran, dass nicht mehr darüber nachgedacht wird, wie alles zusammenhängt. Schau Dir mal an, was bei den Privaten im Fernsehen läuft: Nur die Scheiße, mit der sich Leute ablenken können und verblöden. Und mit den ganzen Sozialen Medien gibt es ja noch weitere Verblödungsmechanismen mit ungeahnten Möglichkeiten. Das ist genau die Nummer, an der man arbeiten muss – aber leider weiß keiner, wie das gehen soll. Verbieten lässt sich sowas ja leider nicht.

Nach der Veröffentlichung des Albums werden Wolfgang Niedecken und BAP erneut auf Tour gehen und die Zeitreise dann auch live präsentieren. Leider nicht in Clubs wie den Sartory-Sälen, sondern in den heutzutage präferierten größeren Spielstätten. Wie es danach weitergehen soll, lässt Wolfgang Niedecken dann erst mal offen und erinnert daran, dass er immerhin 73 Lenze zählt und insofern nicht allzu weit in die Zukunft planen möchte. Nur eines schließt er dabei aus: Dass er nicht aufhören werde, sich künstlerisch zu betätigen, so lange ihm seine physischen und psychischen Kapazitäten noch ermöglichen.

Words: Ullrich Maurer
Photo: moi