ERROL LINTON BAND

14.07.2023 London, Shrewsbury House Community Centre

"Train, train, comin' 'round the bend"... Endlich fährt unser Zug aus Cornwall am frühen Freitagabend in Paddington im Westen Londons ein. Am nächsten Tag fahren wir weiter, nach Hause, aber jetzt wollen wir zu Errol Linton! Weit draußen, im Südosten, spielt gleich seine Band, da bleibt keine Zeit für Hotel & Urlaubsgepäckabgabe -: mit Sack und Pack geht's mit der Elizabeth Line nach Woolwich, mit dem Taxi den Berg hoch zum Shrewsbury House. Kein Wunder, dass in dieser Wohngegend bis auf einen Hundebesitzer niemand auf der Straße ist, sie sind alle im Community Centre. Im Nebenraum dreschen Senioren Karten, oben spielen Jugendliche Tischtennis, und im Saal spielt eine der besten Livebands Großbritanniens.

Errol Linton, in Brixton, London geboren als Sohn jamaikanischer Einwanderer, spielt mit seiner Band (zu ihnen später mehr) Blues, versetzt mit Reggae und Ska, einer Prise New Orleans Rock'n'Roll mit Swing (Professor Longhair, Fats Domino...) und einem Schuss Jazzfeeling. "Yeah, we like to mix things up a bit" sagt er dazu, als ich ihn nach dem Gig darauf anspreche, aber der Blues ist für ihn die Wurzel. "The blues are the roots."

Seit gut 30 Jahren spielt er diesen Brixton Blues, erst als Busker, Straßenmusiker in der Underground - und wer weiß, vielleicht ist jemand in den 90ern in den U-Bahn-Gängen bei ihm stehengeblieben, hat gestaunt über sein expressives Mundharmonikaspiel. Linton sagt selbst, das Instrument fühle sich in den besten Momenten so an, als gehöre es zum Mund dazu, dennoch trifft der englische Ausdruck die Seele des unterschätzten Instruments besser: Blues Harmonica. Linton ist dreimal preisgekrönter "UK Blues Harmonica Player of the Year", seine Soli sind immer noch spektakulär, aber im Bandverbund kann er sich, anders als noch solo in den Schächten, auch zurücknehmen und songdienlicher agieren.

Nachdem er sein erstes Album 1997 mit den Hutspenden finanziert hatte, spielten ihn die angesagten BBC-DJs Charlie Gillett, Andy Kershaw, Paul Jones und John Peel in ihren Sendungen; Peels Produzent John Walters hatte da schon eine BBC-Doku über ihn gedreht, er spielte in Londons Clubs und Kneipen. Erst seine letzten beiden Alben, Packin' my Bags (2017) und vor allem No Entry (2020), kamen aber, in guten Londoner Aufnahmestudios aufgenommen, endlich dem Sound nahe, den Linton sich vorgestellt hatte. No Entry wurde live mit Vintage-Mikrophonen und Amps aufgenommen; der Journalist Garth Cartwright schreibt treffend in den liner notes, die Band klinge darauf wie bei ihren wöchentlichen Heimspielen in Brixtons Effra Tavern Pub.

An diesem Freitag hält es auch im Shrewsbury House schon nach kurzer Zeit nur noch wenige Besucher auf ihren Stühlen. Seit 2014 hat Linton die Bandbesetzung zusammen, deren Expertise und Leidenschaft am besten zu seinen Songs, seinem sanften Reggae-Tenor und seiner Blues Harmonica passt. Petar Zivković am Piano, Ritchie Green an der E-Gitarre (auf dem Album Adam Blake), Lance Rose am double bass und Kenrick Rowe am Schlagzeug: allesamt Hochkaräter. Überhaupt Kenrick Rowe! Windrush-Nachfahre wie Linton; mit Jackie Mittoo, Ernest Ranglin, PJ Harvey, The Specials (u.v.a.) hat er schon gespielt; seine Drumpatterns (mit dem Bass von Rose) kleben an den Songs, sie rollen, wären schon für sich genommen den Eintritt wert. Im letzten Song des Sets, einer genialen Interpretation von Junior Parker's (später Elvis') Mystery Train emuliert Rowes Spiel den Rhythmus der Sun-Studios und alter Lokomotiven zugleich: "Train, train, comin' 'round, 'round the bend (round the bend) / [...] / Woo-woo"...

Aktuelles Album: No Entry (Brass Dog Records)

Live: ganzjährig in London, wechselnde Venues, www.errollinton.com

Words: Frank Schwarzberg
Photo: Michelle Dehoney