JESS WILLIAMSON

14.05.2020 Interview + New Album „Sorceress“

Bislang war die US-Songwriterin Jess Williamson als klassische Americana-Künstlerin bekannt. Das ist insofern erklärlich, als dass die junge Dame aus Texas stammt und dort zwischen ihrem Geburtsort Dallas und der Universitätsstadt Austin ihre musikalische Prägung erhielt und zunächst als Banjo-Spielerin ihr Herz für die klassischen Folk- und Country Roots des Genres entdeckte. Später zog sie dann nach New York, wo sie eine Ausbildung als Photographin begann, sich dann jedoch entschloss, nach Los Angeles zu ziehen, wo sie bis heute lebt und arbeitet. Sie veröffentlichte bislang die drei Alben „Native State“, „Heart Song“ und „Cosmic Wink“ und entwickelte sich auf diesen von den ursprünglichen Folk-Roots hin in eine vielseitigere Richtung in der sich zunehmend Westcoast-Einflüsse und Rock-Elemente wiederfanden. Mit ihrem zauberhaften neuen Album „Sorceress“ schlägt sie nun eine neue musikalische Richtung ein und scheut auch nicht davor zurück, mit Pop-Elementen und Synthesizer-Sounds zu experimentieren. Wie sieht Jess selbst ihre musikalische Entwicklung?

„Lass mich mal sehen“, überlegt Jess, „also gesungen habe ich immer schon. Als Kind hatte ich schon große Träume, eine Sängerin wie Dolly Parton werden zu wollen. Ich bin dann aber auf die Uni gegangen und sogar nach New York gezogen, um Fotografie zu studieren weil ich dachte, dass das ein wenig sicherer sei, als gleich Musikerin zu werden. Ich war damals 21 und bin dann langsam in Panik geraten. Denn eigentlich wollte ich doch lieber eine Musikerin sein, hatte aber bis dahin nicht den Mut dazu aufgebracht. Nach zwei Semestern habe ich dann hingeschmissen und habe erst mal eine Band gegründet und mein Live-Debüt in einem inzwischen geschlossenen Club namens Death By Audio in Brooklyn. Ich bin dann aber nach Austin zurück gegangen, weil ich dort zur Schule gegangen war und ein Netzwerk von Freunden hatte, die mich unterstützen konnten. Ich habe angefangen, eigene Songs zu schreiben, die ersten Aufnahmen in der Garage eines Freundes gemacht und so fing dann alles an.“ Die Sache scheint sich ja recht schlüssig entwickelt zu haben sozusagen vom Folk zum Bandsound, oder?

„Weißt Du ich habe vielleicht eher vererbte Folk-Roots“, zögert Jess, „denn meine Vorfahren kommen alle aus Schottland, Irland oder England. Sie kamen rüber und lebten in Tennessee also im Süden. Das ist also irgendwie in meinem Blut drin, denn selbst als Kind habe ich immer eine Verbundenheit zum Irish Folk verspürt. Aufgewachsen bin ich aber eigentlich mit Country Musik. Eine Zeitlang habe ich das natürlich als nicht besonders cool abgelehnt aber als ich dann Townes Van Zandt entdeckt hatte und auf dem Folk-Sektor vielleicht Leonard Cohen, hat sich das natürlich geändert.“

Das spiegelt sich insofern bis heute in Jess' Texten wieder, als dass in diesen auf poetische Art philosophische Fragen anhand greifbarer Charaktere und konkreter Szenarien erörtert werden. Wovon lässt sich Jess denn thematisch und inhaltlich inspirieren? „Nun, manchmal arbeite ich mit erfundenen Charakteren, die ich aus verschiedenen realen zusammengesetzt habe, die ich beobachtet oder über die ich gelesen habe wie z.B. in dem Song 'Rosaries At The Border'“, räumt Jess ein, „in dem Song geht es um eine Person, die ich mir ausgedacht habe, um das Thema 'Migration' mit einzubeziehen. Manchmal geht es aber auch um Leute, die ich kenne, über die ich aber aus der Ich-Perspektive schreibe. Es soll dabei aber gar nicht um mich selbst gehen. Das Witzige ist aber, dass jedes Mal, wenn ich sowas mache, die Songs am Ende dann doch von mir selbst handeln. Wenn ich hingegen absichtlich über mich selbst singe, dann geht es um eine Art übertriebener Version meiner selbst.“

Wie wichtig ist Jess bei diesem Prozess überhaupt die Perspektive? Sie scheint ihre Themen ja von vielen verschiedenen Seiten aus zu betrachten. „Ja, das stimmt. Ich denke ständig über neue Songs nach“, meint Jess, „ich schreibe ständig Konversationsfetzen oder kleine Ideen für Textzeilen auf, die mir einfallen. Ich führe also eine Art Logbuch über solche Sachen und baue diese dann in meine Songs ein.“ Und dadurch ergeben sich dann automatisch die verschiedenen Blickwinkel.

Was hat Jess denn musikalisch dieses Mal inspiriert? Denn erstmals gibt es in ihrem Klanguniversum auch elektronische Elemente zu bestaunen. „In dem Jahr, dass den Arbeiten an dem neuen Album voranging, hatte ich damit begonnen, mehr Pop-Musik zu hören“, gesteht Jess, „dabei ist mir aufgefallen, dass mir das tatsächlich auch gut gefiel denn auf Popmusik hatte ich zuvor gar nicht geachtet um ehrlich zu sein. Ich war einfach zu tief in meiner Folk- und Rock-Welt verankert. Ich stellte nun fest, dass Pop Musik nicht nur Spaß machte, sondern auf gewisse Art sehr viel seltsamer war, als ich mir das vielleicht vorgestellt hatte. Mir ist dann klar geworden, dass es keine Grenzen gibt und man einfach alles machen kann, wenn man Pop-Musik macht.“

Gab es dabei musikalische Referenzen, auf die sich Jess bezieht? „Ja“, räumt sie ein, „ich habe mir sogar eine kleine Playlist gemacht. Und darauf finden sich Kacey Musgraves, Afghan Whigs oder Maggie Rogers, denn die machen interessante Sachen mit Pop-Elementen. Und was klassische Songwriter betrifft, sind das der frühe Leonard Cohen 'Songs For Marianne' etwa, oder Elton John's 'Benny & The Jets' und natürlich Fleetwood Mac, denen man ja sowieso nicht ausweichen kann.“

Was betrachtet Jess Williamson als Songwriterin, die trotz allem doch eher in einem konventionellen Setting, in dem ja nun schon vieles ausprobiert wurde, arbeitet als kreative Herausforderung? „Ich weiß was Du meinst“, überlegt Jess, „ich versuche einfach immer, es für mich neu klingen zu lassen. Wie mache ich etwas Innovatives und Neues, das bislang noch nicht gemacht worden ist? Die Sache dabei ist: Es wird immer Neu sein so lange Du nur einen einzigartigen Gedanken hast. Es gibt da diese großartige Zeile von Willie Nelson und die heißt 'Du kannst keine Scheibe machen, wenn Du nichts zu sagen hast.' Und das mache ich mir immer bewusst. Es gibt nämlich eine ganze Menge Leute, die Scheiben machen und nichts zu sagen haben und das ergibt dann keine guten Scheiben.“

Warum ist Jess eigentlich eine Songwriterin geworden? „Weil ich so ein großer Musik-Fan bin“, erläutert Jess, „ich war immer so berührt von der Musik, dass ich selber Musik machen wollte und das Gefühl hatte, dass ich das auch tun könnte. Und jetzt ist das fast zwanghaft für mich. Musik ist meine Art, sich durch das Leben zu bewegen. Das Schreiben von Songs ist meine Art das Leben nicht mal zu verstehen, sondern zu verarbeiten. Als Künstlerin bin ich in der glücklichen Leben, meine Erfahrungen durch dieses Medium filtern zu können und es ist wirklich schön und lohnend und befriedigend sowas tun zu können. Ich kann die Dinge, die ich erlebt habe, die schön oder auch erschreckend oder schwierig waren in einen Song packen und auf einer Scheibe veröffentlichen. Das ist wirklich erstaunlich. Ich bin wirklich glücklich.“

Interview: Ullrich Maurer

Fotos: Kathryn Vetter Miller

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