SLOWDIVE
Guck auf die Bühne, nicht auf deine Schuhe, ermahnt mich der zuständige Redakteur einer Zeitung, für die ich schreibe, vor meinem Slowdive-Konzert vergangenen Donnerstag in Köln. Das spielt auf das Genre an, dem Slowdive zugerechnet werden: Shoegaze. Das Gegenstück zum Posen: Verträumtheit, innerliches Schweben, und auf der Bühne: Frickeln, Basteln am Sound, langsames Entwickeln der Songs, Aufgehen im Gesamtgetöse. Aber Kunststück, lieber Redakteur, wenn es in der Live Music Hall so voll und eng ist wie samstags im Ruhrstadion im ausverkauften Block Q. Selbst wenn ich wollte, könnte ich meine Schuhe nicht sehen, von der Bühne ganz zu schweigen. Da trifft es sich gut, eine Begleiterin dabeizuhaben, die das Talent besitzt, mit unserem kleinen Tross die Menschenmenge zu teilen wie Moses das Meer. Wildfremde Menschen bestaunen das Spektakel, einige wenige ergreifen die Gelegenheit und schließen sich an. Und voilà: 21 Uhr, beste Sicht auf die Bühne, Teil 1 des Auftrags erfüllt! Puh...
Slowdive baden in der Menge. Die Shoegaze-Pioniere aus Reading reiten ihre zweite Welle. Die erste, in den 90ern, kam nicht, brach sich lieber da, wo die Britpopper und Grunger trieben. Aber gute Surfer warten weiter, und wenn es 22 Jahre dauert. Ihr Konzert in Ehrenfeld ist mit 1300 Leuten ausverkauft, wie fast alle Konzerte ihrer laufenden Europatournee. In so gut wie allen Jahresbestenlisten war ihr 2023er Album everything is alive auf den vorderen Plätzen. Diese Resonanz begleitet eins der erstaunlichsten Comebacks der Popgeschichte, eins der schönsten zumal. Zwischen 1989 und 1995 veröffentlichte die Band drei Alben, von denen das zweite, Souvlaki (1993), gemeinhin als ihr Meisterwerk dieser Ära angesehen wird. 2014 fing die Band ein zweites Mal an und veröffentlichte 2017, nach diesen 22 Jahren Albumpause, ihr selbstbetiteltes Comeback. Dream Pop 2.0. Sie spielten auf Festivals, ihr Publikum wurde größer, immer mehr und immer jüngere Fans kamen hinzu. In Köln sind zahlreiche junge Zuschauer und -hörerinnen zwischen den Mitt-40ern, -50ern und vereinzelten Mitt-60ern auszumachen.
Slowdive baden also in der Menge, wir baden im Sound. 4 Gitarren, Drums, Synthesizer und Keyboard erzeugen diesen schimmernden, wabernden Sound voller Klangschichten und Hall, in den wir eintauchen und uns weit davontreiben lassen. Vom letzten Album spielen sie 5 Songs, leider auch das schroffe The Slab, welches schon am Ende des Albums seltsam deplaziert wirkte. Aber Chained To A Cloud und vor allem Shanty, Kisses und Skin In The Game sind reinster Wohlklang und die Höhepunkte dieses Abends. 5 Stücke sind von Souvlaki, von ihren anderen Alben spielen sie jeweils einen oder zwei Songs, dazu am Ende des regulären Sets Golden Hair, ein Syd Barrett - Cover.
Warum das Konzert dennoch zwar gut ist, aber nicht vollends packt? Ich weiß es nicht, an
den fünf Musikern um Sängerin Rachel Goswell und Songschreiber und Sänger Neil Halstead liegt es jedenfalls nicht. Man kann sich auf sie verlassen: da sitzt jeder Ton, und wohl auch jede Zeile (die Stimmen sind hinten im Mix, mehr Sound als Text, so gewollt). Wahrscheinlich sind es die Begleitumstände. Schließlich ist es in der Live Music Hall nicht nur eng, sondern, wenn man nicht gerade hinten steht, auch stickig und sauerstoffarm. Sich in sphärischer, romantischer Musik verlieren will so nicht recht gelingen. Zum Genuss dieser Band braucht es zumindest ein bisschen von dem, was Slowdives Musik selbst im Überfluss spendet: Glanz, Luft und Weite.
Words: Frank Schwarzberg
Photo: Sonja Ruge