OTTO GROOTE ENSEMBLE und RALPH SCHÜLLER

10.07.2021 / Dat Achterenn, Holtland

Moin-! Am Gulfhof Gut Achterenn in Holtland, Ostfriesland herrscht an diesem zweiten Samstag im Juli geschäftiges Treiben. Auf dem Parkplatz gegenüber viele LER- und EMD-Autokennzeichen; nur ein mittelgroßes Auto kommt aus HB (mit dem sind die Musiker des heutigen Abends gekommen), und den kleinsten Wagen schmückt BO (das ist der urlaubende Rezensent, heute Fan...sonst aber auch...).

Drinnen ist es gemütlich: hohe Decken, gedeckte Farben, Stroh, viel Holz, alte Sessel und Sofas, die sich nach und nach mit ca. 70 Leuten füllen. Draußen und drinnen wird bei Wein, Bier und angenehmen Temperaturen geschwatzt bzw.: geschnackt.

Das Otto-Groote-Ensemble kommt aus der Gegend; Groote wohnt mittlerweile in Bremen. Sie spielen flotten akustischen Songwriter-Folk, aber als sie mit ihren drei Gitarren (Bass, Lead, Rhythmus) den ersten Akkord durch die Boxen jagen, schleichen sich tatsächlich vereinzelt Tränen in plötzlich blinzelnde Konzertgängeraugen: das ist doch etwas anderes als der Heim-Sound der zurückliegenden 10 Monate. Das tut einfach so gut.

"Ik bün tohuus in't blaue Lücht van d' Nörden" singen und spielen Songschreiber Otto Groote, Leadgitarrist und Begleitvokalist Matthias Malcher und Bassgitarrist Ralf Strotmann im Song "lesmeerwellen": sie singen auf Platt, und nicht nur der weiße Schwan aus dem Lied, sondern 70 Leute in einem Gulfhof in Ostfriesland fliegen gerade mit, "an d' Noordmeerstrand". Country, Folk und Bluegrass spürt man in ihrem Spiel, es klingt warm und lässig, und Grootes Gesang, unprätentiös und souverän, erinnert in manchen Momenten an einen anderen, bekannten Wahlfriesen: Hannes Wader.

Erst recht unprätentiös und souverän ist dann der Gast des heutigen Abends: Ralph Schüller aus Leipzig, einer der zwei besten lebenden Songpoeten hierzulande. Schon nach drei Groote-Songs wird er überschwenglich von der Bühne aus angekündigt, und was folgt, ist ein Beispiel setzendes Geben und Nehmen der beiden Acts: keiner spielt sich in den Vordergrund (das haben sie nicht nötig); ihre Sets wechseln sich oft ab, und gegenseitige Anerkennung und Respekt werden gelebt, indem Schüller einige Groote-Songs mit Gitarre und Mundharmonika bereichert und im Gegenzug die Groote-Mitglieder ihm in seinem letzten Set die Band machen. Organisch, demokratisch und kurzweilig, bei - mit kleiner S(ch)nackpause zwischendurch - fast drei Stunden Spieldauer: so wird das gemacht.

Zu Schüllers Kunst nur soviel: musikalisch wie textlich ist das wie stets ein Hochgenuss. Dabei ist der Mann noch derart einnehmend sympathisch, dass man sich in seiner Gegenwart einfach gut fühlt. "Eine Rose auf den Gleisen / eine Rose am Revers" heißt es in einem seiner Lieder - manchmal braucht es nicht viel, wenn man genau hinsieht. Ralph Schüller sieht genau hin, und dazu gehört auch, dass er im Gulfhof nicht nur auf Wohlklang macht: Bootsflüchtlinge und ihr Schicksal in "So und so und so" und nationalistischer Chauvinismus in "Es ist gut" werden unbeschönigend an- und ausgesprochen. Mit einem plötzlichen Wechsel des Registers zeigt Schüller, wie Hass und hässliche Sprache zusammengehören.

Bevor am Ende alle vier noch einmal zusammen musizieren, beendet Schüller seinen Set solo mit "So ein Sommer" vom 2010er Album Kein Entkommen. Es wird ein Parforce-Ritt voller Rhythmus-, Akkord- und Stimmungswechsel, furios und traumwandlerisch sicher aufgeführt. "So ein Sommer kommt nicht wieder / Lang wächst uns das Haar / So ein Sommer wärmt uns die Glieder / Bis ins nächste Jahr / So ein Sommer kommt nicht wieder / Zieh den Stecker und atme aus / So ein Sommer kommt nicht wieder / So ein Sommer in unserem Haus".

Das Otto Groote Ensemble und Ralph Schüller (mit Band, solo oder zusammen mit der Groote-Combo) touren noch den ganzen langen Sommer und Herbst. Wer in der Nähe ist, sollte hingehen. "Denn das Leben ist ein kurzer Tag und eine lange Nacht."

Die nächsten Termine:

Words: Frank Schwarzberg
Photo: Jana Hagen