COURTNEY MARIE ANDREWS & WILCO

27.08.2023 Utrecht, Tivoli Vredenburg

»The best we have is each other« war die zentrale Ansage von Courtney Marie Andrews bei ihren Solokonzerten 2021. Das Leitbild der Empathie verband ihre Alben »Honest Life« (2016), »May Your Kindness Remain« (2018) und »Old Flowers« (2020). In ihre, wie sie es sagte, sture, unbedingte Sensibilität für andere und sich selbst mischte sich nach dem eine schmerzhafte Trennung behandelnden »Old Flowers« eine neue Leichtigkeit, so zumindest konnte man den Titel des letzten Albums deuten: »Loose Future«. Im Oktober 2022 ist es erschienen, Arrangements und Motive sind hier lockerer gewebt als zuvor. »Me & Jerry«, das letzte Lied der Platte, feiert beispielhaft ein Sich-Verlieren im ekstatischen Glück: »If there’s a God above / I bet he’s making love / And it’s a good day on earth / when love is enough.«

Der Titeltrack »Loose Future« eröffnet Album wie Andrews’ Auftritt am vergangenen Sonntag in Utrecht. Sie möchte sich nicht so schnell wieder festlegen müssen, singt sie zu lässig shufflenden Beats, bittet um Aufschub, will den Moment genießen. »I just wanna take it slow / Don’t wanna give a yes or no / Can we play it cool?« Aber diese neue Leichtigkeit – ist sie echt? Die letzten Zeilen des Songs setzen Zweifel und beweisen so einmal mehr die große Kunst Andrews’, Seelenzustände in ihrer Widersprüchlichkeit offenzulegen: »Who am I kidding? We’re halfway there / But I’ll keep pretending that I don’t care.«

Mit kleiner Band ist Andrews da. Die letzte Zeile singt sie a capella in den mittlerweile vollen Ronda-Saal in Utrechts Tivoli Vredenburg, in dem etwa 2.000 Menschen auf die Hauptband Wilco warten. Wer redet, hört schnell auf damit. Andrews’ großartige Stimme und die Intensität ihres Vortrags sind unwiderstehlich. A spell. Überhaupt ist es eine dieser Killerkombinationen aus Vor- und Hauptband, die es nicht alle Tage gibt und an die man sich lang erinnern wird. Ich muss an Willard Grant Conspiracy vor den Walkabouts in den späten 90ern denken, an Ron Sexsmith vor Jackie Leven Anfang der 2000er, die wunderbare H. C. McEntire vor Natalie Prass im Jahr 2018 oder kürzlich Rosali vor der Rose City Band. An diesem Sonntag nun also: die wohl (nach wie vor) größte US-Rockband der vergangenen 30 Jahre, unterstützt von einer der interessantesten Sängerinnen und Songwriterinnen ihrer Generation.

Für ein paar Songs setzt sich Andrews, nachdem sie an der Akustischen und Elektrischen gezeigt hat, dass sie auch eine phänomenale Gitarristin ist, ans Stage Piano. Die letzten beiden Stücke des Abends überlässt sie wieder ganz dem intimen Klang ihrer Stimme. »If I Told« verhandelt Ehrlichkeit in der Liebe, mit »Tell me your dreams and I’ll tell you mine« fängt die Geschichte an, mit »But the truth isn’t your reply« hört sie aber nicht auf, die Wahrheit liegt nicht in den Worten, sie offenbart sich in den Augen. Doch dann wieder diese Fragen, mit denen sie es sich, Loose Future hin oder her, abermals schwer macht: Brich endlich den Bann, beschwört sie im letzten Lied ihres Sets eher sich selbst als den (Ex-)Partner: »Please, break the spell.«

Auch Jeff Tweedys Wilco machen sich Liebe und Leben, nicht zuletzt in ihren Lyrics, nie einfacher, als sie sind. Das Set in Utrecht betont lustvoll die rockigen Facetten ihres üppigen Repertoires. Der Frontmann gibt sich gelöst, das Publikum ist glücklich, berauscht. In den Zugaben singen Wilco gemeinsam mit Courtney Marie Andrews das von Woody ¬Guthrie geschriebene (Musik: ¬Tweedy) »California Stars«. Andrews’ Leitmotiv hat die Band da schon ergänzt, im 14. der 22 Songs dieses sensationellen Abends, dem genialen »Jesus, Etc.«. Da heißt es: »Our love / Our love / Our love is all we have.«

Words: Frank Schwarzberg
Photo: Peak Ness