ALDOUS HARDING

26.03.2023 / Cologne - Gloria

Es ist der erste von zahlreichen Gänsehaut-Momenten dieses Konzerts, als Aldous Harding sich nach drei Bandnummern ihres letztjährigen Albums Warm Chris auf einem Stuhl niederlässt, breitbeinig (in einer Pose, von der sich die Boris Johnsons dieser Welt eine Scheibe...ach, vergessen wir die...), sich eine Akustikgitarre bringen lässt und mit dezentester Bandbegleitung den Song Treasure vom Vorgängeralbum Designer (2019) zelebriert. Der Song ist komplex komponiert, er ist melodisch, zerbrechlich, inszeniert und wahr, er folgt seinem eigenen inneren Rhythmus - wie das gesamte Konzert.

Und wie die Künstlerin selbst. Sie starrt das Publikum an, manchmal auch den Drummer oder den Techniker, der sich einmal am Bühnenrand zu schaffen machen muss. Manchmal lächelt sie, für sich oder direkt für jemand in den vorderen Reihen. Sie rückt sich den Stuhl zurecht. Fixiert den Crew-Mitarbeiter, der ihr die frische Gitarre bringt. Dann, mit diesem Harding Stare, den Drummer. Dann dreht sich ihr Kopf zurück, folgt der Anschlag und der nächste vertrackt hypnotische Song. Die rhythmischeren, vordergründig poppigeren Nummern performt sie stehend, manchmal mit langsam rudernden Armen, manchmal mit entfesselt ans Bein geschlagenem Tambourin, mal mit im Achteltakt getrommelter Teetasse, mal mit einem Gegenstand, aus dem sie in gegenläufigem Takt Luft entweichen lässt. Es ist ein Ereignis, sie ist ein Ereignis.

Von ihrer Stimme hat Aldous Harding einmal gesagt, dass sie sie wie eine Schauspielerin einsetze. Auch in Köln ist zwischen kindlichem Piepsen und sachlich-sprödem Alt alles dabei, spitze Schreie beiseite setzt sie eher selten ein. Aber auch sie kommen vor. So performt sie fast alle Lieder von Warm Chris, dazu vier von Designer (beide Alben vom tollen John Parish produziert) und je eins von ihren ersten beiden Alben Aldous Harding (2014) und Party (2017, auch mit Parish). Live entfalten sich die Songs in all ihrer schillernden Schönheit, die auch den Studioalben, vor allem den letzten beiden, innewohnte, aber nur, wenn man genau hinhörte, denn diese Songs drängen sich nicht auf, haben dies nicht nötig. Das Publikum im ausverkauften Gloria ist auf jeden Fall zunehmend fasziniert von der vielleicht, wer weiß das schon genau, unnahbaren Neuseeländerin mit den vielen Stimmen, den Ticks und ihrer präzise aufgebauten vielschichtigen Musik.

Diese künstlerische Vision Hardings erfordert ebensolche Präzision von ihrer Band. Die Sängerin fordert diese ein, unbedingt, und erhält sie. Punktgenau agieren die beiden Gitarristen und insbesondere die Keyboarderin und der Drummer. Dem ist manchmal langweilig, dann spielt er noch mit der rechten Hand Flügelhorn oder mit der linken einen zweiten Rhythmus. Aber bei allen zusammen stimmt da einfach jeder Einsatz, jeder Ton, technisch wie emotional.

"Thanks for letting me do it my way" sagt Harding etwa zur Hälfte des Konzerts nach dem stillen Staring at the Henry Moore. Es herrscht eine konzentrierte, kollektive Stille im Saal, wenn sie solche Songs erlebbar macht. Nahtlos leitet sie sodann unter Jubel über zu ihrem wahrscheinlich bekanntesten und beliebtesten Song The Barrel. Alles wiegt sich und gibt sich dieser Musik hin. Der letzte Song des regulären Sets vor der einzigen Zugabe schließlich ist Leathery Whip (auch auf Warm Chris der Abschluss). "This song, like all of them, is for you", mit dieser Liebeserklärung verabschiedet sie sich. Eine Sternstunde.

Words: Frank Schwarzberg
Photo: Leo Thomann