ISRAEL NASH

14.02.2024 Interview

Gemeinsam singen - das rebellische Gefühl des Rock'n'Roll

Allan Jones, englisches Musikkritiker-Urgestein, schrieb im UNCUT über deine neue Platte Ozarker: "Dieses Album entrollt sich wie ein Banner auf dem Kampffeld, prächtig, ramponiert, trotzig, voll großer Refrains, raumgreifender Harmonien, ein unverschämt tosender Sound. Die Gitarren [...] fegen durch "Can't stop" und "Travel On" wie Sturmböen, alles auf ihrem Weg zermalmend." Wie fühlt sich das an, so eine Reaktion?

Ich habe Allan vor kurzem noch treffen können in London. Das macht immer Spaß, mit so Leuten zu sprechen wie Allan, wie dir. Die Engländer haben ihre eigene Art. Es sind Rock'n'Roll-Autoren. Sie zu lesen ist wie einen Spielfilm sehen. Besonders in meinem Alter (Nash ist 42): Leute treffen, die Teil der Rock'n'Roll-Geschichte waren und sie vermitteln. Damit meine ich nicht nur die Musik, sondern auch den spirit of Rock'n'Roll, das In-Frage-Stellen von Autoritäten. Manchmal denke ich, dieser Geist ist dem Rock'n'Roll heute komplett abhandengekommen. In der Welt von heute brauchen wir mehr von diesem Verständnis, dass Rock'n'Roll das Gefühl einer Bewegung ausdrücken kann, die größer als wir einzelnen ist. Die Konzerne oder Regierungen in Frage stellt und die Menschen in den Mittelpunkt. The people are the ones.

Ich wollte eine Platte machen, die es Menschen leicht macht, Refrains wiederzuerkennen und gemeinsam zu singen. Diese Kraft von Rock'n'Roll, dieser Funke wie in den 60ern. Wir brauchen mehr davon. Einen Refrain zusammen zu singen verleiht so viel Kraft. Es ist die DNA des Menschseins, sie hat uns sagen lassen, hey, wir bilden eine neue Regierung, oder wir ändern jetzt diese Regel, oder wir ziehen weiter an einen neuen Ort. Dieser Antrieb ist so zutiefst menschlich. Also wollte ich mit dieser Platte auch Lieder schaffen, die sich geradeheraus und einfach anfühlen. Gleichzeitig ist in diesen Songs Komplexität, es gibt viele Akkordwechsel, knifflige bridges, es sind womöglich die besten bridges auf einem meiner Alben. Wenn du Texte singst, die ein bisschen direkter sind, oder die Songs in Richtung hymnischen Rock bewegst, ist die Herausforderung als Autor, sie vielschichtig zu gestalten. Also, da geht viel vor in diesen Liedern, sie sind nicht einfach zu spielen, tonnenweise Akkorde. Ich wollte mich herausfordern mit diesen Liedern darüber, woher ich stamme.

Die Ozarks, das ist die kleinstädtisch geprägte Gegend Missouris, aus der du kommst. Wie persönlich ist das Album Ozarker in deiner Einschätzung?

Wir können das alles teilen. Ich erzähle diese Geschichten, die mein Leben geprägt haben, die mir weitergegeben wurden, aber es sind sehr gewöhnliche Geschichten, weil wir alle nur Menschen sind. Davon handelt diese Musik: Hoffnung, Verlust, Stärke, Sorgen, Verlust, einfach all diese Dinge. Und egal wer du bist in dieser Welt, reich oder arm, gebildet, ungebildet, dies sind Gefühle, die jeder kennt. Je mehr dies geteilt werden kann und nicht nur als die Geschichte eines einzelnen gesehen wird, desto mehr Wirkung entfacht es.

Deine Gesangsstimme ist sehr markant, sehr kraftvoll. Was ist dir wichtig für deine Art zu singen?

Sobald du einige dieser unglaublichen lead singers hörst, ob John Fogerty oder gar Neil Young, spürst du eine Identität, ja, dieser Typ. Das hat Wahrheit. Er bringt soviel Seele da rein. Gram Parsons. Lou Reed! Ich liebe es, Lou Reed singen zu hören. Bob Dylan! Da ging es nicht darum, "singt diese Person technisch gut und macht sie es richtig", sondern um "Oh, denen glaube ich". Das ist es. Mir soll geglaubt werden. Ich möchte dem Inhalt Wahrheit zufügen.

Eine wahre Geschichte steckt hinter dem Titeltrack Ozarker. Kannst du sie für uns in deinen eigenen Worten wiedergeben?

Ich fragte meine Mutter, ob sie sich daran erinnert, wie meine Urgroßeltern zusammenkamen. Ich hatte nur gehört, dass mein Urgroßvater ein rauher Kerl war, der gerne Gitarre spielte, ein bisschen trank. Und meine Urgroßmutter war sehr konservativ, stammte aus einer religiösen Familie. Er war ein Wanderarbeiter und ging dorthin, wo gerade Erntezeit war, kam also nach Missouri aus Talala, Oklahoma und arbeitete auf der Apfelplantage. Und dort lernte er meine Urgroßmutter kennen, es war eine forbidden love. Den Sommer über hielten sie es geheim, dann kam die Erntezeit, und er sagte ihr, dass er nun weiterziehen müsse, aber in einem Jahr komme er zurück und habe etwas Geld angespart. Und dass er sie heiraten wolle und ein neues Leben beginnen. Meine Urgroßmutter erzählte es niemand, aber sie war sehr aufgeregt. Und begann damit, nachts ein Hochzeitskleid anzufertigen.

Heimlich...

Heimlich. Secretly. Vier Monate später erzählte sie es schließlich ihrer Mutter, und die Eltern waren dagegen. Und es sprach sich herum. Es war eine kleine Stadt, Maryville, Missouri, wo unsere Familie immer noch lebt. Alle dachten einfach, sie wäre verrückt. Die ganze Stadt hatte den Wunsch gehabt, dass meine Eltern sie mit dem ortsansässigen Arzt zusammenbrächten, einem ehrenwerten jungen Mann. Und so sagten sie ihr: "Hey, dieser Typ wird nicht zurückkommen". Sie glaubten, dass sie 'reingelegt wurde, to have her heart broken. Aber, und das ist das Schöne an diesen Familiengeschichten, so wie sie weitergegeben werden: auf den Tag genau ein Jahr darauf kam er zurück - war es ein Jahr? Waren es 10 Monate? 17 Monate? Das ist egal. Aber sein Wort galt, ihre Liebe war echt. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir alle irgendwann in unserem Leben für Beziehungen oder Gefühle für andere Menschen große Wege zu gehen und Opfer zu bringen bereit waren. Und es spielt keine Rolle, ob das vor 150 Jahren passierte, oder heute, right now. Das meine ich damit, dass die Menschen sich nicht so sehr ändern, und mit diesen zutiefst menschlichen, wunderbaren Grundeigenschaften. Diese Art Geschichten wird immer mehr Kraft ausstrahlen als die Geschichten von Konflikten und Verzweiflung und Krieg. Gerade weil ich dies nicht in einem hippie-spirituellen Sinn meine. Ich komme aus der realen Welt. Liebe ist, was uns vorangetrieben hat und den Grundstein für andere Dinge gelegt hat. Und einige davon sind beklagenswert, aber wir alle haben diese Art Geschichten in unserem Leben. Also: er kam zurück, und sie heirateten. Blieben 50 Jahre zusammen bis zu ihrem Tod und gründeten eine ganze Familie in den Ozarks von Missouri.

Mehr "spirit of Rock'n'Roll" geht nicht...

Exactly!...

Wie sehen deine Zukunftspläne aus?

Na ja, 2018 war meine letzte Welttournee, unglaublich. Ich habe jetzt schon 3 weitere Alben im Kasten. Mein Plan ist, in kürzeren Abständen, alle sechs, sieben Monate Musik zu veröffentlichen. Und dann freue ich mich natürlich auf die ab Januar anstehenden Liveshows, das Gemeinschaftsgefühl und die Energie dort. Take care!

Background:

Israel Nash ist ein in den Bergen von Texas lebender US-amerikanischer Rockmusiker. Nach seinem Debütalbum New York Town (2009) war Barn Doors and Concrete Floors (2011), aufgenommen in einer Scheune in den Catskill Mountains bei New York, sein Nischendurchbruch. Sein erst schnörkelloser Country Rock wurde mit den Alben Rain Plans (2013), Silver Seasons (2015) und Lifted (2018) zunehmend psychedelischer und vielschichtiger. Nach Topaz von 2021 mit mehr Memphis Soul - Anteilen erschien Ende Oktober sein neuestes, wieder klassischer rockorientierteres Album Ozarker. Im Rahmen seiner Europatournee wird Nash mit seiner Band am 14. und 15. Februar 2024 in Berlin auftreten.

Words: Frank Schwarzberg
Photo: Peter Pricken (Nijmegen, 24.01.2024)